So οχι sind wir
Im Schatten des Greferendums hat die Koalition den Ausbau der direkten Demokratie zu Grabe getragen. Wenn Europa Kopf steht, dann fällt es nicht so auf, dass sich die Regierungsmehrheit von einem wesentlichen Vorhaben verabschiedet – ein Vorhaben, das die Bürger wieder mehr für die Politik gewinnen sollte. Eine milde Form der Volks-Gesetzgebung war geplant, aber SPÖ und ÖVP sagen οχι dazu. Dieses neuerliche Reformversagen ist für sich schon bemerkenswert. Richtig haarsträubend sind die Begründungen.
Die ÖVP hat vor zwei Jahren sogar Studienreisen in die Schweiz organisiert, an der man sich ein Beispiel nehmen und sogenannte Volksinitiativen auch in Österreich möglich machen wollte. Kein Geringerer als Shootingstar Sebastian Kurz durfte das ÖVP-Konzept für eine Demokratiereform erstellen. Erreicht ein Volksbegehren eine bestimmte Marke, dann soll automatisch darüber abgestimmt werden. Das war der Kern, und davon musste man erst einmal den Koalitionspartner überzeugen.
Ungeliebte direkte Demokratie
Die SPÖ war nie begeistert von der Idee. Aber mit einer Soft-Variante, für die man auch die Grünen und damit die notwendige Zweidrittelmehrheit gewinnen konnte, gelang der Durchbruch. Verpflichtende Volksbefragung, wenn rund 630.000 Österreicher – nämlich zehn Prozent der Stimmberechtigten – ein Volksbegehren unterschreiben. Erstmals sollte damit das Volk Gesetze erzeugen können – und plötzlich sahen Bedenkenträger vom Bundespräsidenten abwärts den Staat zusammenbrechen. Obwohl man sich als Kompromiss ausdrücklich auf eine im Ergebnis nicht bindende Volksbefragung geeinigt hatte, das letzte Wort wäre immer bei der Politik gelegen.
Behübschung statt starker Hebel
Doch der Kompromiss wanderte in die Schublade, wurde nach der Wahl wieder hervorgeholt und jetzt sechs Monate lang in einer Enquetekommission zerredet. Die Verfassungssprecher von SPÖ und ÖVP überbrachten am Montag die traurige Nachricht vom Ableben des einzigen wirksamen direktdemokratischen Instruments im Demokratiepaket. Alles was da sonst noch kommen soll, ist nice to have, aber letzten Endes reine Kosmetik. Wir hatten unterschiedliche Zugänge zu dem Problem, aber jetzt haben wir eine gemeinsame Conclusio. Sie sagen οχι.
Wir dürfen nicht Griechenland werden
Bei der Begründung des Nein haben die Verfassungssprecher (!) der Regierungsfraktionen laufend die Begriffe Volksbefragung und Volksabstimmung durcheinander gebracht. Das nur nebenbei. Hier die skurrilsten Argumente: Man darf nichts übereilen wie die Griechen, wo ein Referendum aus dem Boden gestampft wurde und die Bürger nicht alle Informationen hatten. Das wäre verantwortungslos für die Demokratie und der falsche Weg. In der Schweiz werden Volksentscheide über Jahre vorbereitet. Kurz: Österreich darf demokratiepolitisch nicht Griechenland werden. Dem Bürger nicht Entscheidungen übertragen, die er gar nicht entscheiden möchte.
Wir gefährden unseren Reichtum
Dann die Killer-Argumente: Wir haben ein System, das uns zu einem der zehn reichsten Länder der Welt gemacht hat – so schlecht kann das System nicht sein. Wir wollen dieses System nicht gefährden. In Kalifornien hat man sich durch Volksentscheide nach unten lizitiert und den Staat ruiniert. Wir sind nicht Nachzügler, sondern Vorreiter bei der direkten Demokratie in Europa. Deutschland hat auf Bundesebene gar nichts – wir haben Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung. Wer wird denn da noch nachschärfen wollen.
Beschütze uns vor allem Bösen
Und überhaupt muss der Bürger vor sich selber beschützt werden: Wir wollen die missbräuchliche Verwendung eines demokratischen Instruments für eigene Zwecke ausschließen. Es besteht die Riesengefahr, dass Partikularinteressen gewinnen und sich etwa Milliardäre Gesetze kaufen. Wir wollen nicht, dass Parteien, Unternehmen und NGOs kampagnisieren. Genau. Und deshalb sollen wieder einmal die Länder gestärkt werden, und nur dort – wo kaum und weniger wichtige Entscheidungen fallen – sollen Volksinitiativen möglich sein: Die negativen Einwände treffen auf Landesebene nicht zu. Dort besteht auch weniger Interesse von Bundesmedien, die kampagnisieren könnten. Wie naiv können Politiker sein. Salzburg-Krone lesen. Oder Kobuk.
Politische Teilhabe via Like-Button
Dafür sollen die Bürger künftig Änderungsvorschläge bei der Begutachtung von Gesetzen liken können, wie sie es von Facebook & Co. gewohnt sind. Unsere Politik ist schließlich nicht von gestern. Und sie gewährt uns auch bald Informationsfreiheit, wenn es wahr ist. Information ist die Grundlage demokratischer Beteiligung. Sagen die Verfassungssprecher. Aber einen Beauftragten, der Druck machen kann, damit die Behörden Informationen herausrücken – den verweigern sie uns. Wir sollen uns das selber mit dem Staat ausmachen, vor Gericht. Dafür sind die Bürger mündig genug.
Ein Gedanke zu „So οχι sind wir“
Bester Kommentar zur mehr demokratie!- Verweigerung in Österreich. Sollte der Aufmacher der größten Tageszeitungen und elektronischen Medien sein. Die paar Millionen Euro Inserate von Geldgebern, die direkte Demokratie nicht wollen, können dem doch nicht im Wege stehen. Oder doch? Am Leser, Hörer oder Seher-Interesse läge es nicht.
Erwin Mayer