Ich seh dir in die Augen
Sechs Wochen noch bis zur Nationalratswahl, und Sebastian Kurz hat einen ersten Fehler zugelassen. Er hat seinen Beute-Kandidaten Efgani Dönmez nicht davon abgehalten, mit unrichtigen Behauptungen gegen ORF-Moderator Tarek Leitner vorzugehen. Die Diskussion über die mögliche Befangenheit eines Journalisten, der in diesem Wahlkampf mit den Sommergesprächen und einem Teil der TV-Duelle eine wichtige Rolle innehat – die kann und darf man führen. So wie diese Diskussion geführt wird, zwischen Ibiza und Casablanca, ist sie aber nichts anderes als ein Wahlkampf-Vehikel. Ich seh dir in die Augen, Dönmez.
Fragt man in der Umgebung von Sebastian Kurz nach, warum die Bedenken wegen möglicher Befangenheit nicht schon im Juni geäußert worden sind, als Tarek Leitner den gemeinsamen Urlaub mit den Kerns in zwei Interviews thematisiert hat, kriegt man die Auskunft: Die Interviews – hier das im Wochenmagazin News, das zweite erschien in tv-media – habe damals niemand gelesen. Das sei nicht aufgefallen. Was von der Glaubwürdigkeit her ein wenig problematisch ist. Parteiapparate lesen alles. Die lesen auch Tweets & Blogs von Journalisten und dokumentieren, was sie für notwendig halten. Für alle Fälle. Dass dem ganzen ÖVP-Apparat die Leitner-Aussagen zum Urlaub mit der Kanzler-Familie entgangen sein könnten, wäre ein großer Zufall.
Die großen Zufälle des Efgani Dönmez
Ein ebenso großer Zufall müsste Efgani Dönmez die Augen ausgerechnet jetzt geöffnet haben. Am Ende der Woche, in der das ORF–Sommergespräch mit seinem Förderer Sebastian Kurz stattgefunden hat und seitens der ÖVP mit viel Kritik am Moderator und seiner insistierenden Gesprächsführung bedacht worden ist, ging Dönmez mit seinen Vorwürfen in die Öffentlichkeit. Das war nur drei Tage vor dem Sommergespräch mit dem SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Christian Kern, der logischerweise die eigentliche Zielscheibe der Aktion ist. Denn wenn Kern was kann, dann sind das Fernsehauftritte. Dönmez hat in der Rechtfertigung seiner Attacke interessanterweise von einem wahlentscheidenden Interview gesprochen.
Türkise Sorgen & rote Hoffnungen
Das war natürlich in erster Linie Kalkül, um die Diskreditierung eines Journalisten zu rechtfertigen. Aber diese Aussage gibt auch den Blick frei auf gewisse Ängste des türkisen Kandidaten, der unstoppable zu sein scheint. Denn jetzt tritt der Wahlkampf in die Phase, in der ÖVP-Obmann Kurz mit Inszenierungen allein nicht mehr durchkommt. Er wird sich seinen Mitbewerbern direkt stellen müssen, und es wird sich am Ende auf die Frage zuspitzen, wer der bessere Kanzler für das Land ist. Hier rechnet sich die in den Umfragen ziemlich weit zurückliegende SPÖ mit dem amtierenden Regierungschef Kern gewisse Chancen aus, und sein Herausforderer versucht eben, diese mit der Marokko-Connection, auch wenn sie nur erfunden ist, im Keim zu ersticken.
Die Marke Christian Kern ist nicht stimmig
Dabei tut die SPÖ selber alles Mögliche, um das Profil ihres Spitzenkandidaten verschwimmen und die Chancen sinken zu lassen. Die Marke Kern sei nicht stimmig, schreibt dazu Eric Frey im Standard. Er meint damit, dass Sebastian Kurz auch ohne detaillierte Inhalte – die ab Dienstag präsentiert werden sollen – authentischer sei als Kern. Zu viele Schwenks und Ungereimtheiten – wie etwa das jüngste Facebook-Video, das die SPÖ produziert hat und das eine gespielte Stammtisch-Szene mit dem Kanzler zeigt. Eine Frau darf sich vom SPÖ-Chef unwidersprochen gegen alle Religionen außer Katholisch und Evangelisch aussprechen, und speziell natürlich gegen den Islam.
Die Expertin für politische Bilder Petra Bernhardt hat auf Twitter dargestellt, dass das kein schlecht gemachtes Video mit einer verunglückten Botschaft sei – sondern dass das mit voller Absicht so gemacht worden ist. Auch Kern geht mit dem Ausländerthema auf Stimmenfang, nicht nur seine rechte Faust und Reserve-Vizekanzler für Koalitionen aller Art, Hans Peter Doskozil. Aber bei Christian Kern ist das anders als bei Doskozil und Sebastian Kurz eben nicht stimmig. Ich seh dir in die Augen, Kanzler.
2 Gedanken zu „Ich seh dir in die Augen“
erster fehler?
gut, dass er kein programm liefert ist ja programm. geschenkt. aber was ist mit den peinlichen c-promis, mit taschner!, mit der manipulierten studie, mit den haltlosen beschuldigungen in der haslsteiner-geschichte? der övp-wahlkampf kann doch nur ob der inkompetenz der politischen gegner den eindruck, “unstoppable” zu sein, erwecken.
in deutschland wäre kurz’ karriere nach dem studien-skandal beendet gewesen, bei uns wird so etwas durch wohlwollende medien väterlich applaniert, wagt man in anbetracht der kurz’schen jugend zu zitieren.
erster gravierender fehler (wenn man die kindergarten-studie ausblenden will)? soll sein.
die geschichte generell als einen ersten fehler zu bezeichnen füttert aber nur das narrativ, kurz wäre eine beeindruckende politische erscheinung, wo er doch nur ein blender ist, der gekonnt auf einer xenophoben welle reitet.
In vielen Berufen ist es ganz normal dass man auf die Unvereinbarkeiten selbst hinweist.
Bei Journalisten vermisse ich das leider.
Mich erinnert das etwas an den angestellten Der Standard-Journalisten, der nicht nur Bierexperte sondern auch Innenpolitikjournalist war und ist, aber gleichzeitig als Auftragsarbeit eine Broschüre für das Kanzleramt gemacht hat. Das wäre in anderen Branchen unvereinbar und hat mit Qualität nix zu tun.