Keine Waisenknaben
Hausdurchsuchung bei der Gratiszeitung Heute wegen des dringenden Verdachts der Inseratenkorruption. Wie den Fellners fliegen auch den Dichands ihre Hinterzimmer-Deals mit der Regierungspartei ÖVP um die Ohren, das sind keine Waisenknaben. Aber im Verhältnis Medien-Mächtige geht es mehr oder weniger so weiter wie bisher. Die Message Control der Kanzlerpartei, die anscheinend nur die PR-Tricks des aus der Versenkung geholten Kurz-Strategen Gerald Fleischmann noch an der Oberfläche halten können, hat auch zu Ostern zugeschlagen. Migration und Grenzschutz sind wieder Top-Thema, denn auch der Innenminister und der Kanzler wollen keine Waisenknaben sein.
Eine Aussendung von Kanzleramt und Innenministerium am Samstag Abend, die von der Austria Presse Agentur übernommen wurde, hat genügt. Die gewünschte Berichterstattung folgte breit und auf dem Fuße. Das ist sozusagen die Message Control für Arme: Nutze ein innenpolitisch nachrichtenarmes Wochenende mit personell ausgedünnten Redaktionen – und die Medien werden mitspielen. Lästige Fragen erübrigen sich, weil nicht möglich.
Innenminister Gerhard Karner war dann am Dienstag nach Ostern im Ö1-Morgenjournal – und da musste er auch Fragen beantworten, zum Beispiel zu den systematischen illegalen Pushbacks in Kroatien, für die es Belege aus WhatsApp-Chats von kroatischen Polizisten gibt. Die Vorwürfe müssen natürlich geprüft, dem muss nachgegangen werden, Pushbacks sind illegal, sagte Karner. Um dann zur unverhohlenen Relativierung anzusetzen: Aber es zeigt auch, wie schwierig dieser Job ist an den EU-Außengrenzen, diese Grenzen auch zu sichern. (…) Das ist ein harter Job, denn, und das ist muss man auch klar sagen, Schlepperbanden, das sind keine Waisenknaben, daher muss man hier auch konsequent vorgehen. (…) Das ist ein sehr harter, ein sehr konsequenter Job, der hier getan wird.
Ein sehr harter, ein sehr schwieriger Job
Nachfrage von Moderator Rainer Hazivar: Der Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien werde von der ÖVP weiter blockiert, Kroatiens Beitritt sei praktisch durchgewunken worden. Wurde da Kroatien für rechtswidriges Handeln belohnt? Aber wo, sagt der Innenminister: Es geht hier nicht um Belohnung. Es geht darum, dass ein System funktioniert, und es muss der Außengrenzschutz funktionieren, und daher ist eine Außengrenzkontrolle auch notwendig. Und ich habe es gesagt, es ist oft ein sehr, sehr schwieriger Job, weil auch diese Schlepperbanden äußerst brutal vorgehen. Das sind keine Waisenknaben, das wiederhole ich an dieser Stelle. Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hat darauf hingewiesen, dass aber viele der gepushbackten Geflüchteten genau das seien: nämlich Waisenknaben.
Das ÖVP-Pecken um die Deutungshoheit
Die ÖVP strebe wie unter Sebastian Kurz nach der Deutungshoheit in der Migrationsfrage, sagt der Populismus-Experte Walter Ötsch. Und er fügte im Ö1-Medienmagazin #doublecheck hinzu: Deutungshoheit bekomme ich nur, wenn ich noch radikaler argumentiere. Sprich: die ÖVP spielt der FPÖ in die Hände. Der freiheitliche Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer twitterte denn auch prompt: Karner sollte endlich den Mut haben, auch in Österreich Pushbacks anzuordnen. Die Vorgehensweise der Kroaten diesbezüglich ist in Ordnung.
Johannes Huber beschreibt hier auf seinem Blog anschaulich, in welches Dilemma sich die Nehammer-ÖVP mit diesem Kurs hineinmanövriert hat: Wer heute die ÖVP wählt, muss damit rechnen, morgen mit Kickl aufzuwachen. Das ist dazu angetan, ihr doppelte Verluste zu bescheren. Erstens: einem Teil der Wählerschaft signalisiert sie, dass sie gleich Kickl bzw. dessen FPÖ wählen können. Zweitens: einem anderen Teil der Wählerschaft, für den Kickl untragbar ist, machte sie deutlich, dass sie ihre Stimme unter keinen Umständen der ÖVP geben dürfen, sondern Grünen, NEOS oder – je nachdem, wer diese künftig führen wird – Sozialdemokraten.
Die SPÖ-Hoffnungsträger & die Ampel
Die ÖVP könnte den Männern, die jetzt in der SPÖ nach der Macht greifen, also in die Hände spielen. Sowohl Hans Peter Doskozil als auch Andreas Babler sind mit der Ansage im Rennen, eine andere Koalition bilden zu wollen – eben ohne ÖVP und ohne die Kickl-FPÖ. Eine Ampel, vielleicht gehe sich sogar eine Zweierkoalition aus, fügt Babler gern hinzu. Mit der übermütigen Ansage ist wohl Rot-Grün gemeint. Auch die beiden Herausforderer von Pamela Rendi-Wagner sind keine Waisenknaben – vielleicht nicht ganz im Karner’schen Sinn, sondern in abgemilderter Form. Babler wie Doskozil lassen jedenfalls keine Zweifel daran, dass sie wollen – und dass Sie auch wissen, was.
Gerhard Zeiler über Kerns vertane Chance
Gerhard Zeiler hat in der ORFIII-Sendung Menschenkinder dazu etwas Bemerkenswertes gesagt. Zeiler war 2016 bereit, den SPÖ-Vorsitz zu übernehmen, nach dem Rücktritt von Werner Faymann war dann rasch klar, dass Christian Kern den Vortritt hat. Zeiler sagt heute: Hätte ich gewusst, von welcher Persönlichkeit Kern gestrickt ist, wäre ich angetreten. Denn das war eine unheimlich vertane Chance. (…) Mein Schlüsselerlebnis war: An dem Tag, an dem ich zurückgezogen habe, haben wir uns getroffen. Und Kern hat gefragt, sag einmal, hast du ein Programm, was hättest denn du gemacht? (…) Er hatte sich keine Sekunde vorbereitet, was er machen möchte. Er wollte nur den Sessel. Christian Kern wird das vehement abstreiten.
Die Sesselkleber in der roten Blackbox
Doch Zeilers Schilderung rückt das erdrückende Problem der Sozialdemokraten in den Fokus. Viel zu viele in dieser Partei wollen nur ihre Sessel – im aktuellen Fall behalten. Was die Partei inhaltlich will und wie sie dorthin kommt, war zu lange nebensächlich. Doskozil und Babler stoßen mit ihren Kandidaturen in dieses Vakuum vor. Die Leere füllt mittlerweile alle Bereiche, speziell auch die Außenpolitik, für die noch dazu die Parteivorsitzende Rendi-Wagner die Bereichssprecherin ist. Der aus der SPÖ kommende Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch hat daran im Ö1-Europajournal vernichtende Kritik geübt und in einem hörenswerten Beitrag von Markus Müller-Schinwald von Führungslosigkeit gesprochen.
Die unzureichende Antwort auf den Skandal
Stichwort: keine Waisenknaben. Vernichtend ist auch die Kritik etwa vom Presseclub Concordia und von Publizistik-Professor Fritz Hausjell an der Nicht-Reaktion der Regierung auf die Tatsache, dass jetzt alle drei Boulevard-Zeitungen im Visier der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft stehen. Regierungsinserate werden ein bisschen transparenter, das ist gut. Aber es gibt keine Deckelung, keine Sanktionen, zu wenige Kontroll-Mechanismen. Das ist unzureichend und vor allem unangemessen angesichts der Dimension der Vorwürfe – die gut dokumentiert sind und von einem ehemaligen Spitzenbeamten des Finanzministeriums erhoben werden, der sich damit selbst strafrechtlich massiv belastet.
Der Medienwissenschafter Jakob-Moritz Eberl hat es auf den Punkt gebracht: Es ist schon irgendwie Peak Österreich, dass jene, die gerade in den größten Boulevard-Korruptionsskandal der jüngeren Geschichte verwickelt sind, auch jene sind, die über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, des Presserats und der ältesten noch erscheinenden Qualitätszeitung der Welt entscheiden. Dem ist traurigerweise nichts hinzuzufügen.
Ein Gedanke zu „Keine Waisenknaben“
Danke für den guten Artikel. Er spricht mir aus der Seele