Im Seiten-Out
Seit einem Jahr ist Karl Nehammer also Kanzler. Zwei Monate vor seinem Amtsantritt ist ein gewisser Sebastian Kurz zur Seite getreten, weil der grüne Koalitionspartner aus guten Gründen eine untadelige Person an seiner Stelle sehen wollte. Kurz nötigte Alexander Schallenberg, den Job zu übernehmen, weil er glaubte, das Spiel von der Seitenout-Linie weiter dirigieren zu können. Wir wissen, wie das ausgegangen ist. Jetzt dirigiert in der ÖVP niemand mehr – außer vielleicht der umstrittene Nationalratspräsident in seiner Freizeit. Und mittlerweile ist sichtlich die komplette Koalition zur Seite getreten.
Wie es der Zufall so wollte, ist eine Woche nach dem Anfang vom Ende der politischen Laufbahn des Kurz ein neuer ÖFB-Präsident aufs Spielfeld gelaufen. Gerhard Milletich heißt der, er war Landesverbands-Präsident im Burgenland, und eine Seilschaft im Fußballbund hat ihn trickreich an die Spitze gehievt, weil ein schwacher Präsident in ihr Konzept passte. Enge Vertraute sollen Milletich abgeraten haben, diesen Job zu machen – ist es doch einer der exponiertesten, die die Republik zu bieten hat. Die Freunde sollten Recht behalten. Am Donnerstag dieser Woche tagt das ÖFB-Präsidium und berät nach nur einem Jahr seiner vierjährigen Funktionsperiode über das Schicksal des Präsidenten, der sein Amt zur Anbahnung von privaten Inseraten-Geschäften missbraucht haben soll.
Inseraten-Kaiser als Fußballpräsident
Österreichischer geht es ja nicht. Der ÖFB gibt sich einen Präsidenten, der im Zivilberuf Verleger von Zeitungsbeilagen ist, die dazu dienen, mit Inseraten Geld zu scheffeln. Die engen Kontakte zur SPÖ Wien und zur SPÖ Burgenland taten ihr Übriges, um Gerhard Milletich ein schönes Auskommen zu sichern. Die dubiosen Geschäfte, die trotz intensiver Recherchen von mehreren Seiten nie ganz ausgeleuchtet werden konnten, sind hier und hier gut dokumentiert. In einer entlarvenden Podcast-Folge hat Milletich zudem Einblick in sein Denken gegeben, er beschrieb das Amt des ÖFB-Präsidenten quasi als weiteren Türöffner für seine Inseraten-Geschäfte. Der frühere Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler sprach in dem Zusammenhang von glatter Korruption, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinn.
Ex-Kanzler auf dem Inseraten-Glatteis
Die strafrechtlichen Vorwürfe und Ermittlungen wegen Medienkorruption bleiben Sebastian Kurz und seinem Umfeld vorbehalten. Der Ex-ÖVP-Obmann war zuletzt bei der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft zur Einvernahme, und er scheint tatsächlich zu glauben, dass er mit dem Mitschnitt des Telefonats mit Thomas Schmid (den er in dem Gespräch hör- und durchschaubar aufs Glatteis zu führen versuchte) sozusagen aus dem Schneider ist. Aber Kurz hat ja auch von roten Netzwerken in der Justiz schwadroniert, bis dann die Chats von Pilnacek, Fuchs und Brandstetter aufgetaucht sind. Und Kurz glaubt ja so wie sein einstiger Bulldozer Wolfgang Sobotka, dass es für ein Inserat ein Gegengeschäft gibt – ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab, nämlich Berichterstattung und ein Inserat, wie er nach Auffliegen seiner Medienkorruptions-Affäre bei Martin Thür in der ZIB2 gesagt hat.
Die Landeshauptfrau im Kurz-Strudel
Das führt uns direkt zur ÖVP Niederösterreich, die am 29. Jänner bei der Landtagswahl gern die Absolute verteidigen würde und zu diesem Zweck schnell einmal alles weggelegt hat, was irgendwie an Kurz und die Bundespartei erinnern könnte. Wir waren nie die ÖVP, hat Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner seine Verzweiflung als Wahlkampf-Leiter in einem kurzen Satz zusammengefasst. Ausgerechnet Ebner, der die Methoden der Inseraten-Akquise in Niederösterreich so perfektioniert hat, dass sich der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat und der Rechnungshof schon öfter die Zähne ausgebissen haben. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien aufgrund einer anonymen Anzeige, in der penibel aufgeschlüsselt wird, wie überteuert Inserate von Landesgesellschaften wie EVN und Hypo in ÖVP-Heftchen waren. Im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss durfte das kein Thema sein.
Mit Fleischmann in der Endlosschleife
Dort war Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner am Mittwoch bereits zum zweiten Mal geladen – sie war eine Mentorin von Sebastian Kurz, der wie sein Message-Controller Gerald Fleischmann durch die Schule der ÖVP Niederösterreich gegangen ist. Und hier schließt sich – neben den Auftritten Mikl-Leitners vor dem Untersuchungsausschuss im Parlament – ein weiterer Kreis zur Bundes-ÖVP. Parteiobmann Karl Nehammer hat Fleischmann zum Leiter der strategischen Kommunikation der ÖVP gemacht, und zwar einfach deshalb, weil der so ein Kommunikationsprofi sei und er nicht auf ihn verzichten wolle. Mehr hat Nehammer in seinen Interviews und seiner speziellen Pressekonferenz anlässlich ein Jahr Kanzlerschaft zu dem Thema nicht zu sagen gehabt. Kein Wort über die Symbolik, die er akzeptiert und befördert, wenn er Kurzens zentralen Mitarbeiter mit einer zentralen Aufgabe in der Partei betraut.
Nehammers Don’t-look-up Syndrom
Bei Karl Nehammer wird man auch nach einem Jahr an der Spitze der Republik das Gefühl nicht los, dass er das Don’t-look-up-Syndrom hat. Einfach die Ärmel aufkrempeln, den Krisenkanzler machen und sich einreden, dass die ÖVP kein Korruptionsproblem hat. Einfach nicht hinschauen, den Fleischmann zurückholen, und dann klappt das auch wieder mit den Kanzler-Interviews. Ein Bild von der jüngsten Parteiführer-Sitzung der Europäischen Volkspartei in Athen sagt einfach alles: Nehammer auf dem Gruppenfoto sympathisch, bemüht, im zupackenden Outfit, aber zugleich irgendwie komplett deplatziert.
Die Koalition ist zur Seite getreten
So wie die Regierung, die der Kanzler anführt. Zentrale Vorhaben werden abgesagt oder auf die lange Bank geschoben. Als wäre die schwarz-grüne Koalition jetzt auch auf die Seite getreten. Michael Sprenger schreibt in der Tiroler Tageszeitung dazu: Der Sand im Getriebe ist längst hörbar. Es knirscht allerorten. Nach außen hin treten ÖVP und Grüne nicht einmal mehr als Regierung auf. Innenminister Gerhard Karner glaubt immer noch, er steht einer ÖVP-Alleinregierung vor, wenn er sagt, Österreich wird gegen die Erweiterung des Schengenraums Veto einlegen. Die Grünen sind dagegen. Auf der anderen Seite übt sich die ÖVP im Fach der Provokation. Gemeint ist die Personalie Fleischmann, die im grünen Lager mit Befremden zur Kenntnis genommen worden ist. Schnell waren die Gerüchte im Umlauf, dass die Volkspartei offenbar in den Wahlkampfmodus umschalten wolle. Warum nicht wieder in eine Koalition mit der erstarkenden FPÖ? Diesmal als Juniorpartner?
Und die SPÖ sucht weiterhin den Ball
Allein dass der ÖVP solche Volten zugetraut werden, sagt schon alles über Erscheinungsbild und Verfasstheit dieser staatstragenden Partei aus. Nachdem eine tiefgreifende Erneuerung sichtlich nicht geplant ist und die Gemeinsamkeiten mit den Grünen (jenseits der Chemie zwischen Sigrid Maurer und August Wöginger) aufgebraucht wirken, geht es aber wohl nur noch um Machterhalt. Und aus dieser Perspektive ist vieles möglich, was man sich lieber nicht vorstellen will. Natürlich ist da auch die SPÖ mit im Spiel, die für die Rückkehr zur Macht fast alles tun würde. Sie ist jetzt einige Jahre auf der Tribüne gesessen und hat traurig zuschauen müssen. Jetzt steht die SPÖ – um ein altes, aber treffendes Bild zu verwenden – wieder an der Seitenout-Linie und wachelt heftig. Um zu zeigen, dass sie eingewechselt werden will. Sie übersieht, dass die anderen sich längst ins Seiten-Out gestellt haben. Die SPÖ müsste nur spielen, aber sie findet den Ball nicht zwischen Wien und Eisenstadt.
3 Gedanken zu „Im Seiten-Out“
Vielen Dank für die immer wieder erhellenden Einblicke in Österreichs Machtzirkel… ich lese Ihre Artikel und Analysen sehr gerne, auch wenn ich am nächsten Tag dann immer Nackenverspannungen aufgrund heftigen Kopfschüttelns habe… Man wundert sich ja wirklich nimmer, was alles geht…
Danke!
Freut mich danke!
Guten Tag
Man merkt an dem Gruppenfoto die “angelernte” psychologische Beeinflussung bei den Männern, wenn sie sich breitbeinig, vor allem in der ersten Reihe, hinstellen. Vor allem unser hemdsärmlicher Nehammer – wie bei den Zeltlieferungen in Griechenland-
blenden wie gelernt in der Politikerschmiede, was auch der Wr. BM medienwirksam beherrscht.