Am Katzentisch
Wir haben uns dann über 20 Jahre selbst zerfleischt. Das dauerte so lange, bis es eine andere Partei zerrissen hat – nicht wir sind also hinaufgewählt worden. Deswegen ist es auch ein Irrtum, wenn man mich als Star darzustellen versucht. Der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser bringt es mit einer – zumal in der Intensivphase eines Landtagswahlkampfs – erstaunlichen Offenheit auf den Punkt. Wenn es die andere Partei – gemeint ist die FPÖ – zerreißt, dann haben die anderen anderen Parteien eine Chance. Im Regelfall stehen sie den Populisten aber hilflos gegenüber. Deshalb wird schon wieder der Kickl an die Wand gemalt.
Am Montag haben die deutschen Rechtspopulisten ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Von den achtzehn Gründungsmitgliedern der Alternative für Deutschland sind dreizehn wegen der Radikalisierung gegen Ausländer und Islam aus der Partei ausgetreten. Der Industrielle Hans-Olaf Henkel hat über die AfD gesagt: Es macht mir Kummer, dass ich mitgeholfen habe, ein richtiges Monster zu erschaffen. Regieren will mit diesem Monster niemand, ein Exponent hat bei der Feier im hessischen Taunus-Gebirge den trotzig-absurden Satz gesagt: Es kann und darf uns niemals um einen Platz am Katzentisch des globalistischen, ökosozialistischen und kulturmarxistischen Leviathans gehen, sondern um dessen Höllensturz.
Weidel & Co. betteln ums Mitregieren
Andere wie die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla würden es wohl billiger geben. Beide rechnen damit, dass die Brandmauer gegenüber der AfD nicht mehr lange halten werde. Übernächstes Jahr allerspätestens im Osten werde sie fallen, hofft Weidel. Dann im Westen, dann im Bund, ergänzt Chrupalla. Aber noch hält die Firewall. Kein einziger Stein werde herausgebrochen, hat Friedrich Merz bei seinem Antritt als CDU-Vorsitzender vor einem Jahr erklärt. Denn: Alle Liebäugelei mit diesen Leuten führt uns nur ins Elend. Die AfD ist als rechtsextremer Verdachtsfall unter Beobachtung des Verfassungsschutzes – das zeige, wie ernst die deutsche Demokratie das Gefahrenpotenzial dieser systemsprengenden Bewegung nimmt. So hat es ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer in der ZIB2 formuliert.
Eine kontinuierliche Rechtsverschiebung
In dem Beitrag kam auch der Grünen-Berater und Autor Johannes Hillje zu Wort, er hat über die AfD bereits 2017 – als diese drittstärkste Kraft im Bundestag wurde – ein Buch (mit dem Untertitel Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen) geschrieben und charakterisiert die Partei so: Die Geschichte der AfD ist eine kontinuierliche Rechtsverschiebung, und zwar in Sachen Personal, aber auch in Sachen Programmatik. Die AfD ist als nationalkonservative Anti-Europartei gestartet, ist dann zu einer rechtspopulistischen Antimigrationspartei geworden und ist jetzt so etwas wie eine radikal rechte, aber thematisch flexible Antisystempartei. Eine Beschreibung, die im Wesentlichen auch auf die rechtspopulistische FPÖ zutrifft.
Die FPÖ unterscheidet nur die Tradition
Der Unterschied liegt in der Tradition: Die FPÖ ist aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) – ein Sammelbecken ehemaliger NSDAP-Mitglieder – hervorgegangen und wurde dann zu einer kleinen Honoratioren-Partei mit Europa-Ausrichtung, lange bevor ein EU-Beitritt Österreichs überhaupt denkbar war. Die SPÖ hat die FPÖ gefördert, um das bürgerliche Lager zu splitten, und ist nach dem Verlust der Absoluten 1983 mit den Freiheitlichen in eine Koalition gegangen. 1986 hat Jörg Haider die Partei dann übernommen und zur Anti-EU-Partei, Antimigrations-Partei und Antisystem-Partei umgebaut. Das Personal hat auch in der FPÖ stark gewechselt, aber der Charakter der Partei ist bis heute gleichgeblieben. Man könnte auch sagen, der aktuelle Parteivorsitzende Herbert Kickl hat alles noch einmal zugespitzt.
Vollenden, was Haider nicht gelungen ist
Überraschend ist das nicht: Kickl ist bereits von Haider entdeckt worden, hat für ihn Reden geschrieben und die radikal rechte Tonalität der FPÖ die ganze Strache-Zeit hindurch – selbst in Ausübung des Amtes als Innenminister – und bis heute geprägt. Jetzt möchte er das vollenden, was Haider nicht gelungen ist: einen FPÖ-Kanzler durchsetzen. Kickl hat sich Mitte 2021 selbst an die Spitze der Partei gesetzt und Norbert Hofer verdrängt, der ihm angesichts der Corona-Maßnahmen mit derem populistischen Potenzial zu wenig angriffig war. Wie das Ergebnis der Niederösterreich-Wahl zeigt, hat Kickl das Potenzial voll ausschöpfen können – auch den Angriffskrieg von Putin-Russland gegen die Ukraine mit all den wirtschaftlichen und humanitären Folgen hat der FPÖ-Obmann für seine Zwecke instrumentalisiert. Die Festung Österreich ist für Herbert Kickl das, was für Jörg Haider die Dritte Republik war.
Waldhäusls Mission accomplished
Und es fallen mittlerweile sämtliche Tabus. Der wahrscheinliche Wieder-Landesrat der FPÖ in Niederösterreich, Gottfried Waldhäusl, hat in einer Talk-Sendung auf Puls24 eine rassistische Markierung gesetzt. Auf den Vorhalt einer Wiener Gymnasiastin, dass die meisten in ihrer Klasse Migrationshintergrund hätten und nicht in Österreich wären, wenn das Konzept Grenzschließung der FPÖ sich durchgesetzt hätte, sagte Waldhäusl trocken und kalkuliert: Dann wäre Wien noch Wien. Die Empörung war ausufernd, sämtliche fragwürdigen linken Stereotypen (Wer würde dann noch unsere Klos putzen?) wurden ausgepackt. Waldhäusl-Mission accomplished. Der FPÖ-Regionalpolitiker verkündete in der NÖN selbstbewusst: Rechne mit Regierungssitz. Den kann ihm nämlich jetzt keiner mehr streitig machen.
Das Kalkül der Kickl-Unterstützer
Parteichef Kickl versteht das aufgeregte Herumgegackere nicht, Generalsekretär Christian Hafenecker betont, die Partei sei in der Frage auf einer Linie – und er hat völlig recht damit. Die vermeintlichen Abweichler Manfred Haimbuchner (Oberösterreich), Marlene Svazek (Salzburg) und Markus Abwerzger (Tirol) sind keine. Falsch abgebogen; zu Recht kritisiert, aber die Falschen; der falsche Adressat. Das waren die Begründungen der Drei, warum sie mit Waldhäusls Sager nicht einverstanden sind. Damit können in der FPÖ alle wunderbar leben.
Und dazu muss man auch noch wissen: Haimbuchner ist in der FPÖ der Ideologe der konservativen Revolution, wie er es nennt. Gemeint ist die Hegemonie von rechts und das mit allen Mitteln. Svazek und Abwerzger geben sich gern gemäßigt, sind es aber nicht. Die beiden waren die Ersten, die sich beim Putsch von Kickl gegen Norbert Hofer zu Wort gemeldet und auf die Seite von Kickl gestellt haben. Nach der Devise: support is our success.
Landbauer singt wieder garstige Lieder
Waldhäusls Landesparteiobmann Udo Landbauer hat dann noch eins draufgelegt. In einem Posting auf Facebook hat er die Soforthilfe der Bundesregierung von drei Millionen Euro für die Erdbeben-Opfer in der Türkei kritisiert und gefragt, wann endlich mit derselben Euphorie Geld für die von der Preisexplosion in die Armut getriebenen Österreicher ausbezahlt wird. Jetzt muss Schluss sein mit Millionengeschenken an das Ausland! Die Aufregung war groß, die Empörung laut – auch von ÖVP-Seite. Eine Sprecherin des ÖVP-geführten Außenministeriums nannte die Aussage Landbauers (der sich selbstverständlich missverstanden fühlt, aber bei seiner Aussage bleibt) jenseitig. Der künftige ÖVP-Klubobmann im niederösterreichischen Landtag, Jochen Danninger, sagte: Das dürfen wir in Österreich nicht einreißen lassen.
Zieht Mikl-Leitner diesmal Konsequenzen?
Die Frage ist: Was tun sie dagegen? Als Landbauer vor der Landtagswahl 2018 in den Strudel einer Nazi-Liederbuchaffäre geraten war, riefen auch alle, dass das widerlich und unfassbar sei. Passiert ist nichts. Der Mann wird nach dem Gewinn von zwei Regierungssitzen wohl Landeshauptmann-Stellvertreter. Und die ÖVP wird nicht den Mumm haben, die drei FPÖ-Landesräte ohne Portefeuille spazierengehen zu lassen. Das wäre die einzig sinnvolle Konsequenz, und dann – wie es Thomas Mayer im Standard vorschlägt – umgehend das aus der Zeit gefallene Proporz-System abschaffen.
Verbale Betroffenheit, reale Show-Acts
Und was tun sie dagegen auf Bundesebene? Verfassungsministerin Karoline Edtstadler – die letzte intakte ÖVP-Hoffnung noch dazu – hat den Fall Waldhäusl hart kommentiert: Mir fehlen die Worte, weil das erinnert an die dunkelsten Kapitel in der Geschichte dieses Landes. Aber was unternehmen sie? Vom Kanzler, der als Innenminister Kinder unrechtmäßig abschieben hat lassen, ist in dem Punkt nicht viel zu erwarten. Vielleicht empört sich Karl Nehammer demnächst über die Geringschätzung der Hilfe vor Ort, die ihm immer sehr wichtig war. So wichtig, dass er persönlich mit einer großen Frachtmaschine voller Hilfsgüter nach Athen geflogen ist, damit er keine Kinder aus Moria auf der Insel Lesbos nach Österreich holen muss.
Machterhalt wichtiger als Brandmauer
Eine Brandmauer gegenüber der FPÖ zu errichten, wie das in Deutschland bei der AfD noch der Fall ist (Beobachter wollen bei Friedrich Merz und Markus Söder zunehmend ÖVP-artige Schmied-Schmiedl-Reflexe erkennen) und in Frankreich gegenüber der Rassemblement National (früher Front National), das ist für die ÖVP keine Option. Sie hat die Freiheitlichen schon zweimal – in den Jahren 2000 und 2017 – an den Katzentisch in der Bundesregierung geholt, und es hat immer mit schweren Verwerfungen geendet. Denn wie der Redner bei der AfD wollten auch die FPÖ-ler nie den Katzentisch, sondern den Höllensturz. Nur dass sie selber gestürzt sind. Und die ÖVP konnte sich die Macht sichern, nur das zählte für sie.
Wertekatalog statt Vranitzky-Doktrin
Die SPÖ will genau deshalb diese Option nicht aufgeben. Es gibt einen Wertekatalog, aber keine Absage an Koalitionen mit der FPÖ, wie sie lange Zeit in Form der sogenannten Vranitzky-Doktrin bestanden hat. Und der Kärntner Wahlkämpfer Peter Kaiser sagt dazu ganz aktuell: Wir werden auch mit der FPÖ reden, es kommt jede Partei, die im demokratischen Verfassungsbogen ist, infrage. Es geht darum, wie die Gespräche zu den Werten und Positionen verlaufen. Auf die Frage, wie der FPÖ zu begegnen sei, wie ihre ständigen Comebacks nach großen Rückschlägen gestoppt werden könnten, fällt Kaiser so wie der Bundes-SPÖ wenig ein. Hans Peter Doskozil macht sein realsozialistisches Experiment, das kaum bundesweit umlegbar ist, zumal im Burgenland das Geld mittlerweile abgeschafft sein dürfte.
Kein Rezept gegen Politik der Gefühle
Auch AfD-Kenner Johannes Hillje hat gegen Rechtspopulisten kein Rezept. Man müsse die Inhalte auf ihren Gehalt abklopfen, empfiehlt Hillje: Das heißt, sie abzugleichen mit der Verfassung, mit internationalen Verträgen, aber auch mit der schlichten Mathematik, was die unzähligen vollmundigen Versprechungen der AfD anbelangt. Und nicht zuletzt sie auch abzugleichen mit den Problemen der Menschen, die diese Partei in so immenser Zahl gewählt haben. Um im Ergebnis festzustellen, dass die AfD gerade den sogenannten kleinen Leuten eine Unmenge verspricht, aber nichts davon wirklich halten kann. Oft probiert bei uns und immer gescheitert. Die FPÖ betreibt eine Politik der Gefühle, wie sie Josef Haslinger schon vor 35 Jahren im gleichnamigen Essay beschrieben hat – und die kann man mit Faktenchecks zwar entlarven, aber nicht nachhaltig verdrängen. Das einzige Rezept ist gute und mutige Politik.
Den Weckruf des Präsidenten überhört?
Der Bundespräsident hat eine solche bei seiner zweiten Angelobung eingemahnt. Was manche Alexander Van der Bellen als banales Kickl-Bashing ausgelegt haben, war ein Weckruf für SPÖ und ÖVP – wie es Johannes Huber in seinem Blog ausdrückt: Er spricht Dinge an, auf die es ankommt. Und nebenbei stärkt er nicht Kickl, wie vielfach behauptet wird, sondern seine Mitbewerber: Er hat einen Prinzipienkatalog vorgelegt, dem zu entnehmen ist, warum der FPÖ-Chef eine demokratische Zumutung ist. Wie die anderen anderen Parteien darauf reagieren, lässt nicht den Schluss zu, dass sie verstanden haben. Die ÖVP kopiert weiter die FPÖ-Politik und hofft partiell immer noch auf die Rückkehr eines Sebastian Kurz, dessen erste Anklage (wegen Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss) übrigens bevorsteht.
Eine Gang soll die wankende SPÖ führen
Und die SPÖ steckt in einer Führungskrise, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Der Boulevard dichtet den Sozialdemokraten sogar den früheren ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz als nächsten Vorsitzenden an, um diesen dann zwei Tage später mit Berichten über seine satte ORF-Zusatzpension hinzurichten – und dem ORF den nächsten unverdienten Schlag zu versetzen. Peter Kaiser hat in Interviews versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist, und vorgeschlagen: Put Pamela Rendi-Wagner in a team. Der Gang, die gleichzeitig auch ein Schattenkabinett darstellen würde, sollen alle angehören – von Michael Ludwig über Hans Peter Doskozil und Andreas Babler bis Doris Bures. Übriggeblieben ist die Schlagzeile: Kaiser will Doppelspitze Rendi-Wagner mit Doskozil. Das Dementi folgte zwar auf dem Fuße, aber die Krise dieser Sozialdemokratie lässt sich nicht mehr weg-dementieren.
Die Hoffnung, dass es die FPÖ zerreißt
Wie groß die Verzweiflung bei manchen ist, zeigt ein unterirdischer Tweet des Publizisten und Autors Robert Misik: Eine wehrhafte Demokratie wird sich irgendwann auch der unerfreulichen Frage eines Parteiverbots stellen müssen, wenn diese Partei weiter so durchdreht. Letztlich haben wir ein NS-Verbotsgesetz, und zwar nicht grundlos. Misik meint natürlich die FPÖ, die sich einmal mehr die Hände reibt, weil solche Ideen ihr in die Hände spielen. Im Zweifelsfall wird nämlich wieder die andere Partei hinaufgewählt, um es mit Peter Kaisers Worten zu sagen. Und eine andere andere Partei wird ihr dann vielleicht wieder einen Platz am Katzentisch anbieten.
Vielleicht mit den Worten von Erwin Pröll, der gemeint hat: Sie werden verstehen, dass ich mir wünschen würde, dass sie nichts aus der Geschichte gelernt haben. Gemeint hat er: Möge es sie doch wieder zerreißen. Sieht ganz so aus, als wären es die Prölls, die nichts aus der Geschichte lernen. Denn es wird dann vielleicht nicht mehr sicher sein, dass es die FPÖ wieder zerreißt.
Ein Gedanke zu „Am Katzentisch“
Sowas von perfekt analysiert bzw. seziert. Einmalig.
Danke.