Wenn Zwei baden gehen
Wir haben hohe moralische Ansprüche. Wer eine Funktion oder ein Mandat für die Wiener Sozialdemokratie übernimmt, weiß, dass er mit einem höheren Maß gemessen wird als Vertreter anderer politischer Parteien. Wo würde Michael Ludwig einem Ernst Nevrivy die seidene Schnur überreichen? Natürlich in der Kronenzeitung, die nach Recherchen von Wiener Zeitung und Ö1-Journalen im Donaustädter Kleingartenverein einen roten Sumpf ausgemacht hat. Mit seiner Festlegung auf dem Boulevard kommt der Wiener SPÖ-Chef nicht mehr aus. Ludwig wird Nevrivy wohl fallenlassen müssen, und die Frage ist, ob der weitere rote Kleingärtnerinnen mitreißt. Alles andere wäre für die SPÖ tödlich. So könnte sie zumindest beginnen, Maßstäbe zu setzen – auch für die ÖVP.
Noch wird vernebelt, vor allem von Ernst Nevrivy selbst, der Dinge bestreitet, die ihm niemand vorwirft. Das Widmungsverfahren für die Kleingartenanlage in Breitenlee hat eine lange Vorgeschichte und viele Facetten, von denen die im Grunde verfassungswidrige Legalisierung von Schwarzbauten durch Umwidmung eine ganz spezielle ist. Der entscheidende Punkt aber ist, dass sich hier SPÖ-Politiker und SPÖ-Politikerinnen sowie Personen in ihrem Dunstkreis günstige Grundstücke in wunderbarer Lage – am Badeteich und an der U-Bahn – gesichert haben. Während es nicht einmal Wartelisten für interessierte Personen von außerhalb gegeben hat. Ein closed shop und eine gated community, es wird niemanden überraschen, wenn da weitere Details auftauchen. Das Feedback auf die Recherchen ist bemerkenswert.
Die SPÖ-Gruppe in der Kleingartenanlage hat dann tatkräftig mitgeholfen, die Umwidmung zu finalisieren. Eine Vize-Bezirksvorsteherin fungierte als Verbinderin zum Magistrat und war laut Vereinsobmann bei allen Verhandlungen über die Umwidmung dabei; eine Gemeinderätin war bei der Genehmigung der Umwidmung durch den Gemeinderat anwesend, hat ihre Befangenheit aber nicht offengelegt. Eine Nationalratsabgeordnete hat sich gleich zwei Grundstücke vor der Umwidmung gesichert und will jetzt eines davon mit sattem Gewinn verkaufen. Und Ernst Nevrivy selbst? Der hat den Verein Anfang 2020 informiert, dass das formelle Widmungsverfahren jetzt starten wird, und sich sechs Monate später schnell noch ein Grundstück gekauft – im Wissen, dass dessen Wert durch die Umwidmung massiv steigen wird. Der eigenen Bezirksvertretung hat er das beim Beschluss der Umwidmung verheimlicht.
SPÖ zeigt Nerven und hat Grund dazu
Politisch ist das untragbar, das zeigt die Reaktion der Wiener SPÖ, die traditionell mauert und sich keinen aus ihren Reihen herausschießen lässt – schon gar nicht einen innerparteilich mächtigen Bezirkskaiser. Doch die Sprachregelung von der nicht optimalen Optik, die dann auch Nevrivy selbst nach einem Gespräch mit der Landesparteisekretärin übernehmen musste, ließ schon erahnen, dass das nicht mehr business as usual ist. Warum, das hat Andreas Babler sehr schön zusammengefasst: Als SPÖ-Chef mache ich Politik für diejenigen, die es sich nicht richten können – weder durch ihre Millionen am Konto, noch durch ihre politischen Kontakte. Entsprechend diesem Grundsatz kann und werde ich es nicht dulden, wenn in den eigenen Reihen der Eindruck entsteht, dass genau das passiert. Babler hat in seiner Stellungnahme von persönlicher Bereicherung durch Insiderwissen oder die Beeinflussung von Verfahren gesprochen – damit hat er die politische wie die rechtliche Seite der Affäre zur Diskussion gestellt.
Aussitzen geht sich nicht mehr aus
Ein Aussitzen, ein Durchtauchen, ein Gras-drüber-wachsen-Lassen geht sich damit nicht mehr aus. Und das ist zunächst im ureigensten Interesse der SPÖ, die von allen Seiten unter Druck gekommen ist – und der wird nicht weniger werden, wenn sie versuchen sollte, doch noch zu tricksen und sich irgendwie aus der Affäre herauszuwinden. Was in diesem Donaustädter Kleingarten offensichtlich geworden ist: Da herrscht ein Patronage-System – und Sozialdemokraten sind mitten drin. Und es geht eben nicht um abgehobene Pfründen, unter denen sich keiner was vorstellen kann, sondern um 400 Quadratmeter am Badeteich mit U-Bahn-Anschluss. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen, ob mit Badehütte oder ohne. Es ist ein Sündenfall, den sich die SPÖ – Ludwigs Wort vom höheren Maß, das an Sozialdemokraten angelegt wird, gilt für jede politische Debatte – immer vorhalten lassen müsste. Selbst von der ÖVP, die schon damit begonnen hat – und allen Grund hätte, vor der eigenen Tür zu kehren.
Stichwort Alfred Riedl und das Insiderwissen. Der Grafenwörther Bürgermeister spielt innerparteilich in der niederösterreichischen ÖVP in einer ähnlichen Liga wie der Donaustädter Bezirksvorsteher in der Wiener SPÖ, beide galten bisher als mächtig. Die Wiener Zeitung und zuvor schon das profil haben Riedls Grundstücksgeschäfte und Millionengewinne durch Umwidmungen in seiner Gemeinde aufgedeckt, Recherchen der Ö1-Journale bei Mitgliedern des Gemeindebund-Präsidiums haben dann etwas ins Rollen gebracht. Riedl musste sich als Gemeindebund-Präsident zurückziehen, dann entzog ihm die ÖVP-Landeschefin Johanna Mikl-Leitner öffentlich das Vertrauen, indem sie von einer sehr schlechten Optik sprach. Bezirkshauptmannschaft und Land Niederösterreich prüfen die rechtliche Seite, es wird wohl nicht viel übrig bleiben. Auch Riedl ist ein politischer Fall.
ÖVP schweigt zum Plan von Alfred Riedl
Der Plan ist, dass Alfred Riedl den Ausgang der Prüfungen abwartet, die aller Voraussicht nach zu dem Ergebnis kommen werden, dass ihm rechtlich nichts vorzuwerfen sei. Dann wird Riedl sich hinstellen, auf die Belastungen für seine Familie durch die mediale Hetzjagd/Vorverurteilung verweisen und verkünden, dass er nicht mehr als Präsident des Gemeindebundes zur Verfügung stehen wird. Er wird den Rücktritt von dieser Funktion also offiziell machen, aber Ortskaiser von Grafenwörth bleiben wollen. Die Bundes-ÖVP, die sich bisher noch mit keinem einzigen Wort inhaltlich zu der Causa geäußert hat, wird Alfred Riedl Verständnis entgegenbringen und Dank sagen. Und das wird es dann gewesen sein. Wenn die ÖVP in der Frage politischer Sauberkeit ansatzweise ernstgenommen werden will, dann muss auch sie höhere Maßstäbe anlegen. Dann kann es das nicht gewesen sein.
Vom Schotterteich in den Foliensee
Faktum ist, dass da Zwei baden gegangen sind – aber nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben. Der rote Ernst Nevrivy im Schotterteich Krcal-Grube in Wien-Donaustadt und der schwarze Alfred Riedl im Foliensee Sonnenweiher am Rande seiner Heimatgemeinde Grafenwörth. Sie haben ihre Parteien da mit hineingezogen, die sich gerade neu positionieren und ihr Profil schärfen wollen: Die Babler-SPÖ als Vertreterin der kleinen Leute mit linkspopulistischen Anklängen, die Nehammer-ÖVP als Kanzler-Partei im Geiste eines Leopold Figl – was immer das hier und jetzt zu bedeuten hat und wie immer der ÖVP-Obmann diese neue Strategie umsetzen wird. Wenn sich die beiden Parteien nicht glaubhaft um eine klare Abgrenzung zu den korruptiven Auswüchsen in ihren Reihen bemühen, dann werden sie mit Nevrivy und Riedl baden gehen. Und die FPÖ wird sich freuen.
(Wohlgemerkt jene Partei, deren Exponenten am Wochenende bei den Taliban in Kabul auf dem Sofa gesessen sind. Und man kann sich aussuchen, ob sie sich nur wichtig machen und die international geächteten Machthaber und Frauen-Unterdrücker politisch aufwerten wollten – oder ob sie sich wichtig machen und die Taliban aufwerten wollten, um einen dubiosen österreichischen Rechtsextremen freizubekommen. For the record: die FPÖ will mit all dem nichts zu tun haben.)
4 Gedanken zu „Wenn Zwei baden gehen“
Wieder eine exzellente Recherche und einen genauso exzellenten Text. Danke.
Vielen Dank!
Da herrscht ein Patronage-System – auch an Unis.
Guter Artikel, den er thematisiert die hohen moralischen Ansprüche in der Wiener Sozialdemokratie und die möglichen Konsequenzen für Funktionsträger. Die Diskussion um Michael Ludwig und Ernst Nevrivy wirft einen Blick auf die politische Landschaft und verdeutlicht die Herausforderungen, vor denen die SPÖ steht.