Doublecheck
Der Rechtspopulist Geert Wilders, Partner der Strache-FPÖ, bekommt in der heißen Phase des Wahlkampfs auf Twitter Widerspruch von seinem Bruder. Die Niederlande wählen in zweieinhalb Wochen, und im Spiegel sagt Paul Wilders jetzt über den Stil des jüngeren Bruders knallhart: Das ist keine politische Kritik mehr, das sät Hass. Jenseits des Atlantiks wiederum sät Donald Trumps Truppe weiter Zwietracht. Erstmals wurden bedeutende Medien wie New York Times und CNN von einem Presse-Briefing im Weißen Haus ausgeschlossen. Und Ungarns Premier Viktor Orban hält plötzlich die Europa-Fahne hoch, weil Österreich plant, Familienbeihilfen für EU-Bürger zu kürzen. Doublecheck: No Fake News!
Zwei weitere Zitate von Paul Wilders: Mein Bruder weiß, dass ein Teil seiner Anhänger seine Botschaften wörtlich nimmt, dass sie auf Facebook zu Gewalt aufrufen. Geert will keine Gewalt, doch er nimmt die möglichen Folgen solcher Botschaften in Kauf. Und auf Twitter schrieb Wilders unter anderem das:
"Degenen met het ogenschijnlijk mooiste fruit op de marktplaats verkopen vaak de giftigste sinaasappels." https://t.co/ohFBxtCiyl
— Paul Wilders (@paul_wilders) February 19, 2017
Diejenigen mit den angeblich schönsten Früchten auf dem Marktplatz verkaufen oft die giftigsten Orangen, heißt das übersetzt. Der Bruderzwist ist deswegen bemerkenswert, weil dabei eine besondere Schwelle überschritten wird. Geert Wilders melde sich nicht mehr bei ihm, erzählt der Bruder. Das zeigt denn auch, wie weh das dem Mann tut, der laut dem Online-Magazin Politico den Trumpismus erfunden hat.
Trumps Truppe sperrt schon erste Medien aus
Freilich nur in dem Sinn, dass Wilders schon lange vor Trump begonnen hat, mittels Kontroversen und Social Media Blitzkrieg die öffentliche Debatte zu beherrschen. Trump und sein Umfeld sind ja sonst eher unberechenbar – wenn Sean Spicer, der Sprecher des Weißen Hauses, etwa noch im Dezember entschieden in Abrede gestellt hat, dass man Medien aussperren werde: Denn das macht den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur aus. Jetzt hat Spicer Medien ausgeschlossen. Geert Wilders hat hingegen nur eine Agenda: den Islam stoppen. Von langer politischer Tätigkeit, anfangs von der Kritik an der Sozialpartnerschaft niederländischer Prägung – dem Poldermodell – getragen, ist dieser enge Fokus übrig geblieben.
Stimme des Volkes ohne Kontakt zum Volk
Es ist auch das Ergebnis einer Spirale, in die sich Wilders hinein begeben hat. Seine Islamhetze, die sogar dem Bruder zu weit geht, hat islamistische Morddrohungen mit sich gebracht. Er kann ja nicht einfach raus auf die Straße gehen, beschreibt Paul Wilders die Folgen. Seit zwölf Jahren lebt er zusammen mit seiner Frau an einem geheimen Ort, sie brauchen permanenten Personenschutz. Kaum ein Politiker habe so wenig Kontakt zum Volk wie diese selbsternannte Stimme des Volkes. Er ist sozial isoliert, entfremdet sich vom normalen Alltagsleben. Das tut keinem Menschen gut. Aber wer will das schon sehen, wenn es einer dem System und der Lügenpresse so schön hineinsagt. Die Wilders-Partei PVV wird sich laut den Umfragen bei der Wahl am 15. März fast verdoppeln und um Platz eins matchen.
Wilders-Freund Strache schwimmt hinten nach
Das hat Wilders mit seinem Bündnispartner Heinz Christian Strache gemeinsam, die FPÖ liegt in den Umfragen immer noch sehr gut. Und Strache hat den Fokus ebenfalls auf dem Islam, seit Jahren schon. Eigentlich seit er die Partei nach der Abspaltung des BZÖ unter Jörg Haider übernommen hat. Die Kritik am rot-schwarzen System mit der Sozialpartnerschaft im Hintergrund war für Strache immer eher eine Pflichtübung und nicht wirklich substanziell. Haider hingegen ist mit dieser Systemkritik, der das System jahrelang nichts Offensives entgegenzusetzen hatte, erst groß geworden. Wilders hat also ähnliche Wurzeln wie Haider, auch wenn er jetzt im gleichen Strom schwimmt wie Strache. Wobei der schon ein bisschen hinten nach ist.
FPÖ hat vor allem von Konjunktureffekten gelebt
Es gibt nämlich die nächste ÖVP-mit-Kurz-Umfrage mit der Kernaussage, dass das schwarze Trump-Ass Sebastian Kurz die Partei über die 30 Prozent schießen werde – und das vor allem zu Lasten der FPÖ. Das besonders Perfide an der selbstverständlich mit besonderer Vorsicht zu lesenden Umfrage: es wurde erstmals die FPÖ mit Norbert Hofer abgefragt, nicht mit Strache. Das muss höllisch weh tun. Zumal einem Mann, der noch am Abend der Niederlage Hofers im Marathonlauf um die Präsidentschaft vor laufenden Kameras Einblick in seine Psyche gegeben und gezeigt hat, dass er offenbar um seine Führungsrolle in der FPÖ bangt. Jetzt könnte sich rächen, dass die Blauen vor allem von Konjunktureffekten – sprich: Fehlern der anderen – gezehrt haben.
Kern, Kurz & Co. sind sogar Orban zu heftig
Denn Kern, Kurz, Doskozil & Sobotka sind längst beim Hausaufgaben-Machen. Vorrang für Inländer auf dem Arbeitsmarkt; Beschäftigungsbonus nur für Firmen, die inländische Arbeitssuchende einstellen; Kürzung der Familienbeihilfe für nicht im Inland aufhältige Kinder – ohne Rücksicht auf Verluste etwa von Altenbetreuerinnen aus osteuropäischen EU-Partnerstaaten. Von Verschleierungsverbot und Kopftuchbann vor Gericht und für Uniformierte gar nicht zu reden. Die Agenda der österreichischen Bundesregierung hat sogar bei Viktor Orban – ein ausgewiesenes Sorgenkind in der Runde der Staats- und Regierungschefs der Union – das europäische Gewissen erwachen lassen. Österreich wolle die EU-Verträge auf hinterlistige Art und Weise Schritt für Schritt verändern. Jetzt kann man Orbans Motiv in Zweifel ziehen, aber im Grunde hat er doch recht.
Doskozil & der Trend zur Entsolidarisierung
Was ausgerechnet Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil von der SPÖ mit einer Wortmeldung eindrucksvoll bestätigt hat: Doskozil hält weitere soziale Kürzungen für EU-Ausländer für wahrscheinlich – nämlich für im Ausland lebende Mitversicherte in der Krankenversicherung. Ihn freue das nicht, aber die Entsolidarisierung ist leider ein Trend, so der Schlüsselspieler im Team von Christian Kern. Es ist ein Trend, den die österreichische Regierung nicht nur mitmacht, sondern mitbegründet. Da hilft auch ein Aufbegehren von gestandenen Europäern wie Othmar Karas nichts, der es gewagt hat, seinen sakrosankten Parteifreund & Außenminister Kurz frontal zu kritisieren.
Nicht schwarz-weiß, aber auch nicht rosarot
Die Bundesregierung ist dabei, eine Mauer gegen den Rechtspopulismus zu errichten. Ob das auf diese Weise gelingt, kann man hinterfragen. Kai Schächtele mahnt auf der medienkritischen Website uebermedien.de jedenfalls eine nachhaltige Antwort auf die geballte Wut von rechts ein. Die Trumpisten von Washington über Wien, Berlin & Paris bis Den Haag verfügten über die große Erzählung von der bevorstehenden Apokalypse und von Weltverschwörungen aller Art. Dem müsse endlich die andere Seite, auch der klassische Journalismus, ein Narrativ entgegensetzen. Genauso engagiert, aber nicht verlogen. Eine Geschichte, die auf die Komplexität unserer Zeit neue Antworten sucht und nicht alte – und in der nicht alles schwarz-weiß ist, aber auch nicht alles rosarot.
PS: Der Titel dieses Postings ist auch ein Hinweis auf das neue Ö1-Medienmagazin #doublecheck. Ab 5. Mai jeden 1. Freitag im Monat von 19.05 bis 19.30 Uhr. Diese Sendung wird den Fokus auf die Glaubwürdigkeit der klassischen Medien legen und versuchen, ein Fixpunkt in der oben beschriebenen neuen Unübersichtlichkeit zu sein, an dem man sich orientieren kann.