Der Bonus-Track
Heinz-Christian Strache muss sich mit nicht ganz von der Hand zu weisenden Spekulationen herumschlagen, ob nicht sein Präsidentschaftskandidat Norbert Gerwald Hofer der bessere FPÖ-Spitzenkandidat für die nächste Nationalratswahl wäre. Weil der besser verschleiern kann, wofür die FPÖ so alles steht. Reinhold Mitterlehner ist so tief drinnen in der ÖVP-Obmanndebatte, dass er jetzt schnell einmal den Generalsekretär ausgetauscht hat. Der beim ersten Auftritt in der ZIB2 ziemlich geschwommen ist. Da hat es Christian Kern vergleichsweise gut. Der SPÖ-Vorsitzende bleibt bis auf Weiteres der Bonus-Track der Innenpolitik.
Kurioserweise auch deshalb, weil diesem Track ein Hauch von Internationale innewohnt, und das Ganze an manchen Stellen ziemlich retro klingt. Der Kanzler tritt ja bekanntlich gegen die Übermacht der Konzerne auf, indem er das ziemlich geschickt mit dem populistischen Widerstand gegen die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada verknüpft. TTIP & CETA. Ein Kniefall vor dem Boulevard, den Kern in eine Rückkehr zu den sozialdemokratischen Wurzeln umdeutet.
Ein Kniefall vor der Krone & Back to the roots
Die Vernunft hat gesiegt: Österreich sagt TTIP ab! https://t.co/gwOGyTaS4d pic.twitter.com/UmwU1wmZ4A
— Kronen Zeitung (@krone_at) August 31, 2016
Dann die Wertschöpfungsabgabe vulgo Maschinensteuer, die noch kein sozialdemokratischer Bundeskanzler mit so viel Verve und Überzeugung in die politische Debatte eingebracht hat wie Kern. Ein Steuergerechtigkeitskonzept ist auf dem Weg, das selbstverständlich Erbschafts- und Vermögensteuer enthalten wird. Und zu allem Möglichen sollen jetzt die SPÖ-Mitglieder befragt werden. TTIP und CETA sind schon fix. Kern kann sich auch Urabstimmungen über Koalitionsverträge vorstellen. Es ist der Versuch, die Partei zu durchlüften und zu modernisieren. Denn die SPÖ ist ein Sanierungsfall, der den Vorsitzenden vor große Herausforderungen stellt.
Lernt SPÖ mit linkem & rechtem Flügel fliegen?
Christian Kern wird daran gemessen werden, wie er den Widerspruch zwischen Rot-Grün in Wien und Rot-Blau im Burgenland bewältigt. Ob die SPÖ mit ihrem linken und ihrem rechten Flügel fliegen zu lernen versteht. Das Ziel des Parteichefs scheint es zumindest zu sein: eine Asyl-Sonderverordnung mit Fingerspitzengefühl, ein klares Ja zur Obergrenze für Asylwerber mit dem Bekenntnis, dass es nicht zu menschlichen Dramen im Niemandsland an der Grenze kommen dürfe, und im Übrigen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen und sie zurückgewinnen. Letzteres wollen zwar die ÖVP und die FPÖ auch, aber die tun sich mit dem Thema von ihrem Wesen und vom Markenkern (© Reinhold Mitterlehner) her um einiges leichter.
Ein Pragmatiker und Geschichten-Erzähler
Der SPÖ-Vorsitzende versucht diesen von den Linken so empfundenen Makel mit Themen wie Steuergerechtigkeit und starker Staat auszugleichen. Sein Mantra, dass sehr viele Komponenten des iPhone dank staatlicher Forschungsausgaben entwickelt worden seien, hat Kern von der Ökonomin Mariana Mazzucato geklaut, die er für November zum Gedankenaustausch ins Kanzleramt eingeladen hat. Mazzucato propagiert den Staat als Unternehmer, auch ein ur-sozialdemokratisches Anliegen. Auf dem baut der SPÖ-Chef Kern seine Erzählung von der Rückkehr der Sozialdemokratie auf, der Kanzler Kern setzt gleichzeitig auf pragmatische Schritte wie ein Start-up-Paket und die Reduktion der Bankenabgabe verknüpft mit einer Bildungsmilliarde.
Weiten Teilen der ÖVP ist dieser Kern unheimlich
Weiten Teilen der ÖVP ist dieser Christian Kern unheimlich. Er ist gekommen, und er scheint einen Plan zu haben. Keine Ahnung, ob der Plan aufgeht. Doch Kern vermittelt den Eindruck, dass er alles daran setzen wird. Erwin Pröll in Niederösterreich spricht bereits von einem spürbaren Linksruck der SPÖ, der Sebastian-Kurz-Vertraute Asdin El Habbassi von der Jungen ÖVP hat es so ausgedrückt:
@kernchri sehr eloquent, verkauft sich wirklich gut – aber sachlich, inhaltlich tw. schwer daneben. #orfsg16
— Asdin El Habbassi (@asdin_elh) September 5, 2016
Das war eine Reaktion auf das letzte Sommergespräch mit Susanne Schnabl, in dem Kern noch zwei Dinge in bemerkenswerter Offenheit gesagt hat. Er gehe zwar davon aus, dass er zwei Regierungsperioden lang den Kanzler machen werde. Aber: Ja, er würde auch als Oppositionschef zur Verfügung stehen. Und Kern bekannte sich zur Koalition mit der ÖVP – aber nur bis 2018, dann werde man wohl auch einmal andere Regierungsmodelle in Erwägung ziehen müssen. Das war deutlich und kann nur auf eine Dreier-Koalition von SPÖ, Grünen und NEOS hinauslaufen, wenn sich das rechnerisch überhaupt ausgeht. Blau-Schwarz wäre der logische Gegenentwurf.
Spätestens 2018 dann das große Reframing
Kern ist ein begabter Rhetoriker und versteht es auch, die Dinge gegebenenfalls in einen neuen Rahmen zu stellen. Reframing nennt man das. Der SPÖ-Chef wird das bald einmal brauchen. Denn eines nicht allzu fernen Tages wird sich wahrscheinlich herausstellen, dass sich ein österreichischer New Deal mit einem Zeithorizont bis 2025 zwischen SPÖ und ÖVP nicht ausgehen wird. Dann sollte Kern eine Vorstellung davon haben, wie das mit der neuen Regierungskonstellation ohne ÖVP und ohne FPÖ denn klappen kann. Großes Risiko. Aber wenn er seine Kritik an der Machtversessenheit ernst nimmt und locker bleibt, dann wird dem Kanzler dazu sicher einiges einfallen.