Kick it like Trudeau
Justin Trudeau, kanadische Lichtgestalt und Vorlage für den österreichischen Start-up-Kanzler Christian Kern, hat im Parlament gerempelt und eine schlechte Nachrede. Trudeau ist ja nach einem symbolträchtigen Benefiz-Boxkampf, den er gewonnen hat, Parteichef der Liberalen geworden. Kern dagegen hat sich sehr österreichisch an die SPÖ-Spitze geboxt. Mittels Verschwörung, von der keiner etwas wissen will. House of Cards für Arme hat es der ironiebegabte Kanzler genannt. Es wird eine Fußnote bleiben. Wenn es Kern gelingt, das zerrissene Land wieder zu einen. Denn das wird zu einem guten Teil sein Job sein.
Es ist nicht egal, wer Bundespräsident wird. Aber unabhängig davon, ob der Grüne Alexander van der Bellen die Stichwahl gewinnt oder der Blaue Norbert Hofer: ein Graben spaltet das Land, der in den letzten Wahlkampfwochen so richtig tief geworden ist. Der durchzieht Familien und Freundschaften, wie viele in ihrem Umfeld beobachten können und wie Barbara Kaufmann hier sehr gut beschreibt. Diese Polarisierung der Gesellschaft wird am Tag nach der Wahl nicht weg sein – ja nicht einmal dann, wenn Österreich im Juli die Fußball-Europameisterschaft gewinnen sollte. Allerdings: das würde dann schon ein bisschen helfen. Wahrscheinlich.
Der Europameister-Titel könnte helfen
Neben den Kickern kommt dem politischen Hoffnungsträger Christian Kern da eine ganz zentrale Rolle zu. In gewisser Weise vergleichbar mit dem Wirken von Franz Vranitzky, der vor dreißig Jahren in einer ähnlichen Situation Regierung und SPÖ übernommen hat: Kurt Waldheim war in die Hofburg gewählt worden, das Land war gespalten, das rot-schwarze System begann zu erodieren. Vranitzky hatte dem Aufstieg der Haider-FPÖ nichts entgegenzusetzen, aber er hat das Land in die EU geführt und den schlampigen Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit beendet. Nach innen war Vranitzky die integrative Figur, die der international isolierte und im eigenen Land polarisierende Waldheim nicht sein konnte.
Kern auf den Spuren des jungen Vranitzky
Kern könnte und muss mit der visionären Politik, die er uns ja in Anlehnung an das Franz Vranitzky zugeschriebene Zitat von den Visionen & dem Arzt versprochen hat, heute diese integrative Arbeit leisten. Denn Integration ist nicht etwas, das sich auf Flüchtlinge und Zuwanderer beschränkt. Die Gesellschaft ist fragmentiert – zuletzt 425.000 Arbeitslose, viele Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen, zu wenig Perspektiven für die Jungen. Das ist der soziale Sprengstoff, der sich gerade bei der Bundespräsidenten-Wahl entladen hat. Man kann es nicht oft genug sagen: Es sind die Kandidaten der Opposition, die sich um das Amt des Staatsoberhaupts matchen. Rot & Schwarz sind mit zusammen 22 Prozent kläglich gescheitert.
Because it’s 2016 mit Vorzeige-Muslimin
Die SPÖ hat aus dem Debakel maximale Konsequenzen gezogen. Ein neuer Parteichef und Bundeskanzler, drei neue Minister, eine neue Staatssekretärin. Muna Duzdar ist nicht nur die erste Muslimin in einer österreichischen Bundesregierung, sie hat auch politisch einiges drauf. Das hat sie in Serien-Interviews in Tageszeitungen nur drei Tage nach der Angelobung bewiesen. Kluge Aussagen zu Bildung und Integration, zu Israel und der Palästinenserfrage. Alles nicht ihr Zuständigkeitsbereich, aber Duzdar schafft diese Gratwanderung spielend. Als politisches Vorbild nennt sie Justin Trudeau, der mit einem bunten Kabinett samt Parität von Frauen und Männern angetreten ist. Because it’s 2015. Christian Kern sei ein österreichischer Trudeau, sagt Duzdar.
Der ironiebegabte Kanzler kann Symbol-Politik
Duzdar passt in dieses Bild. Sie will keine Vorzeige-Muslimin sein, weiß aber um die Signalwirkung dieser Personalentscheidung. Das ist die Stärke von Kern, das hat er wohl tatsächlich mit Trudeau gemeinsam. Er weiß um die Wirkung von Symbolen, das haben seine Antrittsreden als designierter SPÖ-Chef und Bundeskanzler gezeigt, als er offen das Politikversagen angesprochen und einen New Deal angekündigt hat. Bei der ÖBB hat es Kern geschafft, eine positive Erzählung über die Bahn in die Welt zu setzen. Nicht weniger als das erwarten sich seine Parteifreunde von ihm auch für die Sozialdemokratie und die Staatsbürger für die Regierungsarbeit.
Kann Kern Match mit Sozialpartnern & Ländern?
Damit das gelingt, muss Kern aber weit über die Symbolpolitik hinausgehen. Dazu muss er sich mit dem System anlegen, das bei der Bundespräsidentenwahl abgestraft worden ist. Denn das waren nicht nur SPÖ und ÖVP für sich, da waren die allmächtige Sozialpartnerschaft und die machtverliebten Landesfürsten durchaus mitgemeint. Die Frage ist, wie sehr Christian Kern da durchdringen kann und will. Alfred Gusenbauer hat seinerzeit die Rolle der SPÖ-Gewerkschafter in Regierung und Parlament in Frage gestellt. Es ist ihm politisch nicht gut bekommen.
Volkspartei verkholt in der Schockstarre
Und dann wäre da noch die ÖVP, die im Gegensatz zur SPÖ null Konsequenzen aus dem Wahldebakel gezogen hat. Man fragt sich, warum Reinhold Mitterlehner nicht auch ein paar Leute auswechselt, um ein Zeichen zu setzen – was er vor wenigen Wochen durchaus noch im Sinn gehabt hat. Stattdessen darf der ÖVP-Klubobmann den neuen Kanzler anpöbeln, bevor der noch im Amt ist, und dann sagen, er sei über Nacht klüger geworden – keiner glaubt das dem Reinhold Lopatka. Aber Mitterlehner tut so, als wäre nichts, nachdem er seinem feschen Bräutigam Kern das Ja-Wort gegeben hat.
Die Clique von Sebastian Kurz ist wachsam
Im Hintergrund pflegt derweil der talentierte Herr Kurz seine Popularitätswerte und verfolgt mit Argusaugen, wie sich der nicht minder talentierte Herr Kern mit versierten Beratern im Feld der Außenpolitik aufstellt. Dazu selbstbewusste Aussagen von Muna Duzdar auf dem Feld der Integration – und schon reitet ein Kurz-Vertrauter aus, um den Kanzler und seine Neuen vor allzu heftigem Wildern im Revier des ÖVP-Stars zu warnen. Offenbar traut die Kurz-Clique dem Austro-Trudeau ein #elbowgate zu, das direkt gegen den letzten Hoffnungsträger der ÖVP gerichtet ist. Das schaut so gar nicht nach New Deal aus. Das ist Damned Old School.