Bullshit Shield
Trotzdem schleicht sich ein Gefühl ein, dass jetzt, gut ein Jahr vor der Nationalratswahl, etwas beginnt, was man die allmähliche Verschlickung der Gedanken beim Zuschauen nennen könnte. Langsam aber sicher lagert sich der Bullshit-Schlick ab, Schicht für Schicht, und blockiert die Rohre in unserem Gehirn, die eigentlich relevante Informationen transportieren sollten. Das hat Xaver von Cranach im Spiegel geschrieben. Er hat nicht Österreich gemeint, sondern die USA und Trump und die AfD. Aber das hängt leider alles zusammen. Und der Essayist hat Bernhard Pörksen zitiert, der abgewandelt auf uns sagt: Ihr braucht einen Bullshit Shield.
Vor genau einem Monat hat uns die Landeshauptfrau von Niederösterreich wissen lassen, dass ihre ÖVP jetzt Kante zeigen und sich um die Normaldenkenden und die breite Mitte mit Hausverstand kümmern will. Diese bescheidene Ansage erhitzt die innenpolitische Debatte vier Wochen später immer noch. Der grüne Vizekanzler hat noch das Attribut präfaschistoid in die Hitzeschlacht mit dem Koalitionspartner geworfen, und der neue SPÖ-Chef kümmert sich jetzt um unsere Leute. Der Linkspopulist spielt damit leichtfertig auf ausländerfeindliche Ressentiments der Rechtspopulisten – sprich FPÖ – an. Vom vermögensteuer-feindlichen Boulevard hat es gleich einmal Prügel gegeben. Wenn dann noch der Bundeskanzler ausrückt und nach einem seiner seltsamen Kanzlergespräche sagt, er finde es nicht normal, dass man über Normalität diskutiert – dann klappen die Letzten im Publikum die Ohren zu.
Die reflektierte Ignoranz der Idiotie
Der deutsche Medienwissenschafter Pörksen hat solche Entwicklungen gemeint, wenn er im Spiegel mit Sätzen wie diesem zitiert wird: Man muss Aufmerksamkeit als elementar politische Kategorie denken. Pörksen plädiert für eine reflektierte Ignoranz der Idiotie und sinnlosen Provokation – und legt das den Medienkonsumenten ebenso ans Herz wie den Medien. Ziel müsse sein, eine Immunität gegen verbreiteten Unsinn zu entwickeln. Einen Bullshit-Shield sozusagen. Noch einmal Bernhard Pörksen: Ich erlebe, wie diese Debatten und Diskurse sich wiederholen, wiederkehren, die Stichflammen der Erregung sehr hoch schießen, uns an den Augenblick fesseln. Diese geistige Atmosphäre des totalen Jetzt tut jedoch der langfristigen Krisenabwehr nicht gut. Wir müssen nichts so sehr trainieren wie das langfristige Denken.
Das schleichende Gift der Diskreditierung
Zum langfristigen Denken gehört das Wachhalten der Erinnerung an Vorstöße wie jenen von Bernhard Ebner, Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich. Ebner hat in einer beispiellosen Aktion den Journalisten Florian Klenk attackiert und versucht, ihn als Aktivisten zu diskreditieren, der samt seinem Medium nicht mehr als seriöser Journalist ernstgenommen werden dürfe. Jetzt kann sich der Falter-Chefredakteur gut selbst verteidigen, und das hat er auch umfangreich getan. Aber man kann nicht oft genug aufzeigen, wie hier schleichend Gift in den politischen Diskurs geträufelt wird. Die erste Anklage gegen den früheren ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz steht bevor, und die Immer-noch-Kanzlerpartei sagt Investigativ-Journalisten den Kampf an. Dass der ÖVP-Generalsekretär das unterstützt, war erwartbar. Dass die von der ÖVP gestellte Verfassungsministerin ihm dabei folgt, ist erschütternd.
Die Verharmlosung der Posten-Korruption
Dazu gehört auch das Erinnern an die Causa Finanzamt Braunau. Chats legen nahe, dass ÖVP-Klubobmann und ÖAAB-Chef August Wöginger einem Parteifreund und Bürgermeister geholfen hat, dort Finanzamts-Leiter zu werden. Obwohl eine andere Bewerberin bestgeeignet gewesen ist, wie das Bundesverwaltungsgericht später festgestellt hat. Wöginger hat sich stets damit verteidigt, dass seine Intervention im Büro des Finanzministers in dieser Sache keine Beeinflussung eines Verfahrens gewesen sei, sondern es gehe schlicht darum, dass die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger von der Politik ernst genommen werden und sie dabei Unterstützung erfahren. In einer wegen Wortkargheit nur 25 Minuten dauernden Einvernahme durch die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft – die WKStA ermittelt wegen Amtsmissbrauch gegen Wöginger – hat der ÖVP-Mann erklärt, wie er seine Antwort im berühmten Chat mit Thomas Schmid – Wir haben es geschafft :-)) Der Bürgermeister schuldet dir was! – Echt super!! Bin total happy. DANKESCHÖN – gemeint hat. Wöginger gab vor der WKStA ernsthaft zu Protokoll, dass er sich – Zitat – in der Korrespondenz mit MMag. Schmid an dessen überschwänglichen Schreibstil angepasst habe.
Die Rendite von Intransparenz & Verhaberung
Langfristig sollten wir auch Fälle wie jenen von Bürgermeister Alfred Riedl und seinen Grundstücksgeschäften in der Gemeinde Grafenwörth in Niederösterreich im Auge und im Kopf behalten. Riedl ist Gemeindebund-Präsident und Ortschef von Grafenwörth, er hat durch den Erwerb von Grundstücken, die später umgewidmet wurden und durch Aktivitäten Riedls für einen Bauträger im ÖVP-Dunstkreis enorme Wertsteigerungen erzielt haben, sehr viel Geld verdient. Der ÖVP- und Riedl-dominierte Gemeinderat hat die Entscheidungen getragen, er habe nie im Traum daran gedacht, dass sich so ein Projekt in Zukunft entwickeln könnte, sagt der Gemeindebund-Präsident. Das Projekt ist ein Dubai im Weinviertel, wie es die WZ in ihrer Recherche nennt. Raumplaner finden das Projekt – schmucke Häuser auf der grünen Wiese, nur mit dem Auto erreichbar, nur für Städter leistbar, rund um Österreichs angeblich größten Foliensee – schlicht aberwitzig. Rechtlich nicht angreifbar, politisch sehr fragwürdig. Konsequenzen für den ÖVP-Politiker sind bisher ausgeblieben.
Die Geschäftsinteressen hinter der Uni-Politik
Und da wäre dann noch die Sigmund-Freud-Privatuniversität, die den Gesundheitsökonomen Ernest Pichlbauer nach einem Interview im Ö1-Morgenjournal als Assistenzprofessor gefeuert hat. Die Kündigung kam per Mail noch am Tag der Sendung, drei Tage später veröffentlichten der Rektor der SFU und der Dekan der Medizinischen Fakultät eine Stellungnahme, wonach sie sich von Pichlbauers Aussagen im Interview distanzierten. Dass der Gesundheitsexperte einen Ärztemangel in Österreich bestreitet, sei dessen Privatmeinung – die freilich die Rektoren aller Medizin-Unis teilen. Die Privatuni hält es lieber mit Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker von der SPÖ, der die Ausbildungsplätze für Mediziner fast verdoppeln möchte. Wie sich durch Recherchen herausgestellt hat, arbeiten die Stadt Wien und die SFU an einer Kooperation in der Ärzte-Ausbildung. Kritische Stimmen Richtung Stadtrat kann man da offenbar nicht brauchen. Freiheit der Lehre hin, Unabhängigkeit der Universitäten her.
Die Banalität der Raketen-Wissenschaft
Im politischen Diskurs ist das alles kein Thema, da umgibt uns nach Bernhard Pörksen hartnäckig die geistige Atmosphäre des totalen Jetzt. Das äußert sich final in einem Bundeskanzler, der die Neutralitäts-Debatte im März 2022 für beendet erklärt und damit erst so richtig angeheizt hat. Mit dem Beitritt Österreichs zur Sky Shield Initiative können ÖVP und Grüne die Geister, die sie riefen, endgültig nicht mehr abwehren. Sie halten nicht an der Neutralität fest, sondern sie richten sie sich, wie sie es brauchen. Der Völkerrechtler Ralph Janik hat schon den Begriff von der pragmatischen Neutralität geprägt, und die FPÖ reibt sich die Hände. Karl Nehammer bleibt nur sein Kalauer: Herbert Kickl setzt auf Pferde. Ich setze auf Raketen, wenn es darum geht, Raketen abzuwehren. Getroffen wird die Glaubwürdigkeit, sie versinkt im Pferdemist. Man kann auch Bullshit dazu sagen.
7 Gedanken zu „Bullshit Shield“
Auf den Punkt gebracht.
Danke!
Vielen Dank für die gute und sachliche Zusammenfassung .
Danke fürs Lesen!
Den allergroessten Bullshit produzieren Internet… . Daher bremsen.
Ich bin so froh das es diesen Blog gibt. Danke für ihre Mühe und Arbeit Herr Kappacher
Ich danke!