Eine Art Trunkenheit
Österreich nach vorne bringen, das ist ein Wahlkampfslogan der ÖVP. Beim Wasserstoffauto, da sollen wir gar Weltspitze werden, wenn es nach Sebastian Kurz geht. Wo wir das neuerdings schon sind: im Fortnite-Spielen. Bei der ersten E-Sport-Weltmeisterschaft, die gerade in New York über die Bühne gegangen ist, hat ein 17-jähriger Klagenfurter umgerechnet nahezu 1,5 Millionen Euro Preisgeld kassiert. Und noch zwei Österrreicher gehören zur Weltspitze. Fortnite, das ist für viele Eltern ein Fluch. 250 Millionen Heranwachsende haben es schon gespielt. Du musst schnell sein und wie in Trance agieren. Spiele-Experten sprechen von einer Art Trunkenheit. Ähnlich der, die gerade in der Innenpolitik grassiert.
Hundert Spieler werden aus dem Battle Bus über einer Insel abgeworfen, dort suchen sie nach Waffen und Ausrüstung, es gibt Baumaterial für Brücken und Bunker, und alle kämpfen gegeneinander, bis nur noch einer übrig ist. Der Last One Standing hat dann gewonnen. Alles sehr einfach, aber nicht leicht. Es geht alles extrem schnell, man ist ständig bedroht, überfordert und trotzdem entsteht ein Glücksgefühl dabei, auch wenn man oft gar nicht weiß, was man gerade tut, schreibt die futurzone über den Kick, den das Spiel auslöst. Es könnte auch gut die Beschreibung des eigentümlichen Verhaltens vom Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer sein, den der Battle Bus Ende der Vorwoche über Innsbruck abgeworfen hat. Zum Zweck einer Pressekonferenz.
Und Dornauer sprang aus dem Battle Bus
Dornauer legte dort ungeprüft ein ihm zugespieltes Mail vor, in dem Spenden prominentester Tiroler Firmen an eine ÖVP-Kandidatin für die Europawahl aufgelistet sind. Das Besondere an der vermeintlichen Wunderwaffe: bei jeder Spende steht gleich die Gegenleistung dabei. So dumm kann niemand sein, so ein Mail zu verfassen. Alle Betroffenen haben dementiert, Klagen wurden angekündigt. Der gelernte Österreicher denkt sich freilich: Wird schon so gewesen sein. Dem Karrierepolitiker Dornauer blieb es überlassen, das auch noch in Fortnite-Manier zu argumentieren: Jeder Beobachter der Tiroler Politik weiß, dass die im Mail dokumentierten Vorgänge wahr sein könnten. Auf die Frage, was passieren werde, wenn sich das Mail am Ende doch als Fäschung herausstellt, sagte Dornauer: Da passiert bei mir gar nichts.
Ein SPÖ-Wahlkampf wie ein Kreisverkehr
Genau das ist das Elend der SPÖ. Ein Landesvorsitzender kann sich noch so oft ins eigene Knie schießen, ob aus der Horizontalen oder im Stehen. Es passiert ihm nichts. Selbst wenn er damit immer auch die Bundespartei und die Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner trifft. Das Dirty-Campaigning-Label, das die Kurz-ÖVP der SPÖ seit dem Abend des Koalitionsbruchs umhängen will, das pickt nach der Dornauer-Aktion wieder. Rendi-Wagner hatte dem Tiroler nach dem Sexismus-Sager im Tiroler Landtag ja die Schneid abkaufen wollen und ihn vom Bundesparteipräsidium ausgesperrt, sie hat das dann aber revidiert. Der Druck von Doskozil & Co. muss groß gewesen sein, die hielten den Macho-Style aus dem Westen immer schon für verzeihlich. Die bittere Folge für die SPÖ-Chefin ist ein Wahlkampf wie ein Kreisverkehr im rot-blauen Burgenland.
Wo Nehammer landet, wächst kein Gras mehr
Man ist ständig bedroht, überfordert und trotzdem entsteht ein Glücksgefühl dabei, auch wenn man oft gar nicht weiß, was man gerade tut. Ein bisschen so muss es auch dem ÖVP-Generalsekretär gehen. Wenn Karl Nehammer aus dem Battle Bus springt, dann wächst dort, wo er aufkommt, kein Gras mehr. Er und seine Leute sind bereit, alles zu geben, damit der Last One Standing Sebastian Kurz heißt. Und sie haben richtig viel zu tun: So wurde in Mails, die einer FPÖ-nahen Plattform zugespielt worden sein sollen, Kurz und dessen Vertrauten Gernot Blümel eine Mitwisserschaft in Sachen Ibiza-Video unterstellt. Es gibt zwar bis heute nur Screenshots von den Mails, aber Nehammer ließ sie forensisch untersuchen. Das Ergebnis – die Mails seien gefälscht – verkündete er in einer eher skurrilen Pressekonferenz gemeinsam mit Kurz.
Subtiler Raiffeisen-Spott & Projekt Ballhausplatz
Dann die Schredder-Affäre, die so ungewöhnlich ist wie nur irgendwas, aber von der ÖVP als Schlamperei und übliche Vorgangsweise abgetan wird. Sogar die Raiffeisen-Fraktion hat sich subtil darüber lustig gemacht. Karl Nehammer trat in der ZIB2 zur Vernebelung an, Sebastian Kurz auf Servus-TV – mit dem Ergebnis, dass sie es sich mit dem Chef der schwarzen Beamtengewerkschaft verscherzt haben, weil die Botschaft war: Der ÖVP-Mitarbeiter habe die Vernichtung der Druckerfestplatten selber in die Hand genommen, weil man den Beamten im Kanzleramt nicht trauen könne. Man sei ein gebranntes Kind: Seien doch 2017 diese Dateien von solchen Festplatten geklaut und an die Öffentlichkeit gespielt worden: Projekt Ballhausplatz, von ÖVP-Seite stets dementiert. En passant wurde die Echtheit des Kurz-Übernahmeplans bestätigt.
Üble Gerüchte & bizarre Websites als Waffen
Die ÖVP ist aus dem Tritt, der Rest ist Ablenkung. Wenn nicht Leute wie Georg Dornauer dafür sorgen, dann besorgen die ÖVP-Wahlkämpfer das selbst. Etwa durch Lächerlich-Machen, wenn Kurz Fragen zu den geschredderten Inhalten so beantwortet: Soll ein Ibiza-Video auf Druckerfestplatten im Bundeskanzleramt sein, damit man es dort ausdrucken kann – oder was? Indem sie geschredderte Festplatten aus der SPÖ-Kanzlerzeit Christian Kerns ausgraben. Und durch das Vermischen von Sachverhalten, die nicht vermischt werden sollten: Üble Gerüchteverbreiter mit ihren Webseiten wirft man mit der Opposition und anderen Kritikern in einen Topf. Das geht so weit, dass die ÖVP eine völlig unbekannte bizarre Webseite geradezu beworben hat. Dort wurde Kurz als angeblicher Kinderporno-Darsteller geoutet. Man habe über Funktionäre von der Seite erfahren und angesichts der systematischen Schmuddel- und Dreckskampagne gegen Kurz sensibel reagiert, so ein Parteisprecher. Sensibel. Dabei läuft doch Fortnite.
Ein Schmutzschild statt der Message Control
Die Spielwissenschaft vertritt eine These: Der Unterschied zu anderen Spielen ist offenbar vor allem, dass langfristige strategische Planung hier nicht funktioniert und man eben „betrunken“ immer im Moment agiert. Das ist eine Art Trunkenheit, die zur neuen ÖVP-Linie passt: Der Rausch der Message Control ist vorbei, spätestens mit dem Debakel bei der Spendentransparenz war Dauer-Erklärungsbedarf gegeben. Da hat man dann begonnen, ein Momentum zu kreieren. Ein kreativer Wortschöpfer hat es auf Twitter die Errichtung eines Schmutzschildes genannt. Zuletzt im Facebook-Posting von Sebastian Kurz, in dem er noch einmal alles gut durchmischt: Mit gefälschten Mails hat es begonnen und fand diese Woche die Fortsetzung, indem auch der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer ein gefälschtes Mail verbreitet hat. Dem nicht genug werden auch Gerüchte über Kinderpornografie, Drogenmissbrauch oder Korruption gestreut.
Immer deutlichere Parallelen zu Jörg Haider
Ich stehe mit euch für Veränderung, und sie wollen uns mit allen Mitteln aufhalten. Das ist die Botschaft des ÖVP-Chefs. Eine riskante Strategie, die Expertinnen wie Natascha Strobl hier in diesem lesenswerten Thread auf Twitter frappant an Jörg Haider erinnert. Und auch der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer sagte im Ö1-Mittagsjournal: Das ist eine klassische rhetorische Figur von Rechtspopulisten, dass sie, wenn Schwierigkeiten auftauchen, diese Umkehr machen: dass sie nicht Täter sind, sondern Opfer. Sebastian Kurz tourt schon wieder durch die Lande, zuletzt war er bei Magna in Graz und hat sich ein Wasserstoffauto zeigen lassen. Weltspitze. Immer im Moment agieren. Vergesst die mehr als 30 Jahre durchgehender ÖVP-Führung im Umweltministerium. Vorher war Kurz im Silicon Valley, wo er die Chefs von Apple, Netflix und Uber getroffen hat.
Auch bei Google und Tesla hat Kurz vorbeigeschaut. Ob er heimlich auch einen Abstecher zu Epic Games an der Ostküste gemacht hat, das wissen wir nicht. Das Softeware-Unternehmen in North-Carolina hat Fortnite entwickelt und verdient so viel Geld damit, dass es 17-Jährigen aus Österreich Millionen-Preisgelder zahlen kann. Ob sich das Spiel auch für den 32-jährigen Ex-Kanzler aus Österreich auszahlt, wird sich zeigen. Er sollte in dem Zusammenhang nur wissen: Irgendwann ist man einfach zu langsam dafür, und die Erfolgsmomente fehlen. Einen 24-jährigen Teilnehmer an der Fortnite-WM haben die Kommentatoren gnadenlos als Veteranen bezeichnet.
2 Gedanken zu „Eine Art Trunkenheit“
Mit blendender Diktion wieder einmal genau ins Schwarze getroffen!
Vielen Dank, das freut mich sehr.