Die Unterwerfung
Über den Pakt zwischen Johanna Mikl-Leitner und Udo Landbauer, der mit dem Kickl-Vertrauten Reinhard Teufel als Klubchef die Rute für den Bund in seinem Window of Opportunity stehen hat, ist schon alles gesagt und geschrieben worden. Zum Beispiel hier, hier und hier. Dem setzen ÖVP und FPÖ die abstruse Erzählung entgegen, dass diese Koalition dem Willen von zwei Dritteln der Wählerschaft entspreche. Dabei sind sie mit konträren Ansagen in die Wahl gegangen. Die FPÖ ist da schmerzbefreit, umso mehr tut weh, wie sich Exponenten der ÖVP argumentativ wahlweise überschlagen oder wegducken. Das Verrückte ist: Sie werden damit wohl durchkommen.
Der amtierende aus der langen Reihe der von der niederösterreichischen ÖVP gestellten Innenminister, Gerhard Karner, hat in der ORF-Pressestunde aufhorchen lassen: In der Tat habe er einen gewissen Bezug zur ÖVP Niederösterreich, sitze dort auch im Parteivorstand und werde daher versuchen, die Fragen bestmöglich beantworten zu können, so Karner ernsthaft wortwörtlich. Um dann seiner Landeshauptfrau mehrfach seine Hochachtung auszudrücken, dass sie diesen schwierigeren Weg gegangen sei. Der neue Vorsitzende der Landes-SPÖ habe sie praktisch dazu gezwungen, das zu tun. Damit man sich auch die Hand reichen kann, aber nicht die Hand abhacken. In einen subtileren Kontext kann man diese Aussage von Sven Hergovich aus einem Interview mit der Zeit kaum stellen. Und apropos Hand abhacken: Faktum ist, man muss und soll und wird diese Regierung nach ihren Taten messen.
Die Vermessung der Zwangs-Koalition
Wem jetzt gleich Außenminister Alexander Schallenberg von der ÖVP einfällt, der selbiges für die Taliban in Afghanistan empfohlen hat, der gehört eindeutig nicht zur Handreichungs-Fraktion. Der kritisiert höchstwahrscheinlich auch, dass es laut dem schwarz-blauen Pakt eine Wirtshausprämie ausschließlich für die Anbieter traditioneller Speisen geben soll; dass all diesen woken Typen mit einer amtlichen Sprachfibel das Gendern mittels Sternchen, Doppelpunkt und was auch immer ausgetrieben werden soll; und dass die Schulkinder per Hausordnung in der Pause gefälligst Deutsch sprechen sollen. Das wird gleich in zwei Kapiteln – Bildung und Integration – erwähnt, mutmaßlich damit es besser hält. Man fragt sich ja, an welchen Taten man die Zwangs-Koalition von St. Pölten in diesen Punkten messen soll.
Die Ohnmacht des Brüsseler Querdenkers
Othmar Karas, der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, will mit der Vermessung nicht so lange warten. Er hat die teilweise Überantwortung von EU-Agenden an den EU-Skeptiker Udo Landbauer mit lautem Grollen in Frage gestellt und gedonnert: Das geht nicht. Karas fällt seit Jahren mit Kritik an seiner Partei auf, deren Schoß zu verlassen, kommt ihm als Niederösterreicher auch jetzt nicht in den Sinn. Die These, man könne von innen mehr bewirken als von außen, die hat Karas mit seiner Performance als Querdenker in der ÖVP eindrucksvoll widerlegt. Was dem überzeugten Europäer hingegen gelingt: er spornt Parteifreunde zu Wordings der Sonderklasse an. Etwa den EU-Abgeordneten Lukas Mandl, der die EU-Rolle Landbauers so eingeordnet hat: Das wird nicht schaden. Entscheidend ist, dass es – ehrlich gesagt unter uns – nix bringt. Dieser Mann hat keine Kontakte auf europäischer Ebene. Er wird auch keine aufbauen können aufgrund seiner ideologischen Verortung. Er wird dem Land nicht viel helfen können. Aber wir stellen sicher, dass das auch nicht schaden wird.
Der mögliche Schaden & seine Begrenzer
Auf die Volkspartei ist also doch Verlass. Sie holt zwar Leute in die Landesregierung, denen offenbar nicht zu trauen ist, aber die ÖVP sorgt gleichzeitig auch dafür, dass die keinen Schaden anrichten. Das erinnert frappant an die Zeit, als ein gewisser Herbert Kickl von der FPÖ Innenminister war und eine Hausdurchsuchung im personell von der ÖVP vereinnahmten BVT – Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung – stattfinden ließ, die großen Schaden angerichtet hat. Das ist natürlich eine andere Dimension, die politische Bedeutung der Länderebene wird ohnehin auch stark überbewertet. Doch das Muster der Unterwerfung, das man als ÖVP verschleiern und schönreden möchte, das ist das gleiche. Das Diktum keine Liebesheirat ist die größte Untertreibung von Scheibbs bis Seebenstein.
Der ÖVP-Präsident duckt sich lieber weg
Hand reichen statt Hand abhacken, an den Taten messen, kleinreden. Wolfgang Sobotka, der Nationalratspräsident, hat sich fürs Wegducken entschieden. Ausgerechnet am Tag der Einigung zwischen Schwarz und Blau hat Sobotka in Niederösterreich zwei aus den Mitteln des Nationalfonds renovierte jüdische Friedhöfe an die Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) übergeben. Bei einem dieser Termine dazu befragt, was er auf die Kritik des IKG-Präsidenten Oskar Deutsch erwidere, der den Pakt der ÖVP mit der FPÖ als einen Dammbruch bezeichnet hatte, entschied sich Sobotka fürs Nicht-Antworten. Das Transkript eines kurzen Gesprächs mit dem Nationalratspräsidenten aus dem Ö1-Mittagsjournal:
Das Transkript von Oberstockstall
Ich bin mit dem Präsidenten der IKG in einem guten Gespräch und habe jetzt gerade mit ihm gesprochen, dass wir den Friedhof jetzt übergeben, und dieses Kapitel ihm auch vorgetragen, dass hier diese Kontinuität der Arbeit fortgesetzt wird. Und das ist für uns das Wichtigste, dass wir diese Erinnerungsarbeit, diese Gedenkarbeit im Sinne unserer Jüdinnen und Juden, wo auch viele Angehörige noch da sind, Angehörige, die auch nicht mehr in Österreich sind, ihnen eine Möglichkeit des Erinnerns, des Gedenkens zu geben. Das ist der zentrale Ansatz und der wird auch in der Zukunft mit aller Kraft auch fortgesetzt werden. Wir werden am Programm nichts ändern, das ist auch ein Bekenntnis des Landes Niederösterreich, uns dabei zu unterstützen.
Aber die Kritik ist ja, dass die ÖVP Niederösterreich mit Leuten zusammenarbeitet, die den Hitlergruß zeigen zum Beispiel?
Ich glaube, dass es für uns das Wesentlichste ist, dass wir dieses Kulturerbe dementsprechend erhalten, dass wir alles tun, den Antisemitismus zu bekämpfen und Sie wissen ganz genau, dass das Niederösterreich, ah, das österreichische Parlament, das zu einem zentralen Thema gemacht hat. In der Frage des Antisemitismus des Kampfes, zum Beispiel den Simon-Wiesenthal-Preis zu verleihen und damit haben wir also auch gezeigt, wie wichtig es ist, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren. Das gibt heute einen Antisemitismus, der in der Mitte der Gesellschaft ist und er bricht auf den Rändern auf, am rechten Rand genauso wie am linken Rand und in der Migration. Und daher gilt unser Kampf all diesen Erscheinungsformen.
Aber Niederösterreich holt den rechten Rand in die Landesregierung. Das ist ja die Kritik, Herr Präsident.
Jetzt gehe ich zur Eröffnung. Jetzt gehe ich zur Eröffnung.
Der andere Präsident gegen Kellernazis…
Wolfgang Sobotka war aus seinem Dienstwagen beim etwas abseits gelegenen jüdischen Friedhof von Oberstockstall am Wagram (Bild) ausgestiegen, die Airpods noch in den Ohren, über die er mit dem anderen Präsidenten, nämlich Oskar Deutsch, im Auto telefoniert hatte, wie er beschwichtigend zu Protokoll gab. Man sei im guten Gespräch, er habe dem IKG-Präsidenten die Passagen über das jüdische Kulturerbe aus dem schwarz-blauen Pakt vorgelesen, so Sobotka. Später sollte sich herausstellen, dass der Punkt Erhaltung und Sanierung der jüdischen Friedhöfe sowie Fürsorge für die Kriegs- und Opfergräber nicht im veröffentlichten Papier drinnen war. Ein redaktionelles Versehen, wie es heißt.
Die Vermengung von jüdischen Friedhöfen mit den Kriegsgräbern war eher kein Versehen, sondern wohl den Freiheitlichen mit ihrem Hohelied auf die Soldaten-Generation geschuldet. Oskar Deutsch zeigte sich so oder so unbeeindruckt und verschärfte seine Kritik noch einmal: Der schwarz-blaue Pakt sei grotesk, die FPÖ Niederösterreich sei aufgrund ihrer Mandatare, die mehr oder weniger fast alle Kellernazis sind, eine ganz spezielle.
…und ohne Verständnis für den Mikl-Pakt
Und Deutsch antwortete dann indirekt auf Sobotka, der etwa den Simon-Wiesenthal-Preis zu seiner und der ÖVP Verteidigung ins Treffen geführt hatte: Da macht man ein paar Tage nach der Verleihung des Wiesenthal-Preises eine Koalition mit der FPÖ in Niederösterreich, wo viele Funktionäre den Holocaust leugnen, wo man bei einigen zu Hause Liederbücher gefunden hat, wo einer Juden registrieren lassen wollte und so weiter – das kann nicht sein, das verstehe ich wirklich nicht. Johanna Mikl-Leitner hatte bei der Präsentation der Einigung mit dieser FPÖ und danach in Interviews anklingen lassen, dass ihr auch aus der jüdischen Community Verständnis entgegengebracht worden sei – auch wenn man sich das nicht öffentlich zu sagen traut. Einzig Peter Sichrovsky, einst Jörg Haiders Verbindungsmann zu dieser Community, äußerte da auf Twitter Verständnis: Es gibt linke und rechte Juden, in Israel laut Kritikern sogar jüdische Faschisten. Juden als Kollektiv in eine politische Schublade zu verstauen, ist fraglich.
Die schwarz-blaue Schublade wieder offen
Die ÖVP ist jedenfalls seit Freitag wieder in einer politischen Schublade mit der FPÖ. Vergessen die Feindschaft gegenüber Herbert Kickl, an dem Sebastian Kurz seinerzeit nach Ibiza die schwarz-blaue Koalition auf Bundesebene scheitern hat lassen. Alles muss möglich sein mit demokratisch gewählten Parteien, hat ÖVP-Klubobmann August Wöginger gesagt. Auch wenn der Parteichef Kickl heißt. Daheim in Oberösterreich funktioniert es schließlich seit acht Jahren auch blendend mit den Blauen, denkt sich Wöginger wahrscheinlich dazu. Man muss doch Optionen haben, wenn dann nach der nächsten Nationalratswahl die bequeme Kurz-Mehrheit weg ist. Dass Schwarz-Blau für viele in der Volkspartei die Lieblings-Option war und ist, das ist nicht neu. Dass die aber auch um den Preis der Unterwerfung und der politischen Selbstverleugnung gezogen wird, macht es beängstigend.
2 Gedanken zu „Die Unterwerfung“
DANKE!
Auch der Kardinal Christoph Schönborn stammelt in der Pressestunde des ORF