Kurz en marche
ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner hat uns in seine politische Seele blicken lassen. Im #doublecheck-Interview auf Ö1 beschwerte sich der ÖVP-Chef darüber, dass Medien Umfragen veröffentlichen, in denen Sebastian Kurz – und nicht er selbst – als Spitzenkandidat abgefragt wird. Wenn ich sage, was wäre wenn nicht der Parteiobmann, sondern ein anderer Parteiobmann die Partei führt, dann ist das erstens die Einmischung in eine Partei, aber zweitens: Es ist der Versuch, eine entsprechende Meinungsbildung und entsprechende Entwicklungen herbeizuführen. Ich finde das nicht korrekt. Da beklagt sich Mitterlehner wohl zu Recht. Und macht damit öffentlich, wie blank die Nerven in der ÖVP liegen.
Die Führungskrise in der Volkspartei und daraus resultierend die Dauerkrise der Koalition als Medien-Schelte: Mitterlehner haut die Medien, meint aber damit jene Gruppe in der Partei um Sebastian Kurz, die gegen die Koalition arbeiten. Und jene in den ÖVP-Ländern, die selber bald Wahlen zu schlagen haben und daher lieber Rückenwind aus Wien hätten statt Gegenwind. Sprich: Kurz an der Parteispitze.
Die völlige Zerrüttung ist ihnen gelungen
Stellvertretend für beide Gruppen hat sich wieder einmal Innenminister Wolfgang Sobotka gemeldet, der SPÖ-Chef Christian Kern Versagen als Kanzler vorwirft und die Regierung praktisch totsagt. Bei den zwei zentralen Vorhaben Entschärfung der kalten Progression und Bildungsreform kündigt Sobotka Quertreiben bis hin zum Veto im Ministerrat an. Jetzt wissen wir, was das wert ist, seit Sobotka im Jänner am Ende doch noch seine Unterschrift unter den Koalitionspakt setzte. Dem sind damals auch große Sprüche des Niederösterreichers vorausgegangen. Aber an seiner versteckten Agenda hat Sobotka festgehalten. Die völlige Zerrüttung der Koalition ist gelungen.
Dreifacher Schaden des Sudel-Manifests
Das ist aber nicht Sobotkas Verdienst allein. Die ÖVP-Zentrale hat mit dem berühmten Sudel-Manifest gegen Kanzler Kern ihren Teil dazu beigetragen. Und zwar dreifach: Sie hat die SPÖ mit den plumpen Attacken gegen ihren Vorsitzenden wissen lassen, was von den Treueschwüren von vor drei Monaten zu halten ist. Sie hat der SPÖ, die diese Attacken professionell pariert hat, ungewollt Material für Gegenpropaganda in die Hand gegeben – und ärgert sich bestimmt darüber. Weit schlimmer: sie hat die Führungskrise im eigenen Haus verschärft. Denn Reinhold Mitterlehner, der die Tonalität der Kampf-Broschüre seines Generalsekretärs zu verantworten hat, ob sie ihm gefällt oder nicht – der ist von fast allen Landesparteien im Regen stehen gelassen worden.
Außenminister macht einen runtastic Job
Indessen der Außenminister, der angeblich immer nur seinen Job macht: Sebastian Kurz war bei einer Büroeröffnung eines ehemaligen Vorzeige-Start-ups in Pasching dabei, die Denkwürdigkeit erlangte. Dort traf er ungeplant den Start-up-Kanzler Kern, der natürlich weiß, dass Kurz gern der nächste Start-up-Kanzler werden möchte. Entsprechend peinlich war das Ganze auch. Und es musste nicht einmal der wegen besonderen Mutes vor Erwin Pröll nicht genug zu lobende Peter Klien mit seinem Willkommen-Österreich-Mikrofon auftauchen, damit wir Kurz ein zweites Mal binnen weniger Tage vor einer laufenden Kamera davonlaufen sahen. Auf seiner Facebook-Seite ist das natürlich anders dokumentiert.
Aber Sebastian Kurz macht ja nur seinen Job. Das hat er am Abend der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten auch in der ZIB2 wieder betont. Der Sendung war ein interessanter Tweet des Außenministers vorausgegangen:
Gratulation an @EmmanuelMacron zum Wahlsieg-linke Politik wurde klar abgewählt. Wichtig,dass #Frankreich nun umfassende Reformen angeht.1/2
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) May 7, 2017
Der Sieg des Sozialdemokraten Macron, der sich mit seiner Bewegung En Marche für die Präsidentschaftswahl neu erfunden hat, als Absage an linke Politik? Das hat auf Twitter für entgeisterte Reaktionen gesorgt. Und Kurz hat es dann uminterpretiert, in diese Richtung: Macron habe erkannt, dass etablierte Parteien abgestraft werden, wenn sie sich nicht ändern. Und sich als neues Angebot geschaffen. Beobachterinnen ziehen ihre Schlüsse daraus: Stellt Kurz da wem die Rute ins Fenster?
#enmarche binnen 1 Jahres an die Macht. Wenn das in Österreich nicht Politiker wie @sebastiankurz anregt, es @EmmanuelMacron nachzutun?
— Barbara Tóth (@barbaratoth) May 7, 2017
https://twitter.com/KBurgstaller/status/861313806659670017
Das Trumpf-Ass hat gesprochen
Das tut Kurz allerdings. Und die Strippenzieher in der ÖVP werden dem Interview von Lou Lorenz-Dittlbacher mit Sebastian Kurz gewiss aufmerksam gelauscht haben, der auf die Frage nach seinen haushoch besseren Umfragewerten gegenüber jenen der Partei antwortete: Das sind persönliche Umfragedaten, aber ich bin ja nicht Parteichef, sondern was nicht meine Lehre ist, aber was man ableiten kann, ist: dass wenn sich etablierte Parteien nicht verändern, dann werden sie abgestraft. Das war in Österreich so, das war in Frankreich jetzt so, und das wird bei anderen Wahlen ähnlich stattfinden. Es gibt aber auch Beispiele von etablierten Parteien, die sich verändert haben und dann sehr erfolgreich waren. Das Trumpf-Ass hat gesprochen. Alle gut zugehört?