Die Frisur hält
Ein gespenstischer Abgang in St. Pölten, eine gespenstische Amtseinführung in Washington. Was für eine Woche, in der hier mit dem Abgang von Erwin Pröll wie dort mit dem Antritt von Donald Trump eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Zwei Frisuren schreiben Geschichte. Nur der Volkspartei schlägt keine Stunde. Auf den Tag genau seit 30 Jahren sitzt sie in der Bundesregierung, und viele ihrer Vertreter vermitteln permanent den Eindruck, sie würden schon machen. Wenn man sie nur endlich auf das Spielfeld ließe.
Am 21. Jänner 1987 ist der damalige ÖVP-Obmann Alois Mock als Außenminister im Kabinett Vranitzky II angetreten, mit dem Burgenländer Robert Graf stellte die ÖVP auch den Wirtschaftsminister, und sie sollte dieses Regierungsamt sagenhafte 30 Jahre lang behalten. Nur die interne Rollenverteilung ist heute umgekehrt: der Parteiobmann ist Vizekanzler und Wirtschaftsminister, das Außenministerium führt der aufstrebende Sebastian Kurz. Luftig & locker, wie manche in der nicht mehr so großen Mitterlehner-Fraktion neidvoll meinen. Tatsächlich tanzt der aktuelle OSZE-Vorsitzende Kurz auf vielen Hochzeiten. Und es ist natürlich alles auch Kalkül.
Kurz, Strache, Hofer & die Schmuddelkinder
Seit Anfang Jänner zweimal Ukraine und zurück, zwischendurch ein Abstecher nach Moskau – das Kurz aus der internationalen Schmuddelecke herausholen möchte. Nicht nur das hat der ÖVP-Politiker mit dem FPÖ-Spitzenduo Heinz-Christian Strache und Norbert Gerwald Hofer gemeinsam. Die waren diese Woche aber ausnahmsweise nicht in Moskau, sondern bei dem anderen Schmuddelkind. Auf den Stufen des Kapitols. Inauguration Day. Eingeladen vom ultrakonservativen Kongress-Abgeordneten Steve King, in Gesellschaft der nicht minder konservativen Tea-Party-Frau Michele Bachmann. Eine andere Michele. Aber zurück zu Sebastian Kurz.
Der findet zwischendurch auch noch Zeit für als Folklore getarnte Innenpolitik. Beim 74. Bauernbundball der Niederösterreicher im Wiener Austria Center durfte Kurz in der ersten Reihe neben der künftigen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und seinem Mentor Erwin Pröll einziehen. 6000 Ballbesucher, wird berichtet. Für Pröll war das der weitaus würdigere Abschied als die überhastete und von der Diskussion um die Erwin-Pröll-Privatstiftung getriebene offizielle Ankündigung des Abgangs nur drei Tage später, mit dem er alle überraschte. Auch Vertraute wie Landtagsklubchef Klaus Schneeberger. Zitat: Schon vor Weihnachten haben wir den Termin für eine Neuorientierung am Parteitag festgesetzt, jedoch die Entscheidung jetzt war unmittelbar.
Das Trump-Ass auf dem Bauernbundball
Für Sebastian Kurz war der Ball eine Bestätigung und Stärkung: Die wichtigste ÖVP-Landesorganisation steht auch nach dem Abgang des Fürsten wie eine Frau hinter dir. Zwischen Mikl-Leitner und Kurz passt seit den gemeinsamen Zeiten im Innenministerium kein Blatt Papier. Die Frisur hält. Und das Trump-Ass der ÖVP bekommt weiter Auftrieb durch schwindelerregende Umfragewerte. In einer Studie der tfactory Trendagentur von Bernhard Heinzlmaier über Politik im Generationenvergleich lässt Kurz SPÖ-Chef Kanzler Christian Kern ebenso klar hinter sich wie FPÖ-Chef Strache. Der Außenminister ist bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt. Was den Studienautor – ein bekennendes SPÖ-Mitglied – zu diesem Tweet inspirierte:
https://twitter.com/bheinzlmaier/status/822194675272581121
Nebenbei hat die Studie auch ergeben, dass Strache-Stellvertreter Hofer die deutlich besseren Werte hat als der FPÖ-Parteiobmann selbst. Aber bei den Freiheitliche gibt es wegen so was doch keine Führungsdiskussion. Die fliegen lieber in der Welt herum und hofieren die Unberechenbaren.
Keine Führungsdebatten, wohin man schaut
Keine Führungsdiskussion gibt es auch bei der Wiener SPÖ, wo Michael Häupl die inhaltlich völlig unbeleckte Sandra Frauenberger zur neuen Gesundheitsstadträtin gemacht hat. Ein Ressort, das vor lauter Baustellen nur unter politischer Absturzgefahr betreten werden kann, wird also weiterhin provisorisch verarztet. Es geht ja bis hin zu Gerüchten, dass das Milliardenprojekt Krankenhaus Nord wegen statischer Mängel vielleicht nie in Betrieb gehen kann. Angesichts dessen ist das prolongierte Provisorium eventuell sogar Kalkül. Ganz sicher Kalkül ist der Aufstieg von Jürgen Czernohorszky zum Bildungsstadtrat. Eine Zukunftshoffnung ist dort angelangt, von wo aus alles möglich ist. Bis hin zur Bürgermeister-Nachfolge.
Der @ChairNoHorseKey als Häupls Schlüssel?
Aber noch lässt sich Häupl diesbezüglich nicht in die Karten schauen. Für ihn gilt das von Christian Kern zumindest verbal gepflegte Shakespeare-Motto: Wo man doch schon weiß, dass man am Ende in einer Blutlache auf der Bühne liegen wird, kann man auch gleich das Richtige tun. Und zum Beispiel einen Generationswechsel an der Spitze durchziehen. Der Twitter-Account @ChairNoHorseKey könnte der Schlüssel sein. Häupl hat jedenfalls nicht mehr viel zu verlieren. Diese kleine Rochade, zu der er sich nach dem nicht ganz geräuschfreien Abgang von Sonja Wehsely durchgerungen hat, wurde innerhalb und außerhalb der Partei mit einem gewissen Kopfschütteln zur Kenntnis genommen und wird nichts befrieden.
Erste Reihe fußfrei in der Economy Class
Auch in der ÖVP bleibt alles Kurz. Auch deswegen, weil Reinhold Mitterlehner sich in den kommenden Wochen und Monaten mit dem Plan A seines Koalitionspartners Kern aufreiben wird. Die Sozialdemokraten werden nicht davon lassen, sogar den Parteitag zum Beschluss eines neuen Parteiprogramms haben sie dafür platzen lassen. Der Plan A ist Kern, und Kern ist jetzt einmal das Programm der SPÖ. Sebastian Kurz schaut sich das zwar nicht fußfrei an, denn der populäre Außenminister fliegt ja wie das Volk Economy. Aber vergleichsweise hat er es schon bequem.
Vom Krabbelkind zum politischen Überflieger
Als die ÖVP vor 30 Jahren in die Bundesregierung eingetreten ist, war Sebastian Kurz keine fünf Monate alt. Mutmaßlich hat er da gerade mit dem Krabbeln begonnen. Heute ist Kurz ein Überflieger, der nur aufpassen muss, dass er irgendwann auch die Partei mitnimmt. Und die muss sich – durch entscheidende Zugeständnisse von Bünden und Landesorganisation an die Bundespartei-Führung – mitnehmen lassen. Sonst wird die ewige Regierungspartei bald wirklich an der Out-Linie stehen und aus dem Spiel sein. Dann braucht sie wenigstens nicht mehr so zu tun, als ließe man sie nicht.