Die Realdemokraten
Anton Pelinka, profunder Kenner der Sozialdemokratie, hat über die rote Dominotheorie schon alles geschrieben, was zu schreiben ist: Die SPÖ fällt um und fällt um und fällt um. Und sie fällt immer in eine bestimmte Richtung: immer in jene der FPÖ. Gemeint ist damit ein Schwenk in der Flüchtlingsfrage, den der als Verteidigungsminister getarnte neue SPÖ-Welterklärer Hans Peter Doskozil als Hinwendung zur Realität abgetan hat. Es ist natürlich mehr als das, weil es sozialdemokratische Werte auf das Gerade-noch-Einhalten der rechtsstaatlichen Regeln reduziert. Und es wirft vor allem die Frage auf, wo das hinführt.
Die Vorboten waren alte Bekannte, sie heißen Josef Cap und Norbert Darabos – und man kann ihnen sicher nicht vorwerfen, dass ihnen die Sozialdemokratie nicht am Herzen liege. Aber Darabos ist einst bei Hans Niessl in die Schule gegangen und sitzt jetzt in dessen rot-blauer Regierung in Eisenstadt. Als selbsternanntes Bollwerk gegen rechts. Cap stellt längst keine Fragen mehr und schon gar nicht solche, wie sie ihn 1983 als Jungmandatar per Vorzugsstimmen ins Parlament katapultiert haben, wo er bis heute sitzt. Und der Ex-Zentralsekretär und Ex-Klubobmann gibt Antworten, die sonst keiner geben will oder nicht so eloquent geben kann.
Cap & Darabos als rot-blaue Vorboten
Josef Cap war zur Stelle, als es galt, den rot-bauen Tabubruch im Burgenland zu zerreden und zu verharmlosen – den der Bundesparteivorsitzende nicht verhindern konnte und wollte. Auch Werner Faymann ein fallender Dominostein, wie Pelinka in der Zeit schreibt. Cap ist jetzt wieder zur Stelle, wenn es gilt, den Schwenk der SPÖ in der Asylpolitik zu rechtfertigen. Wer dem stellvertretenden SPÖ-Klubchef Josef Cap vergangenen Donnerstagabend in der ORF-III-Sendung “60 Minuten Politik” lauschte, der vermeinte, einen freiheitlichen Politiker vor Ohren zu haben. Schreibt Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten. Cap, ein längst gefallener Dominostein.
Innenpolitischer Outlaw als Vordenker
Norbert Darabos war schon als Verteidigungsminister ein Wackelkandidat, er ist ins Burgenland gefallen und macht dort den Asyl-Landesrat in einer SPÖ-FPÖ-Regierung. Ein innenpolitischer Outlaw, der sich zuletzt aber durchaus selbstbewusst zu Wort gemeldet und seine Partei davor gewarnt hat, nachhaltig politisches Gewicht zu verlieren. In einem Interview mit dem Standard erinnert Darabos an Bruno Kreisky und dessen Pragmatismus, auch was SPÖ-Minister mit Nazi-Vergangenheit betraf. Man kann auch sagen, man vertritt hehre politische Ziele und entwickelt sich halt in Richtung einer Sekte. Aus meiner Sicht ist das der falsche Weg, sagt Darabos.
Pragmatismus von Kreisky als Vorbild
Tatsächlich war es Kreisky, der die bisher einzige rot-blaue Koalition auf Bundesebene zwischen 1983 und 1986 vorbereitet und eingefädelt hatte. Vielleicht wäre Kreisky auch heute pragmatisch im Umgang mit den Freiheitlichen und den politischen Inhalten, für die sie stehen. Vielleicht wäre ihm als Politiker von internationalem Format der Preis zu hoch, vielleicht würde er eher die Haltung von Angela Merkel einnehmen – an der nach dem jüngsten Auftritt bei Anne Will für viele eine Sozialdemokratin verloren gegangen ist. Aber Kreisky ist tot, und der SPÖ geht es nicht besonders gut.
Häupl in den Wirren um seine Nachfolge
Es regieren Werner Faymann, Josef Ostermayer und Hans Peter Doskozil als kommender Mann mit Hans Niessl im Hintergrund. Der einst mächtige Michael Häupl hat in der Wiener SPÖ den Konflikt im Kleinen: sozialdemokratische Werte versus Realität, die in den großen Außenbezirken massive Verluste in Richtung FPÖ bedeutet. Das alles ist verdichtet im Kampf um die Nachfolge Häupls an der Spitze der Partei und auf dem Bürgermeistersessel. Häupl selbst hat sich von seiner Haltung gegen eine Politik des Abschottens vor der Gemeinderatswahl im Oktober längst verabschiedet, auch wenn das bei ihm nicht mit so vielen Zitaten belegbar ist wie bei Werner Faymann.
Der Kanzler entzieht sich der Nachfrage
Die SPÖ-Gewerkschafter verhalten sich unauffällig. Man weiß ja nicht, wohin der Partei-Tanker steuert. Wenn man bei Doskozil nachfragt, kommt wenig Konkretes. Über Kritik wie jene des langjährigen EU-Spitzenparlamentariers Hannes Swoboda müsse man intern beraten. Der Schwenk sei kein Schwenk, man müsse aber die Realität zur Kenntnis und die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Doskozil spricht überall, der Kanzler hauptsächlich mit den Boulevardmedien. Die Kronenzeitung hat es ihm mit einer fast hymnischen Danksagung für den Asyl-Schwenk vergolten.
Über Beschlusslage zur FPÖ nachdenken
Von Ö1 gefragt, ob er als Niessl-Vertrauter der Wegbereiter von Rot-Blau auch auf Bundesebene sei, sagt Hans Peter Doskozil: Das sei überhaupt kein Thema, es gebe einen Parteitagsbeschluss, an den hielten sich alle. Norbert Darabos sieht das im Standard-Interview viel differenzierter: Am Parteitag – das ist jetzt wahrscheinlich gefährlich, was ich sage – spiegelt sich in den Abstimmungsergebnissen nicht immer das reale Bild der Partei und auch der Bevölkerung wider. Und das müsse man auch thematisieren, regt der Realdemokrat Darabos nicht mehr und nicht weniger an als ein Überdenken der Beschlusslage in Sachen FPÖ.
Neue Realität auch in der Koalitionsfrage?
Das ist nur konsequent. Wer so explizit Politik nach Art der Freiheitlichen macht, der kann auch eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ nicht mehr glaubwürdig ausschließen. Die ÖVP tut das bekanntlich nicht. Die SPÖ, die gerade den Eindruck erweckt, als wolle sie die ÖVP rechts überholen, hält auf Bundesebene immer noch am Nein zur FPÖ fest – obwohl es längst überall bröckelt und im Burgenland rot-blaue Tatsachen geschaffen wurden. Andererseits hat die SPÖ gerade vorgeführt, wie schnell sie sich zur Realität hinwenden kann. Warum nicht auch in der Koalitionsfrage.