Rendi rennt
Wer Visionen hat, der braucht einen Arzt. Ein Satz für die Ewigkeit, von einem Journalisten dem SPÖ-Altkanzler Franz Vranitzky zugeschrieben. Die SPÖ hat jetzt eine Ärztin, aber die Visionen dauern noch. Vranitzky war jedenfalls dabei, als Pamela Rendi-Wagner mit 97,8 Prozent der Delegiertenstimmen zur zwölften SPÖ-Vorsitzenden gewählt wurde – und zur ersten Frau an der Spitze der Partei. Das Parteitagsmotto war Nach vorn. Doch Rendi-Wagner hat in ihrer soliden und emotionalen Rede den Parteigründer Victor Adler beschworen – auch er war Arzt. Und natürlich Bruno Kreisky. Der Blick zurück mag trösten, aber nicht mehr.
Die Zeitungen hat das Label Ärztin zur einen oder anderen Formulierung inspiriert. Die Presse sieht Rendi-Wagner naturgemäß am Krankenbett der Sozialdemokratie stehen, während der Falter schon ein erstes Rezept der neuen SPÖ-Chefin für die siechende Partei zu erkennen glaubt. Dabei hat die Grundsatzrede nicht einmal eine ordentliche Diagnose geboten. Dafür einen von den NEOS geklauten Spruch.
Wir freuen uns, wenn wir inspirieren. Kopiert zu werden, ist vielleicht das ehrlichste Kompliment 🤗 pic.twitter.com/1W22H2dSX0
— Das Neue Österreich (@neos_eu) November 24, 2018
Die Sozialdemokratie als Opfer der Pluralisierung
Was die Diagnose betrifft: Die SPÖ ist ja nicht die einzige sozialdemokratische Partei auf der Welt, der es schlecht geht. Wenn sie auch vom Ergebnis der Nationalratswahl und den Umfrage-Daten her noch vergleichsweise fein heraußen ist. Nils Markwardt hat die Frage nach dem Warum des Niedergangs der Sozialdemokratie in der Schweizer Online-Zeitung Republik sehr eingehend und plausibel beantwortet.
Demnach ist speziell die Sozialdemokratie ein Opfer der Fragmentierung und Pluralisierung der Gesellschaft, da sie seit jeher – Victor Adler schau oba – mit ihren Ortsgruppen und starren Strukturen das genaue Gegenteil verkörpere: Sie ist der Inbegriff der politischen Organisation. Lange war sie das zwangsläufig. Ihr historisches Selbstverständnis bestand schließlich darin, die verstreute Arbeiterklasse zu einem politischen Subjekt zu formen. Im Zuge der Pluralisierung wird dies zum Nachteil.
Das Bindemittel zum eigenen Kernmilieu verloren
Und das sei, schreibt Markwardt, sehr viel dramatischer, als es im ersten Moment klingen mag. Denn die ästhetische Verkörperung des standardisiert-industriellen Lebensstils war für die Sozialdemokratie stets mehr als nur bloßes Beiwerk zum politischen Programm. Für eine Kultur des Durchschnitts einzustehen, diente ihr auch als eine Art vorpolitisches Bindemittel zum eigenen Kernmilieu. Die Sozialdemokratie als identitätspolitische Schutzmacht der eigenen Leute mit der Botschaft: Ganz gleich, was “die da oben” sagen, ihr könnt stolz auf euer Leben sein.
Kein Rock ‘n’ Roll in den starren SPÖ-Strukturen
Politiker wie Emmanuel Macron und Sebastian Kurz haben auf die Pluralisierung reagiert und flexible Bewegungen organisiert. Macron praktisch aus dem Nichts, ohne eine Partei. Und Kurz an der Partei vorbei – weshalb jetzt auch von zwei Parteifarben die Rede ist, Türkis und Schwarz. Und die SPÖ? Die hat gerade einmal eine kleine Organisationsreform zustande gebracht und jetzt beim Parteitag beschlossen, keine Rede vom Aufbrechen der starren Parteistrukturen. Nichts mit Rock ‘n’ Roll, wie ihn sich die SPÖ-Dissidentin Barbara Blaha im profil von der neuen Vorsitzenden erwartet.
Den größten Applaus hat Pamela Rendi-Wagner bekommen, als sie gefragt hat: Lieber Sebastian, was genau hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht? Nämlich als Integrationsstaatssekretär und Außenminister. Nach vorn geht es so nicht.
Extrem viel Beifall gab es auch, als die neue SPÖ-Vorsitzende kundtat, sie sei bereit, die erste Bundeskanzlerin der Republik zu werden. Das kann zwar noch etwas länger dauern, neun Jahre möglicherweise. Aber die roten Seelen wollen getröstet werden.
Im Geiste warten sie immer noch am Spielfeldrand
Sie haben es immer noch nicht verinnerlicht, dass sie nicht nur kurz am Spielfeldrand stehen und demnächst wieder eingewechselt werden, sondern auf der Tribüne sitzen. Als Zuschauer. Rendi-Wagner hat die Genossen weiterträumen lassen. Sie hat aber im Vorfeld des Parteitags schon betont, dass die SPÖ die Oppositionsrolle voll und ganz annehme. Dass sie zuletzt bis auf ein paar Interviews praktisch nicht öffentlich präsent war, mag auch damit zusammenhängen. Sie weiß, dass sie mit ihrer Partei eine lange Durststrecke vor sich hat, und geht es daher langsam an. Das Rennt mit mir! aus der Parteitagsrede ist wohl auch nicht als Sprint gedacht, sondern als Ultra-Marathon.
Linkische Propaganda gegen die 60-Stunden-Woche
Es empfiehlt sich auch, ein bisschen Ballast abzuwerfen. Während die Gewerkschaften sich in den Kollektivvertragsverhandlungen dieses Herbstes durch Verbesserungen im Rahmenrecht den 12-Stunden-Tag abkaufen lassen, wettert die SPÖ im Leitantrag, der vom Parteitag beschlossen worden ist, ernsthaft gegen eine generelle 60-Stunden-Woche, die angeblich eingeführt worden ist. Besonders aus der Zeit gefallen dünkt das Versprechen zwei Seiten weiter hinten, das Arbeitszeitgesetz von Schwarz-Blau nach dem Wiedereintritt in die Regierung irgendwann wieder rückgängig zu machen. Das ist der falsche Fokus. Für die sogenannten Brennpunktschulen will die SPÖ 5000 Lehrer mehr, wird also jetzt fleißig, nachdem sie zehn Jahre lang die Bildungsministerin und eine Ewigkeit den Bildungsstadtrat im hauptbetroffenen Wien gestellt hat.
Wenn Doskozil das Migrationsthema schon nervt
Beim Migrationsthema, das die Regierung gnadenlos rauf und runter spielt, ist die SPÖ unkonkret wie eh und je. Das Kopftuchverbot, das sie für Kindergartenkinder gerade im Parlament mitbeschlossen hat, ist laut SPÖ für Volksschüler eine Scheinmaßnahme. Und anstatt wie die NEOS ein konkretes Paket bis hin zum verpflichtenden Ethik-Unterricht und einem Verbot aller religiösen Kleidungsstücke bis zum 14. Lebensjahr vorzulegen, bleibt die SPÖ bei unkoordinierten Forderungen. Besonders pikant ist, wenn der designierte burgenländische SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil in der Presse sagt: Die SPÖ braucht eine Loslösung von dieser dauernden Migrationsthematik. Ausgerechnet jener Doskozil sagt das, der als Verteidigungsminister und auch danach diese Thematik nicht oft genug ansprechen hat können.
Die Chefin hat die Partei noch lange nicht im Griff
Die größten Alphas auf Landesebene – eben der Burgenländer Doskozil und auch der Wiener Parteichef Michael Ludwig – hatten bei der Wahl der 17 (!) Stellvertreter von Rendi-Wagner die schlechtesten Ergebnisse. Ludwig kam auf 89,5 Prozent der Delegiertenstimmen, Doskozil gar nur auf 82,3 Prozent. Beide polarisieren und haben mit Störfeuer Richtung Bundespartei nicht gespart. Ludwig hat bei der Designierung von Rendi-Wagner zur neuen Vorsitzenden vor laufender Kamera gezeigt, wie wenig begeistert er ist. Die jetzt zur Schau gestellte Geschlossenheit täuscht darüber hinweg, dass Pamela Rendi-Wagner diese Partei noch lange nicht im Griff hat. Auch ihr starker organisatorischer Arm Thomas Drozda hat seine Schrammen schon abbekommen. Die Satiriker von der Tagespresse haben zum Parteitag ein Schäufelchen nachgelegt.
Frau an der Spitze ist auch Auftrag für die Männer
Die neue SPÖ-Vorsitzende müsste Stärke zeigen. Wenn sie etwa beim Parteitag sagt: Wer mich heute wählt, soll wissen, woran er oder sie ist: Ich bin Feministin! Dann kann sie eher nicht zuschauen, wie ihre Parteifreunde in Tirol wie geplant Anfang Dezember dem designierten Landesparteichef Georg Dornauer das Vertrauen aussprechen. Der Mann hat sich nicht weniger sexistisch geäußert als der von der ÖVP abmontierte Efgani Dönmez. Doch die männlichen Parteigranden von Wien über das Burgenland bis nach Kärnten messen mit zweierlei Maß und gewähren Dornauer selbstherrlich eine zweite Chance. Das kann man schon machen. Aber die Herren sollten bedenken, dass die erste Frau an der Spitze auch für die Männer in der SPÖ ein Auftrag ist.
3 Gedanken zu „Rendi rennt“
Solange diese “Altfunktionäre” in der Partei noch irgendwas zu sagen haben, wird in der SPÖ nichts weitergehen. Die haben doch außer ihrer eigenen “Machtkarriere” nichts im Kopf. Österrerreich und seine Bürger sind denen doch völlig “wurscht”
Deshalb haben sie ja den Kern`schen Vorschlag auf maximal 10 Jahre Amtsperioden sofort abgeschmettert.
… die Neos sind genausowenig Urheber des Slogans …
Rendi rennt – welch Geniestreich als Wortspiel . ich meine; Kappacher motzt. Selbstgerechtigkeit dürfte sein Lieblingsbefinden sein. Was ist daran linkisch, dass die SPÖ die 60-Stunden Woche abschaffen möchte? Man kann es vielleicht als “wishful tinking” bezeichnen, aber linkisch ganz sicher nicht.