Es fliegt, es fliegt
Ist doch schön. Es kommt jetzt das zweite verpflichtende Kindergartenjahr, das ÖVP-Verhandler Harald Mahrer schon fast geil findet, nachdem es von Ländern und Gemeinden im Sommer dieses Jahres fast umgebracht worden wäre und vom Bund zwischendurch schon aufgegeben worden ist. Es kommen hübsche 15-Prozent-Modellregionen für die gemeinsame Schule in manchen, aber nicht allen Ländern. Und es kommen Bildungsdirektionen, die pro forma dem Bund, aber de facto den Ländern unterstehen. So geht gemeinsame Zuständigkeit in Österreich. Erwin Pröll hat bekommen, was er wollte, obwohl er zur Halbzeit ausgestiegen ist. Es fliegt, es fliegt: die große Bildungsreform.
Und nein. Wir wollen nicht schon wieder einen Erfolg der Bundesregierung schlechtmachen. Diese Koalition schlittert mit uns durch schwierige Zeiten und hat Erfolge bitter nötig. So hart hat sie auf diesen 17. November hingearbeitet, zwei Länder-Verhandler – ein schwarzer und ein roter Landeshauptmann – sind verschlissen worden. Die Bildungsministerin trat monatelang kaum öffentlich in Erscheinung, so sehr hat sie diese Reform in Anspruch genommen. Und das Glas ist ja nicht nur halb leer.
Das Glas ist nicht nur halb leer
Es steht ein Fuß in der Tür zur gemeinsamen Schule, die ÖVP wird diese Tür nicht so leicht wieder zu kriegen, wie das der Wiener Bürgermeister Michael Häupl von der SPÖ im Ö1-Interview ausdrückt. Und er hat wohl recht damit, zumal es mittlerweile auch in der ÖVP echte Verfechter der gemeinsamen Schule gibt – etwa den Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. Der Kindergarten als Bildungseinrichtung wird durch ein zweites Pflichtjahr und eine verbesserte Ausbildung der Pädagoginnen aufgewertet. Für alle Experten ist das ein entscheidender Schritt. Nicht zuletzt wird die Schulautonomie ausgebaut, mehr Freiheit für künftig auf fünf Jahre bestellte Direktoren – nach allen bildungspolitischen Erkenntnissen ein Schlüssel zum Gelingen von Schule.
Bildungspolitik bleibt Machtfrage
Und jetzt kommt das große Aber, das der Standard auf den Punkt gebracht hat. Lisa Nimmervoll schreibt von einem Machwerk des Mach(t)baren – und das beschreibt das Wesen dieser Reform sehr schön. Die Schulautonomie kommt, aber sie geht zu wenig weit. Derzeit ist Österreich im OECD-Vergleich hier Schlusslicht, weil nur vier Prozent der Entscheidungen auf Schulebene fallen. Künftig sind es vielleicht vierzehn Prozent. Die erfolgreichen Niederlande lassen ihre Schulen hundert Prozent entscheiden – bei uns ist da kein Hindenken. Freiraum im Lehrplan wird nach Schultypen differenziert, Direktoren dürfen sich ihre Lehrer aussuchen. Aber nur in einem engen Korsett. Das gilt auch für den autonomen Einsatz von Support-Personal.
Lehrerdienstrecht völlig daneben
Dazu kommt, dass das Lehrerdienstrecht überhaupt nicht auf Schulautonomie, die diesen Namen verdient, abgestellt ist. Es werden Stunden gezählt – gestern, heute und auch morgen. Denn das vor zwei Jahren beschlossene und bald einmal für alle Junglehrer geltende neue Dienstrecht ist um keinen Deut besser als das alte. Da werden weiter Stunden gezählt. Ein flexibler Lehrereinsatz im modernen Schulalltag ist dadurch praktisch nicht möglich. Durchgehend anwesende Lehrer, die in der Schule einen ordentlich ausgestatteten Arbeitsplatz haben, sind in der großen Bildungsreform wieder nicht vorgesehen. Da können Bildungsforscher fordern, was sie wollen.
Kindergärten nur nicht zum Bund
Beispiel Kindergarten: Da ist man in der Frage der Ausbildung der Pädagoginnen aus Kostengründen auf halbem Weg stehen geblieben. Keine Akademisierung, das können wir uns nicht leisten. Auch wenn die Elementarpädagogik im Wortsinn elementar und entscheidend für den Bildungsverlauf eines Kindes ist. Das verpflichtende zweite Kindergartenjahr wiederum ist nur relativ verpflichtend, weil es eine Opt-out-Möglichkeit gibt, wenn kein Förderbedarf besteht. Dass Kinder vor allem auch voneinander lernen und auch die Begabten in den Kindergarten gehen sollten, ist zwar logisch – wird aber wieder auf dem Altar der Länder- und Gemeindeinteressen geopfert. Folgerichtig hat es auch erst gar keine Diskussion darüber gegeben, ob das Kindergartenwesen besser Bundessache werden sollte. Wie die Sozialpartner und viele andere meinen.
Auch Lehrer de facto in Länderhand
Statt den elementarpädagogischen Bildungsföderalismus zu beenden, wird der Ländereinfluss eher noch gestärkt. So sind die geplanten Bildungsdirektionen, in denen die Agenden für Landes- und Bundeslehrer auch organisatorisch gebündelt werden sollen, als gemeinsame Behörden von Bund und Ländern angelegt. Aber hinter vorgehaltener Hand freut sich jeder Ländervertreter darüber, dass die Länder ganz klar das Sagen haben. Denn der Landeshauptmann kann sich per Landesgesetz zum Präsidenten seiner Bildungsdirektion machen, und der Bildungsdirektor ist zwar ein Bundesbediensteter – wird aber auf Vorschlag des Landeshauptmanns vom Bund auf fünf Jahre ernannt. Und Weisungen des Bundes gibt’s keine. Read my lips.
Das Mangelbudget wird prolongiert
Ob die vereinbarte Verrechnung aller Lehrer über das Bundesrechenzentrum endlich Transparenz und Effizienz in die Kostenstruktur bringt, das muss sich erst einmal zeigen. Wie überhaupt die Geldfrage völlig offen ist. Im Bildungsbudget fehlen strukturell ein paar hundert Millionen Euro, die Reform sollte diese Lücke schließen. Doch davon ist nichts zu sehen. Es dürfte also bei der Mangelwirtschaft bleiben. Die Modellregionen für die gemeinsame Schule müssen ohne zusätzliche Mittel des Bundes bewerkstelligt werden, das steht fest.
Halb voll, halb leer & etwas jenseits
Die Modellregionen sind ohnehin ein eigenes Kapitel. Halb voll. Halb leer. Und ein bisschen jenseits. Sie dürfen nur 15 Prozent der Standorte und 15 Prozent der Schüler einer Schulart umfassen. Dass Vorarlberg und Wien es gern flächendeckend gehabt hätten, war einigen in der ÖVP egal. Als ob man die gemeinsame Schule, von deren Sinnhaftigkeit man politisch überzeugt ist, in einer Modellregion nur erproben würde, um dann schnell wieder zur AHS-Unterstufe zurückzukehren. Das Gegenteil ist der Fall: Vorarlberg und Wien wollen eine Modellregion, um Erkenntnisse zu gewinnen und die gemeinsame Schule im Anschluss daran ins Regelschulwesen zu übernehmen.
Fleckerlteppich ist im Anflug
Mit den willkürlichen Beschränkungen wird das alles unnötig erschwert. Verfechter der gemeinsamen Schule wie Häupl & Platter, die den Kompromiss mitverhandelt haben, müssen sich entsprechend argumentativ verbiegen. Die Gegner der gemeinsamen Schule müssen gar nichts machen, wenn sie nicht wollen. Sie müssen nur weiterhin das Gymnasium beschwören und betonen, dass für bildungspolitische Experimente kein Geld da sei. Es fliegt, es fliegt: der bildungspolitische Fleckerlteppich.