Nahaufnahme
Nichts wollen, aber alles zeigen. Mit diesem Satz hat der Fotograf Lukas Beck auf Ö1 sein Verständnis über die Menschen-Fotografie auf den Punkt gebracht – die Königsdisziplin seines Metiers, wie er sagt. Dazu muss der Fotograf nah an den Menschen dran sein, die er porträtiert. Alles wollen und nichts zeigen. Das könnte der Leitspruch jener Medienleute sein, die zu nah dran sind an den Menschen, über die sie berichten. Leider ein toxisches Verhältnis und keine Königsdisziplin. Das Jahr 2022 war ein Menetekel für Journalismus und Politik gleichermaßen. Ein Rückblick in Nahaufnahme.
Für Markus Wallner endet das Jahr fast versöhnlich: Im Sommer geht der Vorarlberger Landeshauptmann nach schweren Vorwürfen, die von der ihm sonst durchaus gewogenen Monopolzeitung Vorarlberger Nachrichten veröffentlicht worden sind, ausgebrannt in einen langen Krankenstand. Wallner steht am Rande des Rücktritts, wie er später selbst einräumen wird. Er soll persönlich Inserate für die eingestellte Wirtschaftsbund-Zeitschrift Vorarlberger Wirtschaft gekeilt und Vorteile dafür versprochen haben. Ein anonymer Informant behauptet das, die VN geben ihm eidesstattlich die mediale Bühne. Vorteilsannahme lautet der Verdacht der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft auf Grundlage des Artikels. Die WKStA macht den vermeintlichen Zeugen ausfindig und befragt ihn, der Mann streitet alles ab, die Ermittlungen gegen Wallner stehen vor der Einstellung.
Russmedia, VN & die ÖVP-Inseratenaffäre
Die Rolle der Zeitung wird kaum beleuchtet. Die VN sind das Flaggschiff der Russmedia-Gruppe, die in Vorarlberg noch ein zweite Tageszeitung – die Neue Vorarlberger – und das größte Online-Portal des Landes vol.at betreibt und noch viele weitere Beteiligungen hält. Unter anderem an der Firma Media Team des wegen der Inseratenaffäre zurückgetretenen Wirtschaftsbund-Direktors Jürgen Kessler, die das Anzeigengeschäft von Zeitschriften der Wirtschafts- und der Landwirtschaftskammer besorgt. Russmedia verdient an jedem Inserat mit, nach Kesslers Abgang ist es noch mehr: Das Vorarlberger Medienhaus hat still und leise die Mehrheit in der Media Team übernommen und hält jetzt 75,1 Prozent.
Der Monopolist im Aufdecker-Mäntelchen
Auf der anderen Seite hat der Russmedia-Partner Kessler mit seiner Wirtschaftsbund-Zeitschrift am Fiskus vorbei Millionen-Inseratengeschäfte gemacht (die jetzt im November zu einer Steuernachzahlung von fast 800.000 Euro geführt haben und auch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung zur Folge haben dürften). Die Russmedia-Tochter VN hat es still und leise geschehen lassen. Man hat weggeschaut statt aufgedeckt, das haben das Ö1-Medienmagazin #doublecheck und der Standard übernommen.
Was folgte, war schlicht Überkompensation. Die Monopolzeitung streifte sich das Aufdecker-Mäntelchen über und rückte beinhart den anonymen Manager ins Blatt. Die politische Verantwortung von ÖVP-Landesobmann Markus Wallner für die Umtriebe seiner Teilorganisation namens ÖVP-Wirtschaftsbund wurde so von einer vermeintlich strafrechtlichen Verantwortung überdeckt, mit der Einstellung der WKStA-Ermittlungen wird das wohl alles vom Tisch sein. Russmedia und VN werden sich mutmaßlich mit dem Landeshauptmann arrangieren, als wäre nie etwas gewesen.
Das Distanz-Versagen als Königsdisziplin
Arrangiert haben sich ja auch die beiden Chefredakteure, die wegen ihres Versagens in der Königsdisziplin des Distanzhaltens zum Rücktritt gezwungen waren. Eine beispiellose und bis dahin auch undenkbare Entwicklung – wo doch in Österreich das Versagen im Distanzhalten an sich die Königsdisziplin zu sein schien. Bei Rainer Nowak, vormals Chefredakteur und Geschäftsführer der Tageszeitung Die Presse, dokumentiert anhand einer negativ-ikonischen Nahaufnahme zusammen mit Sebastian Kurz in der sogenannten Pratersauna. Bei Matthias Schrom, vormals ORF-TV-Chefredakteur, hat die faire Behandlung der Freiheitlichen in der Berichterstattung bei der Karriere geholfen, an der ihm viel liegt. Das haben zuvor schon hochnotpeinliche Mails bewiesen. Die veröffentlichten Chats von Nowak mit Thomas Schmid und von Schrom mit Heinz-Christian Strache lassen erahnen, was unter der Tuchent los war.
Abgesteckte Claims & Klientel-Denken
In einem gewissen Sinn waren die beiden natürlich auch Opfer des Systems. Schon die Parallelität der Rücktritte – wenn die privatwirtschaftliche Styria ihren Mann fallenlässt, dann lässt auch der öffentlich-rechtliche ORF seinen Mann fallen – ist ein deutlicher Hinweis auf abgesteckte Claims und Klientel-Denken in der österreichischen Medienszene. Die haben zu medienpolitischen Initiativen einerseits und Förder-Entscheidungen der RTR andererseits geführt, die zum Kopfstehen, wenn nicht zum Weinen sind.
Selten war die Kritik an Regierungsentwürfen so laut und heftig wie im Zusammenhang mit dem Gesetz, das das Ende der Wiener Zeitung in der gewohnten Form besiegeln wird, sowie dem Entwurf für die neue Qualitäts-Journalismusförderung. Die Prognose ist nicht sehr gewagt: Es wird die eine oder andere kosmetische Korrektur nach der Begutachtungsphase geben, und dann wird das durchgezogen. Die Wiener Zeitung wird zu einer Spielwiese fürs Kanzleramt mit noch mehr Spielgeräten als bisher, der Marke eine echte Zukunftschance zu geben und Partner hereinzunehmen, war für Schwarz-Grün nie eine Option.
Anhaltende Ignoranz der Medienpolitik
Wichtige medienpolitische Weichenstellungen wie die Reform der ORF-Gremien werden unterlassen, weil sie nicht im Regierungsprogramm stehen, wie es die Medienministerin ausdrückt:
Ungeachtet der Tatsache, dass auch die Milliardenhilfen für die Unternehmen, die Teuerungsabgeltungen für die Haushalte und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht im Regierungsprogramm gestanden sind. Ja, aber das war doch krisenbedingt! Dem Einwand kann und muss man entgegenhalten, dass auch Medien und Journalismus in einer veritablen Krise sind. Wie dringend jetzt gegengesteuert werden müsste, zeigen allein die Veröffentlichungen über den Redaktionsbetrieb im ORF-Landesstudio Niederösterreich unter dem früheren Chefredakteur und jetzigen Landesdirektor Robert Ziegler. Eine Art Message Control zugunsten der Landeshauptfrau-Partei ÖVP wird ihm vorgeworfen, Ziegler hat sich bis zur Landtagswahl zurückgezogen, eine Evaluierungs-Kommission prüft die Vorwürfe.
Die giftigen Enthüllungen aus St. Pölten
Die Vorwürfe sind Gift für den Journalismus. Und ein Grundübel, dass es so weit kommen konnte, bleiben die ORF-Gremien, deren Reform leider, leider nicht im Koalitionspakt steht. Regierungsmehrheiten im Stiftungsrat mit vorbereitenden Sideletters, ein Anhörungsrecht der Landeshauptleute, das in der Realverfassung einem Mitspracherecht gleichkommt und zu Auswüchsen führt, wie sie jetzt erstmals dokumentiert sind. Analogieschlüsse liegen auf der Hand und werden parteipolitisch auch gezogen. Das folgt einer toxischen Logik. Die hat auch in Bezug auf das Nachrichtenmagazin profil Platz gegriffen, das einen Faktencheck zur ÖVP Niederösterreich gebracht hat, was mit einer persönlichen Attacke des ÖVP-Generalsekretärs auf den Autor Jakob Winter endete. Nicht weil was falsch, sondern weil der Redakteur bei der falschen Jugendorganisation – nämlich der sozialistischen – gewesen war.
Raiffeisen, Grasl & die Institution profil
Der Hintergrund macht das noch einmal spannender. Das profil ist im Umbruch, der Mehrheitseigentümer Raiffeisen räumt dort jetzt auf, nachdem er jahrelang nur zugeschaut und Verluste abgedeckt hat. Der neue starke Mann dort ist Geschäftsführer (und weiterhin stellvertretender Kurier-Chefredakteur) Richard Grasl. Der hat mit Anna Thalhammer eine neue Chefredakteurin geholt (die sich noch einer Abstimmung in der Redaktion stellen muss, die könnte sie mit Dreiviertelmehrheit ablehnen) und auf eine Person als Herausgeber verzichtet. Medienrechtlich wird damit die Profil Redaktions GmbH Herausgeberin, die Grasl führt. Er bestimmt demnach auch die grundlegende Richtung.
Grasl war ORF-Finanzchef, ist das mit offener Protektion von Erwin Pröll geworden und hat beste Kontakte in die ÖVP Niederösterreich. So einem Mann vertraut Raiffeisen, in so einem Setting spüren die ÖVP und andere Rechte medialen Aufwind. Und wir reden notabene vom profil – dieser regelrechten demokratiepolitischen Institution, die den AKH-Skandal und den Missbrauchsskandal Groër und vieles mehr aufgedeckt hat.
Die toxische Galionsfigur Fleischmann
Die toxischen Verhältnisse fordern ihren Tribut. Mit Gerald Fleischmann, der von Karl Nehammer den ganzen Medienkorruptions-Vorwürfen zum Trotz zum Leiter der strategischen Kommunikation in der Volkspartei gemacht worden ist, haben sie ihre Galionsfigur. Den Kurz-Vertrauten und Erfinder der Message Control (extrem gesteuerte Kommunikation politischer Inhalte) aus der Versenkung zu holen und ihm die großen Linien der Öffentlichkeitsarbeit der Kanzlerpartei zu überantworten, das muss man sich einmal trauen, hat der Standard einen Grün-Abgeordneten zitiert. Schon wird an neuen Formaten für die Medien gebastelt, Kanzler-Pressekonferenzen stehen ins Haus, bisher als Hintergrundgespräche nicht wirklich positiv konnotiert. Und die politische Agenda ist längst wieder auf Balkanrouten-Schließungs-Niveau. Die Achse Nehammer-Orbán-Vučić und das Schengen-Veto gegen Bulgarien und Rumänien erinnern kommunikativ an Fleischmanns Hochblüte in der Episode Kurz.
Der Purismus & der ORF-Sportchef
Sie haben also nicht nur nichts gelernt aus diesem Annus horribilis für Medien und Journalismus, sondern sind wieder einen Schritt zurückgegangen. Und es ist zu befürchten, dass das so weitergeht. Matthias Schrom, liest man schon länger im Kurier und jetzt auch im Standard, könnte ORF-Sportchef werden. Der amtierende geht in Pension, der Posten ist ausgeschrieben, der sport-affine und organisatorisch begabte Schrom wäre die ideale Besetzung. Die Botschaft einer solchen Personalentscheidung wäre: In der Politik hat er sich mit den Wichtigen arrangiert, und so etwas geht halt heute nicht mehr – aber im Sport ist das egal, weil da sind eh alle viel zu nah dran. Bis hin zu den Korruptionsvorwürfen gegen ÖFB-Präsident Gerhard Milletich, mit denen sich das Ethik-Komitee der Bundesliga derzeit befasst. Puristisch betrachtet, würde eine Bestellung Schroms diesen Eindruck zementieren und das wäre fatal. So fatal wie der Umstand, dass das bei uns wirklich nur Puristen stört.
Der Fotograf Lukas Beck sagt: Eine gutes Porträt lebt in erster Linie vom Blick. Der kann so ewig sein, der kann so durchdringend sein. Obwohl das Bild vordergründig nichts will, kann es dann ganz viel. Die Medienbranche hat den richtigen Blick, der so viel könnte, offensichtlich verloren. Unsere Nahaufnahme ist ein Zerrbild, und Transparenz bleibt eine Schimäre.
2 Gedanken zu „Nahaufnahme“
Es stört jene, deren Namen hier genannt werden, nicht, wenn wir uns mittlerweile in einer gelenkten Demokratie nach ungarischen Vorbild befinden. Für den Machterhalt ist es super und das Wählergedächtnis ist bekanntlich kurz. Besonders traurig und zornig machen mich die Entwicklungen im ORF, wo unter Weiß die Politik des Seb. Kurz eingezogen ist. Wo sind jetzt die Rotfunk-Schreier in der FPÖ? Ein paar fette Posterln im ORF und schon verstimmen die blauen Schreihälse.
Lieber Herr Kappacher,
es ist, wie es Daniel Wisser in seinem Standard-Kommentar ausdrückt, eine reale politische Satire. VdB spricht vom Wasserschaden, der nicht behoben wurde. Mit dem Finger auf andere zeigen, aber selbst Dreck am Stecken haben, wird zur gängigen Praxis. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Wir haben momentan zu viele stinkende Köpfe, die nicht mehr wissen, was sie tun und lassen. Anstatt, wieder Wisser, über einen Neustart nachzudenken, verfilzt sich der Apparat jeden Tag aufs Neue. Die aktuelle politische Belegschaft gehört sofort ausgewechselt. Aber auf der Ersatzbank sitzen leider auch keine Leuchten.
Danke für Ihre erleuchteten Kommentare. Ich hoffe, sie auch in diesem Jahr mit größtem Interesse lesen zu können.