Die Matchbälle
Die Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern ist einer der zentralen Punkte der schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen. Und das nicht etwa deshalb, weil es halt schöner ausschaut, wenn nur noch eine Handvoll Kassen das System schaukeln – und nicht stolze 21 wie bisher. Hier wird eine eklatante Machtfrage verhandelt, die innerhalb der ÖVP bereits für massive Unruhe sorgt. Denn Schwarz-Blau will die neun Gebietskrankenkassen zu einer Arbeitnehmer-Krankenkasse zusammenlegen, doch der entscheidende Punkt ist: Sie wollen auch die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge zentralisieren. Das kommt einer Revolution gleich und ist ein Frontalangriff auf die Länder.
Das Aus für die Gebietskrankenkassen, von denen nur noch Außenstellen in den Ländern blieben, wäre zunächst ein Schnitt in die dicke Schicht von Funktionärsposten, die die sogenannte Selbstverwaltung per Gesetz in jeder Kasse bereithält. Da in den Gebietskrankenkassen die roten Gewerkschaften dominieren, täte denen das ganz besonders weh. Es wäre ein symbolischer Schritt, weil diese Selbstverwaltungs-Posten nicht viel kosten – und mehr dem Abstecken von sozialpartnerschaftlichen Claims in der Sozialversicherung dienen, als dass jemand reich würde, der so einen Posten hat.
Es wäre aber schon auch mehr als das: Durch eine einheitliche Kasse für alle Unselbstständigen steigt der Druck zur Angleichung der unterschiedlichen Leistungen, gleichzeitig stärkt es die Verhandlungsmacht der Kasse und reduziert Reibungsverluste.
Ins Allerheiligste der Sozialpartnerschaft
Mit dem Plan, die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge der Finanz zu übertragen, geht das alles aber noch viel weiter. Die Gebietskrankenkassen sind derzeit mit der Einhebung aller Beiträge beauftragt, sie heben zum Beispiel auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ein, die nichts mit der Sozialversicherung zu tun hat, sondern vom AMS administriert wird. Oder auch Wohnbauförderungsbeitrag und Arbeiterkammer-Umlage. Der Aufwand dafür wird den Gebietskrankenkassen mit mehreren hundert Millionen Euro abgegolten, das Geld könnte dann der Bund lukrieren. Und es würden auch viele personellen Ressourcen frei, weil fast 2000 Mitarbeiter in den Gebietskrankenkassen für diese Aufgabe abgestellt sind.
Es geht um viel Geld und daher um Macht
Zweifellos ein heikles Vorhaben mit vielen offenen Fragen. Dass es in die richtige Richtung geht, zeigen auch die alarmierten Reaktionen von ÖVP-Landeshauptleuten wie Markus Wallner und Thomas Stelzer, aber auch der Burgenländer Hans Niessl von der SPÖ hat sich schon – in Endzeitstimmung – zu Wort gemeldet. Es müsse sichergestellt sein, dass das Beitragsaufkommen des Landes auch beim Beitragszahler ankommt, sagt der Oberösterreicher Stelzer. Damit unterstellt er, dass die Kassen den Ländern gehören – und so verstehen die Länder das auch. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Selbstverwaltung widerspricht dem völlig. Aber die Gebietskrankenkassen heben Jahr für Jahr an die 40 Milliarden Euro an Beiträgen ein, das ist fast so viel wie die Netto-Steuereinnahmen des Bundes. Das ist viel Geld. Und Geld ist Macht.
Kurz rührt am Selbstverständnis der Fürsten
Ob sich Sebastian Kurz, von der FPÖ getrieben, in diesem Punkt durchsetzen kann, wird ein Gradmesser dafür sein, ob er seinen großspurigen Ankündigungen gerecht werden wird. Das Land von Grund auf erneuern und so. Eine tiefgreifende Reform der Kassen mit einer Verlagerung der Beitragshoheit zum Bund mag Nachteile haben, auf jeden Fall würde damit ein jahrzehntelang gewachsenes System zerschlagen. Aber es wäre ein konsequenter Schritt: Leistungen harmonisieren und Risiken zwischen den einzelnen Kassen ausgleichen – das geht dann viel einfacher. Natürlich rührt das am föderalen Selbstverständnis der Länder, die die Gebietskrankenkassen über die Jahre quasi eingemeindet haben, obwohl sie keinerlei Zuständigkeit dafür besitzen.
West-Arbeiterkammern machen schon mobil
Es wäre aber auch ein Schlag gegen unser sozialpartnerschaftlich durchwobenes System, das nicht immer der Sache dienlich war und ist. Der Tiroler Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl – wie sein Vorarlberger Kollege Hubert Hämmerle Vertreter des ÖVP-Arbeitnehmerflügels, der ganz im Westen auch in den Gebietskrankenkassen das Sagen hat – macht dagegen schon mobil. Das wird beim Tiroler ÖVP-Obmann Günther Platter nicht ohne Wirkung bleiben, der Landeshauptmann stellt sich am 25. Februar 2018 der Wiederwahl und kann im Landtagswahlkampf kaum der Zentralisierung der geliebten Krankenkasse das Wort reden. Kurz hätte da jetzt einen Matchball mit seinen Freunden von der FPÖ, aber den muss er erst einmal verwerten.
Kammer-Pflicht mit schmaler finanzieller Basis
Gleiches gilt für die Frage der Kammer-Pflichtmitgliedschaft, die die Freiheitlichen ja gern abschaffen würden. Heinz-Christian Strache hat aber längst anklingen lassen, dass man es billiger geben könnte: Eine deutliche Reduzierung der Kammerumlagen wäre ein Weg, um eine Redimensionierung der Apparate oder Leistungskürzungen zu erzwingen – wobei Letzteres kaum im Sinne auch der Koalitionsverhandler sein kann. Die Kammern werden so oder so unter Druck kommen. Da wird es ihnen nicht viel besser gehen als dem ORF, der eine neue gesetzliche Grundlage bekommen soll – das hat FPÖ-Verhandler Norbert Steger hier schon angekündigt. Beschluss bis Mitte 2018, in Kraft ab 2019 – und natürlich: Neuausschreibung der Geschäftsführung, aber als Kollegialorgan. Das sei keine Drohung gegen den amtierenden ORF-Chef: Alexander Wrabetz hat auch in dem neuen System alle Chancen zu zeigen, was er kann.
Die Krone & die Liebe zur direkten Demokratie
Die Tochter des früheren FPÖ-Chefs und Vizekanzlers, die Abgeordnete Petra Steger, hat gestern Abend im ORF-Talk Im Zentrum die FPÖ-Pläne für den Ausbau der direkten Demokratie verteidigt. Bemerkenswert, mit was für einer Nonchalance die 30-Jährige versucht hat, den Mitdiskutanten die österreichische Verfassunslage zu erklären. Mit dabei in der Runde: die ausgewiesenen Verfassungsexperten Heinz Fischer, früherer Bundespräsident, und Andreas Khol, ehemaliger Nationalratspräsident. Petra Steger hat so wie andere recht: Das demokratische System muss weiterentwickelt werden. Aber man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Wenn die Kronenzeitung in der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen auf eine schwarz-blaue Factfinding-Tour in die Schweiz mitfährt und sehr freundlich darüber berichtet, heißt es aufpassen.
Sebastian Kurz & die Liebe zur Krone
Auch für Sebastian Kurz. Denn der schwebt mit der Krone zwar seit geraumer Zeit auf Wolke sieben, wird von ihr gehätschelt und gibt ihr dafür mit dem Fellner-Fernsehen abgestimmte Exklusiv-Interviews, in denen er wenig sagt. Kurz hat sich gerade auch mit einem ganzseitigen Inserat in der Krone einen Jubelartikel daneben gekauft.
https://twitter.com/sbeigl/status/937275087266439169
Aber der ÖVP-Chef sollte eines nicht übersehen: Kommt der Ausbau der direkten Demokratie nach dem freiheitlichen Muster, das Petra Steger am Sonntag Abend bei Claudia Reiterer Im Zentrum gemeint hat: vier Prozent oder 250.000 Unterschriften lösen eine Volksabstimmung aus, deren Ergebnis gültig wäre, wenn ebenso viele daran teilnehmen, also ein Quorum von nur vier (!) Prozent – wenn das kommt, dann besteht die Gefahr, dass ein Blatt wie die Krone die demokratischen Instrumente einer dann anderen Republik kapert. Dann wird ein vermeintlicher Matchball zum Eigentor.
Ein Gedanke zu „Die Matchbälle“
4%-Quorum heißt aber nicht, dass die Beteiligung auch so gering ausfallen täte. Bei jeder halbwegs kontroversen Abstimmung dürfte die Beteiligung deutlich über 50% liegen, und bei nicht kontroversen Themen ist es letztlich egal.