Verwischegrad
Als der damalige Bundespräsident Thomas Klestil 1996 an einer atypischen Lungenentzündung erkrankte, versetzten ihn die Ärzte übers Wochenende in künstlichen Tiefschlaf, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Die Frage der Amtsfähigkeit wurde zum Thema, und der Leiter des Ärzteteams, Wolfgang Graninger, hatte einen legendären Auftritt in der ZIB2, wo er sich so verteidigte: Erstens sei am Wochenende in Österreich nichts los, und zweitens habe der Bundespräsident keinen Atomkoffer. Sprich: er müsse keine schwerwiegenden Entscheidungen treffen. FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Gerwald Hofer hat mittlerweile bei jedem Auftritt einen imaginären Atomkoffer dabei.
Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird. Mit diesem Spruch hat Hofer so überzogen, dass er es vorzog, über den Sommer reifer zu werden, wie er sagt. Hofer will die Regierung jetzt nicht mehr bei allen möglichen Gelegenheiten entlassen, dafür will er ihr ins Handwerk pfuschen. Medienauftritte inszenieren, um die Regierung zum Handeln zu zwingen. Damit wäre der Bundespräsident dann genau der Zwischenrufer der Tagespolitik, der er keinesfalls sein darf. Das ist nicht seine Aufgabe, was aber selbstverständlich nicht heißt, dass der Bundespräsident nicht mit der Bevölkerung Kontakt halten soll. Das soll er unbedingt. Sagt man das nicht dazu, wird man von Hofer sofort als abgehobenes Mitglied der mutmaßlich linken Schickeria abgestempelt.
Vom eisernen Besen zum Zwischenrufer
Der FPÖ-Kandidat verwischt Spuren und Grenzen. Den Austritt Österreichs aus der EU hat Hofer abgesagt – aber nicht ohne weiter damit zu spekulieren. Als Vehikel dienen ihm die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, Erweiterungskommissar Johannes Hahn will da weitere Kapitel eröffnen. Das braucht zwar die Zustimmung der Mitgliedsstaaten, aber das stört Hofer in seiner Argumentation überhaupt nicht. Der Hauch von Blamage für Bundeskanzler Christian Kern in Sachen Türkei-Verhandlungen passt ihm & Strache gut ins Konzept. Denn Kern hat seine Forderung nach Abbruch der Beitrittsgespräche mit Ankara beim Gipfel in Bratislava nicht nur relativiert, sondern korrigiert.
Kandidaten-Präsident macht Außenpolitik
Zweihundert Kilometer donauabwärts von Bratislava liegt Visegrád. In der ungarischen Kleinstadt haben Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn 1991 eine Zusammenarbeit vereinbart, mittlerweile treten die Vier auch innerhalb der EU ausdrücklich als Gruppe auf. Für den FPÖ-Präsidenschaftskandidaten ist das ein attraktives Modell, das hat er nach seinem Besuch beim tschechischen Präsidenten Milos Zeman betont. Hofer will in Absprache mit Zeman eine Union in der Union – ein Konzept, das den Widerspruch des tschechischen Premierministers Bohuslav Sobotka erntete. Wir werden keine Union in der Union bilden und auch niemanden ausschließen. Europa muss zusammenarbeiten und zusammenhalten, so der Sozialdemokrat Sobotka. Sein Verhältnis zu Präsident Zeman, der als Linkspopulist gilt, ist ein angespanntes.
Dann treten wir halt der Visegrád-Gruppe bei
Das Angespannte aus österreichischer Sicht ist, dass Kanzler Kern eine ähnliche Position hat wie sein tschechischer Kollege Sobotka. Eine Annäherung Österreichs an die Visegrád-Gruppe ist für den SPÖ-Chef keine Option. Doch nach Hofers Vorstoß in Prag ist FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache jetzt einen Schritt weitergegangen und hat in der Tiroler Tageszeitung gefordert, Österreich solle den Antrag auf Aufnahme in die Visegrád-Gruppe stellen. Eine – wie es der Politikwissenschafter Anton Pelinka in der ZIB2 genannt hat – spektakuläre Forderung. Nicht weil es Strache fordert. Sondern weil es Präsidentschaftskandidat Norbert Gerwald Hofer fordert, der mit Zeman schon vereinbart hat, in dieser Sache als gewählter Bundespräsident wieder nach Prag zu kommen. Und eine Reise nach Polen steht auch schon auf Hofers Programm.
Blaue Neutralitätshüter drängen in NATO-Block
Während Alexander van der Bellen sich als Präsidentschaftskandidat in nobler Zurückhaltung übt, was internationale Kontakte betrifft (und sogar die Einladung von Heinz Fischer, nach Slowenien mitzufahren, wegen der Wahlanfechtung letztlich nicht wahrgenommen hat) – währenddessen macht Hofer handfeste Außenpolitik. Das macht er als amtierender Dritter Nationalratspräsident und als Mitglied der interimistischen Staatsführung. Und im Wissen, dass die Vertretung der Republik nach außen eine der wenigen echten Zuständigkeiten in jenem Amt ist, um das er sich bewirbt. Hofer lässt sich vom Apparat der FPÖ dabei unterstützen. Einer Partei übrigens, die sich gern als Hüterin der Neutralität sieht. Doch wenn es ihr parteipolitisch in den Kram passt, fordert die Strache-FPÖ bedenkenlos den Eintritt in einen Block von vier NATO-Staaten.
Wundern, was jetzt schon alles geht
Man wundert sich, was im Wahlkampf schon alles geht. Wenn es das Ziel des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten war, weniger autoritär rüberzukommen, dann muss er daran noch arbeiten. Wie schwer Hofer das fällt, zeigen auch verräterrische Sätze wie jener im Klartext auf Ö1 zu Klaus Webhofer, dem Sendungsmacher: Herr Webhofer, Sie wären in der Türkei schon eingesperrt! Die Fans, die zahlreich im Sendesaal waren, fanden das lustig. Denn für die Fans sei Hofer eine Art Erlöser, der mit Codes aus dem Evangelium arbeitet, analysiert der Linzer Kommunikationsexperte Walter Ötsch. Das Ziel sei die Überhöhung von Norbert Gerwald Hofer zu einer moralisch überlegenen Führungsperson. Und als solcher kann er halt keine kleinen Brötchen backen.