Im Auge des Spin
Michael Spindelegger steht auf verlorenem Posten. Der ÖVP-Obmann, der seit gut eineinhalb Jahren innerparteilich auf der Abschussliste steht, hat sich mit dem überraschend guten Abschneiden des ungeliebten Spitzenkandidaten Othmar Karas über die Europawahl drübergerettet. Weit über den Wahlabend hinaus hat sich Spindelegger aber nicht freuen können, denn jetzt kommt es richtig dick. Die SPÖ mit ihrem un-freund-lichen EU-Wahlergebnis schlägt zurück und will die Steuerreform auf Biegen und Brechen. Die Zeit ist reif, sagt der Kanzler-Minister und bläst zum Sturm auf den Koalitionspartner.
Gegenwind ist Spindelegger ja gewöhnt, auch aus den eigenen Reihen. Derzeit sind es die schwarzen Arbeiterkammer-Präsidenten in Westösterreich, die den Bundesparteiobmann wegen seiner Verweigerungshaltung als Finanzminister in Sachen Steuerreform am liebsten aus der Partei ausschließen würden. Nicht ganz so drastisch, aber in der Sache genauso hart sind der Chef der Christgewerkschafter Norbert Schnedl und ÖAAB-Mann Werner Amon, wobei Letzterer auch stellvertretend für die immer renitenten Steirer in der Volkspartei genommen werden kann.
Gegenwind ist Spindeleggers Schicksal
Die haben ja Seite an Seite mit den ÖVP-Landeshauptleuten der Westachse Vorarlberg-Tirol-Salzburg nach der Nationalratswahl den Aufstand gegen Spindelegger geprobt. Dazu kam der Wirtschaftsbund mit dem ehrgeizigen Christoph Leitl an der Spitze, der dem Finanzminister – der er wohl selber gern geworden wäre – en passant jede Sachkenntnis und Durchsetzungsfähigkeit abgesprochen hat. Den widerständigen Schwarzen war die schlichte Neuauflage der Koalition mit der SPÖ ohne jede Perspektive für die Zukunft zu wenig – und sie haben so lange gestichelt, bis es ein kurzfristig einberufenes Krisentreffen an einem Sonntagabend Mitte Jänner dieses Jahres in Wien gab.
Fekter schaut erste Reihe fußfrei zu
Es ging als sprichwörtliche “Routinesitzung” in die Geschichte ein, weil in der Partei keiner einen Plan – sprich eine Alternative zu Spindelegger hatte. Der ÖVP-Obmann hatte ein zweites Mal überlebt, nach Alpbach im Sommer 2012 – wo er zum ersten Mal versucht hatte, Maria Fekter als Finanzministerin zu demontieren. Und kläglich gescheitert ist. Fekter hat es ihm, wie wir im Nachhinein wissen, mit dem Budgetloch in den Koalitionsverhandlungen und mit dem Hypo-Desaster mehr als heimgezahlt. Sie schaut sich das jetzt alles als Kultursprecherin im Nationalrat erste Reihe fußfrei an, wenn sie nicht gerade auf einem Wohlfühltermin ist.
Der Kanzler-Minister dreht voll auf
Ausgerechnet der Mann, der die letzten Ausläufer des Ortstafelsturms in Kärnten befriedet hat und dies bei keiner Gelegenheit unerwähnt lässt, bläst jetzt zum Sturm auf den ÖVP-Obmann, der unbedingt Finanzminister hat werden wollen. Josef Ostermayer weiß, was für den Kanzler, der ihn zum Minister gemacht hat, auf dem Spiel steht – wenn bis zum SPÖ-Parteitag im Herbst dieses Jahres keine vertretbare Steuersenkung für die Arbeitnehmerschaft über die Bühne ist. Deshalb dreht der Kanzler-Minister jetzt so richtig auf. Die Steuerreform ist Chefsache, das war die Botschaft der vergangenen Tage. Das überlässt Werner Faymann nicht den vor-wahlkämpfenden SPÖ-Landeschefs und schon gar nicht dem nach-wahlkämpfenden Bundesgeschäftsführer.
Die Kronenzeitung spielt voll mit
Chefsache, das heißt immer auch: Sache der Kronenzeitung, zu der die Chefs sehr gute Kontakte pflegen. Das war schon so, als Werner Faymann seinen Kniefall vor dem damaligen Krone-Herausgeber Hans Dichand gemacht und den berühmten EU-Brief geschrieben hat, der einen Schwenk in der Europapolitik der SPÖ mit sich brachte. Manche sprechen ja von einem Sündenfall, nicht von einem Kniefall. Und jetzt spielt die Krone wieder mit: Am Sonntag veröffentlichte das Boulevardblatt „erste Details aus dem Finanzministerium zur neuen Steuerreform“, und der Titel war noch untertrieben. Konnte man in der Krone doch fix-fertige Listen mit der monatlichen Entlastung für Brutto-Monatseinkommen von 1500 bis 5900 Euro finden und studieren.
Roter Spin als glatte Provokation
Das wurde nicht zufällig am selben Tag veröffentlicht, als Josef Ostermayer in der ORF-Pressestunde auftrat. Und die Listen kamen zwar aus dem Finanzministerium, aber um genau zu sein: aus dem SPÖ-Finanzstaatssekretariat unter Führung von Sonja Steßl, die von den roten Think Tanks ÖGB und Arbeiterkammer versorgt wird. Die haben auch gleich die Gegenfinanzierung mitgeliefert: 1,5 Milliarden Euro aus einer Millionärssteuer und bis zu 500 Millionen aus einer Erbschafts- und Schenkungssteuer. Für Spindelegger, der das Finanzministerium bis zum Beweis des Gegenteils ja noch führt und genau diese von der Krone zitierte Gegenfinanzierung immer ausgeschlossen hat, ist das eine glatte Provokation. Er muss sehen, dass sein Partner alle Geschütze auffährt – und dass da kein Parteisekretariat dahintersteckt, auf das man sich in solchen Fällen gerne ausredet. Nein, hier zieht der Regierungschef persönlich die Fäden.
Ein Obmann als Koalitionsopfer?
Normalerweise muss man in solchen Fällen den Koalitionsalarm ausrufen. Die legen es auf ein Scheitern der Regierung an, möchte man meinen – und erste SPÖ-Landeschefs, namentlich Hans Niessl, haben es wie vor ihm auch erste GewerkschafterInnen schon ausgesprochen. Beenden wir diese ungeliebte Koalition. Doch das Kalkül der SPÖ könnte aufgehen. Michael Spindelegger hat dermaßen wenig Rückhalt in seiner Partei, dass viele seiner Freunde die Debatte als willkommene Gelegenheit sehen könnten, ihn endlich loszuwerden. Wenn die Europawahl schon keinen Anlass geboten hat, dann eben die Steuerreform. Jetzt wird es wirklich eng für Spindelegger.