Austria dry
Die beste Frage in dem Drunter und Drüber, das die vier beteiligten Parlamentsparteien in den vergangenen fünf Monaten geboten haben, ging bei einem Pressetermin an ÖVP-Parteiobmann Christian Stocker, und sie lautete: Kommt jetzt Karl Nehammer wieder? Die ÖVP geht zwar mit einem anderen Karl – der wegen Untreue angeklagt ist – als Spitzenkandidat in die Wiener Gemeinderatswahl, aber Nehammer kommt nicht zurück. Der nächste Kanzler heißt Christian Stocker, und wir wundern uns schon wieder, was alles geht in diesem Land. Die Dreierkoalition muss sich beweisen – angefangen in den NEOS-Gremien. Aber sie ist wohl das Beste, was uns momentan passieren kann.

Die Kronenzeitung und allen voran ihr Chefredakteur glaubt das noch nicht. Das Boulevardblatt hat schon beim ersten Anlauf der Dreierkoalition einen dümmlichen Namen für das Regierungsbündnis gefunden, und sie bleiben dabei. Aus einem Kommentar: Aber noch ist Hopfen und Malz nicht ganz verloren, hat das wiederbelebte Zuckerl Chancen, einigermaßen süß zu werden. Sauer freilich genauso. Süß oder sauer? Was steht uns bevor? Eine süße Zuckerl-Koalition? Nur bitte keine schreckliche Halloween-Regierung! Nach dem Termin der zwei Parteichefs und der Parteichefin beim Bundespräsidenten fokussierte man mangels Inhalte auf die Garderobe, der Chefredakteur schrieb von einem Begräbniszug auf dem Zentralfriedhof – um so zu schließen: Wie dieses dunkle Quartett die Sonne ins Land zurückbringt – das wird für die neue Regierung wahrscheinlich das härteste Stück Arbeit.
Kein Drama für den Boulevard
Das war auf den Satz von Alexander Van der Bellen bezogen, dass es auch Aufgabe der neuen Regierung sein werde, die Stimmung im Land zu verbessern. Der Zeitungs-Boulevard sollte, was das betrifft, lieber leise sein – und da ist ganz speziell auch das andere Blatt aus dem Hause Dichand zu nennen. Die Heute-Zeitung hätte vom publizistischen Aufwand – sprich Clickbait – her Herbert Kickl ganz allein ins Kanzleramt getragen, wenn der das nicht ganz allein versemmelt hätte. Der Medien-Watchblog Kobuk hat das hier eindrucksvoll dokumentiert. Generell gilt: Für die oft düstere Stimmung im Land waren die Boulevardblätter schon immer mitverantwortlich. Sie wollen Drama, das bringt Klicks. Der Bundespräsident hat die Devise ausgegeben: Ohne großes Drama, arbeitsam, selbstlos. Es wäre die ideale Dreier-Variante. Die trockene Antwort auf die abgesagte Gegenrevolution. Austria Dry quasi.
Keine Wurst mehr für den Hund
Die Umrisse der neuen Regierung zeichnen sich ab, auch die Verteilung der Ministerien ist mittlerweile abgestimmt. Die entscheidende Frage bleibt das Budget, der Abbau des Defizits ist eine Herkules-Aufgabe. Dass das jetzt ein SPÖ-Finanzminister federführend machen soll, könnte man als Treppenwitz bezeichnen. Der bisher letzte rote Finanzminister war Rudolf Edlinger, er musste vor 25 Jahren das Amt an Karlheinz Grasser von der FPÖ übergeben (über dessen hohe Haftstrafe wegen Korruption im März der Oberste Gerichtshof entscheiden wird), danach wurde das Finanzministerium zur ÖVP-Erbpacht. Rudolf Edlinger klopfte damals den berühmten Spruch: Eher lasse ich meinen Hund auf die Wurst aufpassen als die ÖVP auf das Geld der Steuerzahler. So gesehen ist es wohl die stärkste vertrauensbildende Maßnahme, wenn die ÖVP dieses Schlüsselressort an die SPÖ abgibt (demokratiepolitisch ist das ohnehin geboten) und sich auf die Integrität des Koalitionspartners verlassen will und muss.
Zwei Unterschätzte sind am Rudern
Christian Stocker war Vizebürgermeister von Wiener Neustadt, Andreas Babler war Bürgermeister von Traiskirchen. Dem SPÖ-Vorsitzenden ist das unterschwellig, manchmal auch offen vorgehalten worden. Babler sei mit dieser Vita nicht fit für einen Spitzenposten der Republik, so der Tenor. Stocker hat sich mit solchen Vorhalten nie herumschlagen müssen, ihn hat Karl Nehammer als Generalsekretär geholt, um Ruhe in die Partei zu bringen. Das hat Christian Stocker dann mit stiernackiger Grandezza auch gemacht, und das offenbar so gut, dass den versammelten Parteigrößen nach dem Nehammer-Rücktritt partout kein besserer Nachfolger eingefallen ist. Jetzt sind bald zwei Unterschätzte am Rudern, und nachdem sie beide das politische Handwerk verstehen, kann das ein Vorteil sein. Die große Unbekannte ist: Wie stabil ist die SPÖ, die ja offensichtlich nicht als Babler-SPÖ in die Regierung geht? Die Gewerkschaft hatte immer schon ihre Rolle in SPÖ-Regierungsteams, und so wird es auch diesmal sein. Aber der lange Arm von Michael Ludwig, der könnte stören.
Keine falsche Bescheidenheit
Man wird bescheiden, wenn man die Alternativen kennt. Dieser Satz aus einem Leitartikel von Florian Asamer in der Presse ist ein passender Leitspruch, wenn man die Dreierkoalition einzuordnen versucht. Es ist den Parteien anzurechnen, dass sie es noch einmal versucht haben, nach dem blau-schwarzen Lehrstück, das viele erschaudern hat lassen und vielen erst die Augen geöffnet hat. Die parallelen Entwicklungen in den USA und den transatlantischen Beziehungen sind ein weiterer Grund zu sagen: Schön, dass wir jetzt bald eine Regierung haben und nicht in eine Neuwahl und in eine noch tiefere Krise schlittern. Bescheidenheit kann aber nicht für die Inhalte gelten. Die Koalition schuldet uns jedenfalls klare Ansagen in der Wirtschaftspolitik, bei der Bildung, in der Migrationspolitik und in der Sicherheitspolitik. Das Kein Weiter wie bisher muss gerade in diesen Bereichen klar erkennbar sein.
Eine Überschätzte auf dem Prüfstand
Eine Schlüsselrolle, die sie auch immer haben wollte, spielt in dieser Koalition Beate Meinl-Reisinger. Die NEOS-Chefin will ihre Partei, die mit ihren 18 Mandaten die knappe Mehrheit von Schwarz-Rot belastbar machen wird, in die Regierung führen. Wenn ihr das nicht gelingt, also wenn nicht zwei Drittel der Mitglieder am kommenden Sonntag dem Koalitionspakt zustimmen, dann ist auch Meinl-Reisinger Geschichte. So weit wird es wohl nicht kommen, aber die NEOS-Vorsitzende wird der Versammlung mehr bieten müssen als zwei Minister und einen Staatssekretär. In der Bildungspolitik muss es einen Aufbruch geben, da können sich die NEOS nicht mehr auf den Bund ausreden, wie das Christoph Wiederkehr als Wiener Bildungsstadtrat immer wieder gern getan hat.
Beate Meinl-Reisinger als wahrscheinliche neue Außenministerin ist ein Lichtblick. Die NEOS bieten das Gegenprogramm zu den nationalistischen Retro-Positionen der Freiheitlichen – und wann, wenn nicht jetzt, muss Österreich europäisch denken, bis hin zur Teilnahme an einer EU-Armee. Angesichts der russischen Bedrohung und der immer erratischer agierenden Amerikaner darf das Kein Weiter wie bisher gerade hier kein Lippenbekenntnis sein.
Ein Gedanke zu „Austria dry“
Nur dass die EU-Agenden eben nicht im Außenministerium, sondern im Kanzleramt beheimatet sein werden …