Unser Backoffice
Ein Jahr ist es her, dass Putin die russische Armee und eine gottvergessene Söldnertruppe in die Ukraine einmarschieren hat lassen. Er hat dem wehrhaften Land Tod, Zerstörung und Leid gebracht. Dennoch findet die verdienstvolle Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, jetzt müsse einmal Schluss sein mit den Waffenlieferungen in die Ukraine. Man müsse sich mit Putin hinsetzen und fragen, was der Preis sei. Eine bessere Antwort als Robert Habeck hätte auf diesen Irrsinn niemand geben können. Der Mann sagt, was ist. Unsere Regierung druckst wie immer herum. Ein Blick ins Backoffice.
Es war zwei Wochen nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine, der Bundeskanzler war schon in Doha, um mit den Emiraten irgendwas über Gaslieferungen auszumachen, die bis heute überwiegend aus Russland kommen. Bei der Gelegenheit hat Karl Nehammer den Satz gesagt: Österreich war neutral, Österreich ist neutral, Österreich wird auch neutral bleiben. Nachsatz: Für meinen Teil ist damit die Diskussion beendet. Natürlich war sie nicht beendet. Finnland und Schweden, traditionelle Neutrale, haben wenige Monate später den Beitritt zur NATO beantragt. Und das Unverständnis vieler in Österreich, dass eine sicherheitspolitische Debatte von den Verantwortlichen nicht geführt wird, nimmt zu.
Die Geografie des Trittbrettfahrens
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hat auf die Reaktion der skandinavischen Neutralen in der ZIB2 so reagiert: Die Geografie ist eine andere in Schweden und insbesondere in Finnland, als es in Österreich der Fall ist. Womit Edtstadler zweifellos recht hat. Österreich ist von EU-Partnern, die NATO-Staaten sind, umgeben und braucht sich keinen Kopf machen. Kurt Seinitz hat es in der Kronenzeitung so ausgedrückt: Ja! Wir sind sicherheitspolitische Trittbrettfahrer der NATO. Na und? Der Sprecher des Bundeskanzlers hat den Kommentar geteilt und als kluge und besonnene Einschätzung bezeichnet. Trittbrettfahren ist jetzt also offiziell ok.
Identitätsstiftung hilft gegen Umfragen
Und es darf quasi als Nationalsport gelten. Denn das Mantra, das die Verfassungsministerin vor sich her trägt wie eine Monstranz, lautet: Die Neutralität ist identitätsstiftend für Österreich, das war so und das wird so sein. Zwei Drittel der Österreicher sind für die Beibehaltung der Neutralität, da will man als umfragen-getriebene Kanzlerpartei nicht anstreifen. (Das gilt auch für die Grünen, die freilich in ihrer kürzeren Parteigeschichte anders als die ÖVP und notabene ganz besonders die Gralshüter der Neutralität von der FPÖ keine sicherheitspolitischen Volten geschlagen haben, sondern immer für neutral waren.) Und so gesehen erscheint der Satz von Karl Nehammer in der Parlamentsdebatte anlässlich der Sondersitzung zur Ukraine in einem interessanten Licht: Die österreichische Neutralität (…) war hilfreich und nützlich für die Republik Österreich, ist hilfreich und bleibt hilfreich für die Republik Österreich.
Wortklauberei in ziemlicher Sauce
Es hilft nur leider nicht bei der Glaubwürdigkeit. Warum wir keine ukrainischen Soldaten auf unseren Leopard-Panzern ausbilden? Weil das politisch nicht gewollt sei, sagt Karoline Edtstadler. Tschechische und ungarische Soldaten bildet das Bundesheer hingegen schon auf den Panzern aus. Und dass die EU Waffen an die Ukraine liefert und Österreich dabei mitzahlt, das umtanzt die Ministerin so: Da enthalten wir uns konstruktiv und ermöglichen das trotz Neutralität. Und weiter: Wir schicken kein Geld für Waffen. Das möchte ich ja festhalten. Wir leisten humanitäre Hilfe, wir leisten finanzielle Hilfe. Wir leisten keine Hilfe mit letalen Waffen. Darauf ein entnervter Armin Wolf: Das ist doch eine Wortklauberei, Frau Ministerin. – Nein, das ist keine Wortklauberei, entgegnet diese. Cathrin Kahlweit hat in der Süddeutschen Zeitung befunden: Das, was Edtstadler da von sich gab, war ziemliche Sauce.
Konsequent negierte Gas-Abhängigkeit
Ziemlich soßig ist auch die Sache mit den Gas-Lieferverträgen, die die drittel-staatliche OMV mit der staatlichen russischen Gazprom abgeschlossen hat. Gleich nach Kriegsbeginn war, wie gesagt, eine Delegation der Regierung wegen Flüssiggas auf der arabischen Halbinsel, im Sommer hat die OMV dann vermeldet, dass man sich Mega-Pipleline-Kapazitäten gen Westen gesichert habe. Und im Dezember 2022 hat Österreich dann wieder mehr als 70 Prozent des importierten Gases aus Russland bezogen. Herbert Lechner, der die unfassbare und unfassbar konsequent negierte Abhängigkeit Österreichs vom russischen Gas seit den 1960-er Jahren untersucht hat, bezeichnete das als besorgniserregend, weil das nicht nach einem Ausreißer ausschaut. Deshalb sei es wichtig, in der Frage für Klarheit zu sorgen, so der Autor der Studie und frühere Chef der Energieagentur Lechner.
Ausstieg oder doch weiter geknebelt?
Die Klarheit ist möglicherweise in einer Schublade im Backoffice versteckt. Was auf der politischen Bühne geboten wird, ist alles andere als klar. Ausstieg aus dem russischen Gas bis 2027 ist die offizielle Linie, auch wenn die Regierung immer wieder auf die bis 2040 laufenden und im Beisein von Sebastian Kurz und Wladimir Putin in Wien unterschriebenen Lieferverträge verweist, angeblich unkündbar. Take or pay. Karl Nehammer hat vor zwei Wochen in der ZIB2 für die Einhaltung dieser Verträge plädiert, der Unterschied zu früher besteht für den Kanzler darin, dass Österreich bei reduzierter Lieferung seitens Russlands auf andere Lieferanten ausweichen könne: Wenn die Russen weiter liefern, dann kann ich der OMV – wie stellen Sie sich das vor mit einem Enteignungsgesetz? – kann ich der OMV nicht verbieten, dass vertragliche Verpflichtungen von russischer Seite erfüllt werden.
Der Kanzler darf nicht in Verträge schauen
Eine Begrenzung der Importe aus Russland lehnt Nehammer ab: Das würde bedeuten, dass die OMV vertragsbrüchig wird. Der Republik gehören 31,5 Prozent, also auch Ihnen wieder als Steuerzahler oder der Steuerzahlerin. Das heißt, würde man solche Dinge beschließen, passiert ein Wertverlust bei der OMV, das ist diese Dividende. Das vor dem Hintergrund, dass Gazprom als Lieferant evident vertragsbrüchig geworden ist, weil ja teilweise viel weniger geliefert worden ist. Und jetzt hat der Kanzler im Interview auf Puls 24 noch eine kleine Bombe platzen lassen. Er kennt die Verträge gar nicht: Da müssen wir uns überlegen, wie wir da hineinschauen können. Denn derzeit habe ich dieses Recht nicht, auch nicht als Bundesregierung, auch nicht als 31,5-Prozent-Anteilsnehmer. Das heißt, da gibt es viele Fragen, die noch zu klären sind.
Raiffeisen wickelt Putins Kriegskasse ab
Man muss das einmal wirken lassen, was der Obmann der Volkspartei da sagt, die die Neutralität angeblich so hochhält. Nehammer verteidigt den Umstand, dass er die Republik und ihr ganzes Renommée an Gas-Lieferverträge mit den Russen knüpft, die er nicht einmal kennt und angeblich auch nicht kennen darf. Als Vertreter des Bundes, der ein Drittel der Anteile an der OMV hält! Dazu passt ein aktueller Bericht in der Financial Times, die die Position von Raiffeisen in Russland unter die Lupe genommen hat. Erschreckende Erkenntnis: Raiffeisen, a senior executive at the bank told the Financial Times, now handles 40-50 per cent of all the money flows between Russia and the rest of the world. Sehr schön beschreibt die FT dann auch, warum es so wenig Druck auf Raiffeisen gibt, das zu ändern.
Financial Times blattelt die WKO auf
Raiffeisen faces little pressure to act. Das Blatt erinnert daran, dass die Wirtschaftskammer im Jänner zu einem Austrian Business Circle mit Ski-Langlauf im Kultur-, Sport und Erholungspark Odintsovo nahe Moskau eingeladen hat. Als das öffentlich wurde, machte die Kammer einen Rückzieher, löschte die Veranstaltung von der Website und entschuldigte sich – freilich nur für das unglücklich gewählte Setting. Und die Financial Times outet auch die engen Bande zwischen Raiffeisen und der ÖVP weltweit: Pressure from government is also muted. It helps Raiffeisen that many Austrian MPs and ministers have close connections to the bank. Raiffeisen is considered the “house bank” of the ruling Austrian People’s Party.
Die Haushaltsabgabe & der Raab-Rabatt
Raiffeisen hat bekanntlich auch Medien wie Kurier und profil in seinem Portfolio, was der oben geschilderten Verquickung von Politik und Konzern noch mehr Würze verleiht. Inhaltlich erlaubt es den Bogen zur Haushaltsabgabe, zu der sich die ÖVP jetzt durchgerungen hat und mit den Grünen im Parlament wohl auch umsetzen wird. Ein veritabler Erfolg für den ORF, der damit eine nachhaltige Finanzierung unter Wahrung der Unabhängigkeit bekommen dürfte, aber auch für ORF-Chef Roland Weißmann, dem eine solche Lösung kaum wer zugetraut hat. Christian Nusser schreibt in seinem Blog: Dem weisen Herrn Weißmann ist die ORF-Debatte nicht passiert, er managt sie und das ziemlich geschickt. Der Preis, den der Herr Weißmann zu zahlen bereit war, heißt ORF-Rabatt und kommt auch aus dem Backoffice der Regierung.
Die Gefahr für die ORF-Redaktionen
Die Einsparung von 300 Millionen Euro, die sich die Medienministerin als ihren Erfolg auf den Hut stecken will, kommt vordergründig als Anschlag auf die zeitgenössische Musik und auf die Rand-Sportarten daher. Am Ende könnte sie aber den personellen Druck auf die Redaktionen noch weiter erhöhen, weil hunderte Pensionierungen anstehen und die Nicht-Nachbesetzung dieser Stellen immer der einfachste Weg zur Erreichung eines Sparziels ist. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch dann noch schwächen, wenn seine Stärkung beschlossene Sache ist, das ist ein weiteres österreichisches Paradoxon. Aber Hauptsache, sie sind mit Grußworten zur Stelle, wenn eine Jubelnummer der Gratiszeitung Heute zum 50-er von Eva Dichand erscheint. Und mit Inseraten. Natürlich auch Raiffeisen.
Ein Gedanke zu „Unser Backoffice“
Toller Artikel, bloß beim Hinweis auf die Medien, die mehr oder weniger direkt mit Raiffeisen verbandelt sind, ließe sich vielleicht eine Kleinigkeit erwähnen: http://www.ors.at/unternehmen/
https://www.raiffeisenholding.com/holding/medien/
Noch scheint das höchstens am Rande interessant zu sein, aber so soll es ja auch bleiben.