Es riecht angebrannt
Er kenne niemanden in der ÖVP, der nicht kritisch gegenüber Herbert Kickl ist, hat der EU-Abgeordnete Lukas Mandl gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten gesagt. Die Angst vor Demütigung geht um. Die Bewältigungsstrategien der Spitzenfunktionäre ähneln sich. Mandl will die FPÖ in Europa dekontaminieren. Der geschäftsführende ÖVP-Obmann Christian Stocker will eine Bewegung der FPÖ vom rechten Rand in die Mitte sehen, und der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer sagt, die ÖVP müsse das Korrektiv der Mitte sein für die akzentuierte Rechtspolitik von Kickl. Sie stehen hinter der Brandmauer, die Finger versengt, und sprechen sich Mut zu.
Jede dieser Aussagen zeigt, dass sich in der ÖVP – auch an der Spitze – viele bewusst sind, welche Grenze sie da überschritten haben. Es geht längst nicht mehr um Demütigung, es geht um das nackte Überleben in einer akzentuierten Rechtskoalition mit Kickl, um den Haslauer-Sprech aufzugreifen. Das scheint langsam durchzudringen. Hans Rauscher drückt das in einer Kolumne im Standard so aus: Die Kickl-FPÖ strotzt vor Selbstbewusstsein und Machtwillen. Sie hat einen Plan: mit der ÖVP an die Macht kommen und sie dann inhalieren. Die FPÖ sieht schon ihre Felle davonschwimmen und hat am Wochenende versucht, mit Statements ihrer Landespolitiker Druck aufzubauen. Und Herbert Kickl spielte mit einem Posting zur heiklen EU-Frage den Good Cop: Die FPÖ spreche sich für ein einheitliches und klares Auftreten der Bundesregierung auf EU-Ebene aus.
Einen Kickl nimmt keiner an die Leine
Das heißt halt nichts. Kickl hätte als Bundeskanzler eine besondere Stellung als Vertreter Österreichs im Europäischen Rat. Man kann sogar von einer Leitlinienkompetenz sprechen, und Kickl könnte in dieser Rolle Allianzen mit akzentuierten Rechten wie Viktor Orbán schmieden. Da kann sich die ÖVP auf jenen Kopf stellen, in dem Christian Stocker nach eigener Aussage eine Lösung für diese knifflige Frage schon parat hat. Herbert Kickl wird da ein gewichtiges Wort mitreden wollen und das auch tun. Das gilt auch für die Europäische Sky Shield Initiative, der Kickl nie und nimmer zustimmen kann, weil er sich kategorisch festgelegt hat: Nähme Österreich daran teil, dann wäre das ein Beitritt zur NATO durch die Hintertür und das Ende der heiligen Neutralität. Dem FPÖ-Chef ist egal, was Völkerrechtler dazu sagen, und dass uns die Neutralität schon länger nicht mehr heilig ist.
Akzentuiert rechts bis rechtsextrem
Akzentuiert rechts ist bei der FPÖ bisweilen auch rechtsextrem. Den soeben veröffentlichten Bericht über Rechtsextremismus in Österreich 2023 hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Auftrag auch des ÖVP-geführten Innenministeriums erarbeitet. Die FPÖ kommt darin öfter vor, als der Bericht Seiten hat. Detailliert wird auch die rechtsextreme Publizistik von AUF1 bis Info-Direkt beschrieben – FPÖ-nahe verschwörerische Propaganda-Medien, die die Freiheitlichen in einer Regierung mit der ÖVP mit staatlichen Fördergeldern überschütten wollen. Gleichzeitig will die FPÖ den ORF zerstören, wie der Redaktionsrat aus gutem Grund warnt. Eine 15-prozentige Kürzung der Einnahmen aus dem ORF-Beitrag samt Umstellung auf Budgetfinanzierung – das wäre erst der Anfang. Der ORF werde seinen Beitrag leisten müssen, sagt Wilfried Haslauer dazu. Die Landesstudios sind dem Landeshauptmann schon sehr, sehr wichtig. Ansonsten gilt das Prinzip Hoffnung.
Rosenkranz tarnt durchs Gedenkjahr
Und da ist auch noch der FPÖ-Nationalratspräsident, der nur dank der Stimmen der ÖVP gewählt worden ist. Seine erste sichtbare Amtshandlung war ein Interview mit dem rechtsextremen Online-Sender AUF1, der für Walter Rosenkranz ein Medium wie jedes andere ist. Die zweite war der Empfang für Viktor Orbán im Parlament, an dem nur FPÖ-Politiker teilgenommen haben, wodurch sich Rosenkranz in Widersprüche verstrickte. Bei der Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag im Parlament – vor 80 Jahren ist das KZ Auschwitz befreit worden – wird der Nationalratspräsident dabei sein, aber nicht das Wort ergreifen. Walter Rosenkranz wird also anwesend sein, aber so tun, als wäre er weg. Bei der Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises im März wird Rosenkranz das wieder so handhaben. Er will nach außen umgänglich erscheinen, sei aber jederzeit fest entschlossen, seine Vorstellungen durchzusetzen, heißt es. Das passt ins freiheitliche Gesamtbild.
Am Bauch liegend in der Nebenrolle
Die jüdische Gemeinde akzeptiert die Rosstäuscherei nicht, die Zeichen stehen im Gedenkjahr weiter auf Konfrontation. Was nicht überrascht. Einer der zentralen Akteure in der Kickl-FPÖ, Klubdirektor Norbert Nemeth, verhandelt unter anderem den Punkt Kampf gegen Antisemitismus. Der Burschenschafter Nemeth hat sich früher für die Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes stark gemacht. Heute will die FPÖ das Gesetz relativieren, indem auch der politische Islam davon erfasst sein soll. Nemeth ist überdies Präsident vom sogenannten Atterseekreis, der die konservative Gegenrevolution propagiert. Das ist die Grundlage für das Playbook von Herbert Kickl, in dem der ÖVP nur eine Nebenrolle zugedacht ist.
Wir sind sicher nicht diejenigen, die jetzt mit Demut vor einem Kickl am Bauch liegen und darum betteln, in die Regierung aufgenommen zu werden, hat der abtretende Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer am Sonntag in der ORF-Pressestunde gesagt. Vor dem Hintergrund oben würde man ihm das gern glauben. Aber mit der Glaubwürdigkeit der ÖVP ist das so eine Sache. Und von wegen am Bauch liegen: Krachend umgefallen sind sie schon oft.