Normaldenker
Der von der ÖVP Niederösterreich gewöhnlich gut informierte Kurier berichtet, dass sich im schwarz-blau regierten Land etwas anbahne: Die Partei soll mehr Kante für die große Mehrheit der Normaldenkenden zeigen. Leistung, Vernunft und Hausverstand für die breite Mitte sollen ins Zentrum rücken. Und zwar als Gegenpol zu den politischen Rändern, die sich immer radikaler aufführen würden. Zitiert ist ein namentlich nicht genannter Funktionär aus dem geistigen Umfeld von Johanna Mikl-Leitner. Also jene Mitte, die mit der FPÖ konkurriert und mit derem rechtesten Flügel koaliert. Andersdenkende aller Länder, vereinigt euch!
In der Kronenzeitung – das ist jenes Boulevardblatt für Normaldenker, das zuletzt die neunzehn (selbst Innenpolitik-Journalisten nahezu vollständig unbekannten) Mitglieder der SPÖ-Wahlkommission schändlich auf dem Cover an den Pranger gestellt hat – in dieser Zeitung konnte die niederösterreichische Landeshauptfrau vor kurzem einen Leserbrief platzieren. Der war mit einem großen Foto illustriert, Frau Mikl-Leitner ganz in Weiß auf einem rotem Teppich, und nahm fast eine komplette Seite in der Sonntagskrone ein. Ein ganzseitiges Inserat kostet dort nebenbei bemerkt laut aktuellem Tarif mehr als 22.000 Euro.
In dem Leserbrief durfte die Landeshauptfrau im Sinne von mehr Kante ihrer Sorge vor dem Um-sich-Greifen des Kommunismus in Österreich Ausdruck verleihen. Anlass war der Wahlerfolg der KPÖ plus in Salzburg, der Johanna Mikl-Leitner vorwarf, die Verbrechen des Kommunismus zu verharmlosen – von denen sich die KPÖ längst distanziert hat, auch wenn sich zum Teil seltsame Gestalten in ihren Reihen finden lassen (wie in anderen Parteien übrigens auch). Dabei war das einzige Verbrechen, das die Partei mit dem Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl begangen hat, sich offenbar glaubhaft um die Menschen zu kümmern und in der Stadt Salzburg mit 21,5 Prozent gefährlich nahe an die führende ÖVP heranzukommen. Die Schwarzen spüren den Atem der Roten im Nacken. Unerhört.
N wie Niederösterreich und Nordkorea
Und jetzt kommt auch noch der Babler als neuer SPÖ-Vorsitzender daher und will den Kummerln das mit dem Kümmern nachmachen. In seinem Programm heißt es: Unsere Stärke liegt in den Sektionen und Bezirksorganisationen vor Ort. Dort müssen wir Vertrauensleute sein, die ganz praktisch helfen: Durch Mieter- oder Schuldnerberatungen, beim Weg auf das Gemeindeamt, durch Hilfe beim Ausfüllen von Formularen oder beim Ansuchen um Unterstützung. Für die ÖVP, deren Generalsekretär Christian Stocker – auch er ist ein Niederösterreicher – der SPÖ schon am vierten Tag des Babler-Vorsitzes das Label Nordkorea umgehängt hat, scheint das eine große Bedrohung zu sein. Johanna Mikl-Leitner hat den Eindruck mit ihrem Statement diesmal im redaktionellen Teil der Kronenzeitung bestätigt: Andreas Babler bezeichnet sich selbst als Träumer und Marxist. Wenn er seine Ideen umsetzen würde, wovon er gottlob sehr weit entfernt ist, wacht dieses Land in einem Albtraum auf.
Babler will SPÖ wieder zur Marke machen
Die KPÖ sei zuerst in der Steiermark und jetzt auch in Salzburg zu einer Marke geworden, die funktioniert, sagt der Wahlforscher Heinz Wassermann von der FH Joanneum in Graz. Da könnten die ÖVP und andere noch so oft versuchen, der Partei den Stalinismus umzuhängen. Andreas Babler will offenbar die SPÖ auch wieder zu einer Marke machen. Dass er von Anfang an als Marxist und radikaler Linker gebrandet wird, dürfte ihm dabei eher nützen als schaden. Denn was tun Beobachter und Analytiker der innenpolitischen Situation seit Monaten, wenn nicht Jahren? Sie halten der SPÖ vor, das Momentum nicht genützt, den aufgelegten Elfmeter für die Sozialdemokratie nicht verwandelt zu haben. Stichwort Teuerung, die auf der Sorgen-Skala der Menschen einfach alles überstrahlt. Und jetzt spricht ein Babler das an, in einfachen Worten, und er wiederholt es immer wieder, bis es alle verstanden haben.
Der ÖVP wird der Rucksack wieder schwerer
Das macht die ÖVP unrund, die ohnehin einen schweren Rucksack mit Korruptionsvorwürfen – frisch angereichert durch die Aussagen eines früheren Integrationsfonds-Chefs, der bereits der dritte Kronzeuge gegen Sebastian Kurz werden möchte – und anderen Anzeichen der Abnützung durch zu langes Machthaben mitschleppen muss. Sie haben geglaubt, sie können Karl Nehammer zum probaten Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl aufbauen, eine Prise grüner Verbrenner und eine flexible verpflichtende Solidarität in der Frage der Aufteilung von Asylwerbern auf die EU-Staaten, wie sie die Innenminister jetzt einmal auf den Tisch gelegt haben, würden reichen. Jetzt könnte es zu einer Konfrontation Andreas Babler gegen Herbert Kickl kommen und die ÖVP in der beschworenen Mitte das Nachsehen haben.
Der Andersdenker entert die Löwelstraße
Die Normaldenker kommen mit dem Szenario schwer zurecht. Das betrifft aber nicht nur ÖVP-Funktionäre, sondern durchaus auch Medienvertreter, die in Chefredakteurs-Runden schon einmal vorsorglich Andreas Babler dafür verantwortlich machen, dass die rechte Mehrheit in Österreich nie und nimmer gebrochen werden könne. Obwohl nicht wenige dieser Journalisten diese rechte Mehrheit vor wenigen Jahren noch hochgelobt und wohlwollend begleitet haben. Bis dann nach Ibiza und vor allem nach Auffliegen der mutmaßlichen Inseratenkorruption auf höchster Ebene niemand mehr etwas davon wissen wollte.
Babler ist ein Andersdenker, in mancher Hinsicht erratisch und noch oft gefangen in früheren Aussagen, die problematisch sind und nicht immer Jahrzehnte in seiner SJ-Zeit zurückliegen. Seine Art zu sprechen, die vielleicht auch manchen Mitbewerbern Angst macht, weil sie tatsächlich authentisch ist, oder auch sein Bekenntnis, man sollte Cannabis legalisieren, gehören da nicht dazu. Die von den Normaldenkern als völlig utopisch bezeichnete 32-Stunden-Woche ist auf der Agenda selbst der ÖVP-nahen Gewerkschaft und wird nicht über Nacht eingeführt werden. Babler macht das Vorhaben aber zu einem Asset für die Partei.
Scheitern ist durchaus eine Option
Vielleicht scheitert der neue SPÖ-Chef mehr oder weniger glorreich, vielleicht verrechnet er sich mit seinen Koalitionsbedingungen. Möglich. Die Latte liegt hoch. Aber messen sollte man Babler daran, was er aus seinen Ankündigungen macht. Er verspricht erstmals, dass die Sozialdemokratie den Klimaschutz – weil eine eminent soziale Frage, wie die Grünen schon lang erkannt haben – ernst nehmen wird. Dass Julia Herr, die unauffällige Umweltsprecherin im Parlament, eine seiner engsten Mitstreiterinnen werden soll, bringt da einmal keinen Vertrauensvorschuss. Und Babler verspricht eine Bildungspolitik, die nach vielen Jahren absoluter Funkstille in der Bundes-SPÖ diesen Namen verdient. Messen muss man Babler auch an seinem Team, das er am Dienstag in den Gremien präsentieren wird.
Sie haben ihm schon ein Denkmal gebaut
Seine Fans haben ihm ein Denkmal gebaut, bevor er noch richtig begonnen hat. Andreas Babler im Interview zu fragen, ob er ein Herbert Kickl im marxistischen Gewand ist, das gilt schon als Majestätsbeleidigung. Er selber steckt so was übrigens weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Den Fans kann man nur einen Refrain von Wir sind Helden ans Herz legen. Der ist aus dem Song, den Andreas Babler auf Ö3 als eines der wichtigsten Lieder für sich und seine Frau und Beraterin Karin Blum bezeichnet hat: Hol den Vorschlaghammer! Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut.
2 Gedanken zu „Normaldenker“
Wer weiß, ob nicht der Leserbrief der Mikl-Leitner ein Inserat um 22.000 EUR der NÖVP war?
In Österreich entwickelt sich eine politische Debatte darüber, wie die ÖVP mehr für die breite Mitte und die Vernunft der Gesellschaft stehen kann. Es gibt jedoch unterschiedliche Meinungen über die Ausrichtung und die politischen Ränder. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich äußerte ihre Bedenken hinsichtlich des Kommunismus in einem Leserbrief, der in der Kronenzeitung veröffentlicht wurde.
Gleichzeitig wird der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler als Träumer und Marxist bezeichnet, der die SPÖ wieder als Marke etablieren möchte. Die politische Landschaft ist vielfältig und es wird kontrovers diskutiert, wie die Parteien auf die aktuellen Herausforderungen reagieren sollten.