Immer wiederlich
Bizarrer geht es kaum. Der Bundeskanzler erteilt dem Volk via Facebook und Twitter seinen österlichen Segen, während sein Koalitionspartner mit wenig Segensreichem europaweit für Aufsehen sorgt. Der blaue Vizebürgermeister ausgerechnet von Braunau am Inn hat einen gereimten Text mit rassistischen Sprachbildern und antisemitischen Codes als Oster-Postwurf unter die Leute gebracht. Der Kanzler ebenso wie der Landeshauptmann von Oberösterreich, beide in aufrechten Koalitionen mit der FPÖ, verurteilen den Skandal-Text und fordern Distanzierungen. Und die Freiheitlichen liefern, geübt wie sie sind.
Die volle Einsicht des Ratten-Dichters
In der Ablehnung des salopp Ratten-Gedicht genannten Textes waren sich am Ende alle einig. Selbst der Verfasser ist nach einem ernsten und klärenden Gespräch mit dem FPÖ-Landesparteisekretär voll einsichtig und entschuldigt sich: Ich möchte für mein Gedicht zwar nicht die Freiheit der Kunst beugen, bitte aber um Verständnis für meine unscharfen, tatsächlich zu wenig präzis durchdachten Formulierungen. So der Vize-Bürgermeister von Braunau über seinen vor NS-Anklängen strotzenden Text.
Wollen wir uns über die Perfidität dieses Gedichts unterhalten? Also warum es so wirkt wie es wirkt und was da drin enthalten ist? Ich mein es ist nicht gerade subtil, aber ich denke ein Aufdröseln ist trotzdem sinnvoll sprachlich und inhaltlich. #NatsAnalyse https://t.co/KfvACgUV1w
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) April 22, 2019
Empörung bei ÖVP-Chefs in Bund & Land
Bundeskanzler Sebastian Kurz nannte den Text abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch. Hier darf nicht weggeschaut werden, sondern es müssen klar Grenzen gezogen werden. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer griff zum bewährten Wording widerlich, das vor einem Jahr für das Nazi-Liederbuch und zuletzt von Kurz auch für die Identitären verwendet worden ist. In einem weltoffenen Land wie Oberösterreich haben solche Vergleiche keinen Platz und werden auch nicht toleriert, so Stelzer weiter. Der Zeitungsboulevard transportierte die Empörung in der entsprechenden Aufmachung. In der Kronenzeitung war am Vortag ein offenbar vor Ostern geführtes Interview mit Kanzler Kurz zu lesen, mit einem traurigen Nachklang zur Koalitionskrise wegen der FPÖ-Verbindungen zu den Identitären.
Kurzer Nachklang der Identitären-Krise
Ich bleibe wachsam und werde die FPÖ an ihren Taten messen, so der Kanzler im Rückblick – und wohlweislich nicht von Konsequenzen sprechend, die er sonst nur 24 Stunden später hätte ziehen müssen. So konnte er die Verantwortung auf die Landes-FPÖ abladen, die dann Ermahnungen ausgesprochen und auch keine Konsequenzen gezogen hat. Ganz ähnlich ist es in Zusammenhang mit der sogenannten Villa Hagen in Linz-Urfahr gelaufen, wo sich rechtsextreme Identitäre und Freiheitliche im Schoße der schlagenden Burschenschaft Arminia Czernowitz seit Jahren die Klinke in die Hand geben. Ein Eindruck, den die Linzer Stadt-FPÖ von Anfang an gern verwischen wollte, der jetzt aber durch neue Veröffentlichungen verstärkt wird. Der Mietvertrag für das Identitären-Zentrum im Haus ist mittlerweile gekündigt worden, immerhin.
Gestern sagt @sebastiankurz, er wird die FPÖ an Taten messen. Menschenverachtendes Pamphlet der FPÖ Braunau. Strache teilt Inhalte einer Seite, die den Holocaust leugnet. Kurz muss handeln oder er verliert im Kampf gegen Rassismus & Antisemitismus jeden Rest an Glaubwürdigkeit. pic.twitter.com/30t152jb4E
— Pamela Rendi-Wagner (@rendiwagner) April 22, 2019
Rendi-Wagner auf verlorenem rot-blauen Posten
Es bleibt eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und zwar nicht nur für den Kanzler, den die SPÖ am Wochenende völlig zu Recht in die Pflicht genommen hat. Sondern auch für die Sozialdemokraten selbst, deren burgenländischer Landesvorsitzender und Neo-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil fröhlich mit der FPÖ weiterregiert, als würde es die Kampagne der Bundespartei gegen Schwarz-Blau einfach nicht geben. Und der SPÖ-Bürgermeister von Linz, der mit den freiheitlichen Burschenschaftern von der Villa Hagen die Stadt regiert, ist nicht durch besonderen Eifer in dieser Richtung aufgefallen, sondern mehr durch das Gegenteil. Für das Standing von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sind diese rot-blauen Bande das reine Gift.
Strache und die Homepage ohne Aussage
Wer die FPÖ verteufelt, aber die eigenen Berührungspunkte mit den Blauen schlicht verschweigt, hat argumentativ ein Problem. Da können die Argumente noch so gut sein und in die Richtung gehen, dass der FPÖ-Chef und Vizekanzler auf einer Website von Holocaust-Leugnern nichts zu suchen hat. Heinz-Christian Strache hat sich nämlich auf so einer Seite umgetan und einen Artikel mit Bezug zu seiner Person geteilt. Zweierlei ist interessant. Straches Rechtfertigung: Zu dem Zeitpunkt, als dieses Posting gemacht wurde, war keine dementsprechende Aussage auf dieser Homepage ersichtlich. Und die verständnisvolle Einordnung durch den Boulevard: Die reichte von Wirbel um über heiße Polit-Debatte um bis zur Panne auf Facebook im Fellner-Blatt.
Dabei sagt Strache selber, dass sein Posting mit dem Artikel von der antisemitischen Website keine Panne war. Denn zum Zeitpunkt des Postings sei auf der Homepage ja keine Holocaust-Leugnung ersichtlich gewesen. Das ist ein bemerkenswerter Umgang mit einschlägig dokumentierten Quellen im Netz. Ins Bild passt, dass die FPÖ jene, die das dokumentieren, zu diskreditieren versucht. Ins Bild passt aber auch, dass Kanzler Kurz nicht einmal verständnisvoll einordnet, sondern einfach nur schweigt, wenn es um seinen Vizekanzler direkt geht. Nicht widerlich also. Aber halt immer wiederlich.
Ein Gedanke zu „Immer wiederlich“
Natürlich kann man sich zum gefühlten 1000sten Mal an der derzeitigen Bundesregierung nachösterliche abarbeiten, ohne die vielen Toten, die durch Bombenattentate während der Ostermesse in Sri Lanka zu Tode gekommen sind zu erwähnen. Passt dann auch irgendwie ins Bild …