Im blauen Orbit
Wir können wirklich stolz darauf sein, dass wir uns beim UN-Migrationspakt in der Regierung durchgesetzt haben. Ein historisches Verdienst der FPÖ. Das schreibt der Vizekanzler auf seiner Facebook-Seite. Dass Österreich nun nicht unterschreiben wird, ist auch Resultat des Drucks auf Kanzler Sebastian Kurz, dem vor allem Leser des “Wochenblick” sehr genau auf die Finger geschaut haben. Das schreibt eines jener Online-Medien, die um die FPÖ kreisen wie Satelliten und die sich jeden Tag mehr über die patriotische Regierung Kurz freuen. Der Kanzler wirkt gerade ein wenig verloren im blauen Orbit.
Völkerrechtler sind entsetzt, auch sonst eher wohlmeinende Journalisten und Medien schütteln den Kopf über die jüngste Entscheidung der Bundesregierung – oder vielmehr darüber, dass Sebastian Kurz das zugelassen hat. Der flüchtet sich in Haarspalterei, indem er gängige diplomatische Usancen wie eben dieses rechtlich ausdrücklich nicht bindende Migrationsabkommen der Vereinten Nationen zur Fahnenfrage erklärt. Symbolische Politik – Migration und die Folgen gehen alle Staaten der Welt etwas an – wird mit Justament-Politik gekontert. Österreichs guter Ruf in der UNO steht auf dem Spiel, und übrig bleibt ein Gruppenfoto mit Donald Trump und Viktor Orbán.
Ich bin für Ehrlichkeit. Ich will keinen Pakt unterschreiben, den wir später nicht einhalten werden. Ich lehne klar eine Vermischung von Zuwanderung und Asyl ab, zudem will ich das Entstehen eines völkerrechtliches Gewohnheitsrechts verhindern.
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) October 31, 2018
Im September 2017 hat Kurz – in dessen Zeit als Außenminister das Abkommen ja aufs Tapet gekommen ist – in seiner Rede vor der Generalversammlung der UNO noch das hier zum Migrationspakt gesagt: I welcome that the United Nations is developing a Global Compact on Migration as well as a Compact on Refugees. They should ensure a more coordinated international approach to deal with these challenges.
Ein Massenblatt klärt auf, aber in Deutschland
Der Kanzler hat also wieder einmal den Frieden in der Koalition gerettet. Der Applaus dafür aus dem sogenannten patriotischen Lager von der Regierungspartei FPÖ bis hin zu den rechtsextremen Identitären – die sogar vom ersten Sieg sprechen – ist Sebastian Kurz sicher. Das gilt selbstverständlich auch grenzüberschreitend: AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hat Österreich wieder einmal zum Vorbild erkoren. Während hingegen das deutsche Massenblatt Bild die rechte Aufregung über den UN-Migrationspakt als das enttarnt hat, was sie ist, nämlich ganz viel Verschwörungstheorie und Panikmache, hat das Massenblatt Kronenzeitung mit Online-Votings und dergleichen Panik gemacht.
Strache: Ich hab’s in der Zwischenzeit eh gelöscht
Im blauen Orbit passieren aber noch ganz andere Dinge. Der Vizekanzler und FPÖ-Chef postet auf Facebook ein islamfeindliches und inhaltlich falsches Sujet zur ziemlich wahrscheinlich EU-rechtswidrigen Indexierung der Familienbeihilfe. Damit konfrontiert, gibt Strache in der ZIB2 zu, dass es ein schlechtes Sujet und auch nicht geschickt gewesen sei, es zu verwenden. Aber ich hab’s in der Zwischenzeit eh gelöscht, so Strache. Was nicht stimmt – das Posting war auch nach der ZIB2 noch nicht gelöscht, aber natürlich längst tausendfach geteilt und kommentiert.
Kritik vom ÖVP-Politiker Othmar Karas an der von Strache mitgetragenen Kampagne ist verpufft, vom Kanzler ward keine gehört. Eher unwahrscheinlich ist auch, dass Kurz das beim kommenden Gipfel gegen Hass im Netz nachholen wird.
Eine Kernfrage der blauen Glaubwürdigkeit
Die FPÖ hat auch richtig originelle Zugänge zur Problemlösung, wenn es drauf ankommt. So wurde Vizekanzler Strache zum Fall einer Frau befragt, die sich gegen einen von ihrem Arbeitgeber angeordneten Zwölf-Stunden-Tag wehrte und gekündigt wurde. Eine Kernfrage zur blauen Glaubwürdigkeit, hat die FPÖ doch permanent von der Freiwilligkeit des flexibleren Arbeitens seit 1. September gesprochen. Und was macht Strache? Er droht Unternehmen, die die Freiwilligkeit missbrauchen, Sanktionen an. Ankündigen kann man viel, um die Klientel bei der Stange zu halten.
Verharmlosung des Wahlkampfkosten-Exzesses
Nicht minder originell die Reaktionen von Schwarz und Blau auf den Bericht des Rechnungshofs, wonach die ÖVP das Wahlkampfkosten-Limit 2017 fast um hundert Prozent überschritten hat und die FPÖ um 50 Prozent. Zunächst einmal wurden die Angaben der SPÖ in Zweifel gezogen, die die gesetzliche Grenze von sieben Millionen Euro eingehalten hat. Das geht immer. Dann wurde der SPÖ-Kampagnen-Guru Tal Silberstein mit seinen dirty Methoden für die Mehrausgaben verantwortlich gemacht.
Und dann war auch noch das Gesetz schlecht, weil hier – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – werde Informationsbegrenzung betrieben, so Heinz-Christian Strache. Getoppt wurde das von Herbert Kickl, im Jahr 2017 noch Wahlkampfmanager der FPÖ, der gesagt hat: Es ist ja nicht so, dass dieses Geld nicht auch irgendwo ankommen würde, wo ein Nutzen dann auch wieder in Österreich entsteht. In anderen Worten: Der Gesetzesbruch hat eh die Wirtschaft belebt.
kickl hat heute im #pressefoyer sinngemäß gemeint, dass mit der überschreitung der grenzen für wahlkampfausgaben die wirtschaft in österreich angekurbelt wird. wer's nicht glaubt –> o-ton bitteschön pic.twitter.com/ufzETJGLkf
— die quati™️ (@KatQuat) October 31, 2018
Wenn ein Gemälde durchs Dorf getrieben wird
Wenn alle Stricke reißen, dann finden ÖVP und FPÖ immer noch einen Sozi, den sie durchs Dorf treiben können. Am Wochenende hat es SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda erwischt, der ein Bild des Künstlers Kurt Kocherscheidt als Leihgabe des Belvedere dummerweise mit ins neue Büro in der Parteizentrale genommen hat. Der an Pannen nicht arme Start der Ära Rendi-Wagner in der SPÖ war um eine Panne reicher, Schwarz–Blau hat sich konzertiert draufgestürzt. Die Rückgabe des Gemäldes mit dem Titel Im Raum drinnen II geriet zur Staatsaktion. Und im Orbit draußen haben sich wieder ein paar die Hände gerieben.
4 Gedanken zu „Im blauen Orbit“
Wie immer ein grossartiger Kommentar!
Vielen Dank!
Danke, eine sehr gute Zusammenfassung des traurigen Zustandes in Österreich.
Erde an die Kappacherbubble oder in Anlehnung an das Werbesujet der Spittelberger Spatzenpost. Ich hol Sie da raus.
Es gibt nicht nur die österreichischen Völkerrechtler. Einer, nämlich Herr Nowak, steht sogar in Lohn und Brot bei der UN. Der andere, den man von OE1 aus schnell als Kritiker in die Meinungsschlacht ziehen ließ, Wolfgang Benedek, steht genauso diversen Teilorganisationen der Vereinten Nationen als Konsulent zur Verfügung. Wikipedia hilft auch Journalisten. Bisserl verarscht kommt man sich dann als Rezipient schon vor, bei dieser mehr als einseitigen Auswahl. Aber wahrscheinlich war das sehr erfrischende Interview im Morgenjournal von Emil Brix, dem Leiter der diplomatischen Akademie Wien dann doch überhaupt nicht das, was sich Ihre Kollegin Vospernik (?) erwartet hatte. Sie hat sich redlich bemüht, Negatives über die absolut richtige Entscheidung der Regierung rauszukitzeln, dies ist ihr halt überhaupt nicht gelungen. Zudem widersprach sich Herr Nowak in seinem Interview. Denn einerseits meinte er sinngemäß, dass Österreich sich mit dieser Entscheidung ins Fleisch schneide, um dann paar Absätze später zu konstatieren, ich zitiere, die Beziehungen zwischen Österreich und der UNO werden keine “extrem negativen Auswirkungen”. Wirklich? Na so was aber auch.
Österreich wurde übrigens Mitte Oktober in dieses eher peinliche Menschrechtsratgremium, die USA haben sich aus nachvollziehbaren Gründen verabschiedet (https://www.theguardian.com/world/2018/jun/19/us-quits-un-human-rights-council-cesspool-political-bias), der Vereinten Nationen mit über 170 Stimmen gewählt, wo man mit so Vorzeigedemokratien wie Bahrain, Somalia oder Bangladesch halt bisserl im Kreis zusammensitzt.
Eine etwas differenziertere Sicht auf diesen unnötigen und völlig fehlgeleiteten Pakt hat übrigens ein Matthias Herdegen, deutscher Kollege der Herren Bendek und Nowak. Zu diesem Zwecke verlinke ich nicht wie Sie die BLÖD ((c) Heinrich Böll) sondern die etwas seriösere “Welt”, beide ja bekanntlich aus dem Hause Axel Springer mit einem ziemlich ausgewogenen Artikel von Herrn Graw, wo Herdegen aber zu einer diametral anderen Conclusio als die der österreichischen Kollegen kommt. (https://www.welt.de/politik/deutschland/article183078096/UN-Migrationspakt-Unterzeichnerstaaten-schaffen-damit-Erwartungen-bei-Migrationswilligen.html)
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch die Lektüre einer nicht ganz so unseriösen Zeitung aus der Schweiz, genauer gesagt der NZZ empfehlen. Rein prophylaktisch, falls Sie wieder meinen sollten, dass nur “Wochenblick”, “alles roger” und die Sellners und Konsorten politisch irgendwas zu melden hätten, um eine in Ihrem linken Weltbild völlig unverständliche Entscheidung journalistisch mit dem billigsten Spin zu diskreditieren. (https://www.nzz.ch/amp/schweiz/ploetzlich-haben-alle-angst-vor-dem-uno-migrationspakt-ld.1430247?__twitter_impression=true)
PS: Wäre schon nett, wenn Sie meine Replik diesmal freischalten. Sie sind ja sicher auch gegen jegliche Form der Zensur als Hüter öffentlich rechtlicher Ethik.
Die Ideologen der fpö,die burschenschafter, haben nach der gescheiterten “1000 jahre ostmarkfeier in graz 1976 gemerkt,dass man mit neonazimus keinen politischen Erfolg mehr erreicht. Der Burschenschaften,Norbert Bürger,südttirolbumser und Gründer der ndp, hat daraus die Konsequenz gezogen: die neue Parole müsse heissen:”Ausländer raus”-.ich war ohrenzeuge dieser Rede burgers am 26.oktober im Rahmen einer nicht öffentlichen ersatzveranstaltung für die verbotene ” 1000 Jahre ostmarkfeier” Der Burschenschafter haider hat dann mit dem ausländervolksbegehren für die FPÖ die Konsequenz aus dieser neuen Strategie gezogen und hat die partei zu der grösse wie heute geführt. Ganz im sinne des ahnen der christlich sozialen, Karl lueger, der mit dem “pöbelsport” antisemitismus wählermassen bewegt und unterhalten hat, versucht es sein Nachfahre kurz mit dem neuer “pöbelsport” ausländerphobie und hat offensichtlich Erfolg..