Schattenregieren
Genau fünfzehn Jahre ist es jetzt her, dass sich Wolfgang Schüssel vom dritten Platz bei der Nationalratswahl am 3.Oktober 1999 ins Kanzleramt gepokert hat. Mit Hilfe der Haider-FPÖ und nach einem Masterplan wurde die SPÖ abmontiert, wie Herbert Lackner im neuen profil sehr aufschlussreich dokumentiert. Wie das Abenteuer ausgegangen ist, wissen wir. Und nach Schwarz-Blau-Orange ist dann wieder Rot-Schwarz gekommen. Um zu bleiben. Bis heute. Die Gewerkschaft geht nicht mehr auf die Straße, sie sitzt längst wieder mit am Tisch – selbst bei der Regierungsklausur. Die SPÖ hat sogar das Konzept für eine Steuerreform von ÖGB und AK eins zu eins übernommen. Und wundert sich, dass es mit der Harmonie nicht restlos geklappt hat in Schladming.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: als Erster ist der Arbeitgeber-Präsident und nicht der Gewerkschaftsboss gekommen. Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl traf vor allen anderen bei der Regierungsklausur in Schladming ein, um schnell ein paar Wünsche an die Koalition in die Mikrofone zu diktieren.
Das ist wohlgemerkt jener Christoph Leitl, der als einer der Chefverhandler der ÖVP für das Zustandekommen des Koalitionsvertrags mit der SPÖ verantwortlich zeichnet – aber jetzt mit seiner Wirtschaftskammer hartnäckig verhindert, dass die vereinbarten Strafzahlungen für Unternehmen umgesetzt werden, wenn diese zu wenige ältere Arbeitnehmer beschäftigen. Die Vorgaben – unter anderem Quoten für Unternehmen – auf Seite 64 im Koalitionspakt sind eindeutig, aber die Wirtschaftskammer blockt ab. Und ihr Präsident gibt in Schladming wieder den großen Erneuerer.
Siamesische Steuer-Zwillinge
Dann Auftritt von ÖGB-Präsident Erich Foglar, der gemeinsam mit der Arbeiterkammer in den vergangenen Monaten ein Steuerreform-Modell ausarbeiten hat lassen, das sechs Milliarden Euro kosten würde. Aber die Gewerkschafter wollen nicht so genau sagen, woher das Geld dafür kommen soll. Sie bieten nur Reform-Überschriften und fordern Steuern auf Vermögen, die politisch mit der ÖVP aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durchsetzbar sind. Das wiederum hat die SPÖ nicht davon abgehalten, das Gewerkschaftsmodell zu ihrem eigenen Modell zu machen. Der Parteivorsitzende hat angekündigt, beim SPÖ-Parteitag Ende November einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Die ÖVP vernahm die Botschaft und ist anhaltend irritiert.
Und so kam es, dass die sozialpartnerschaftliche Schattenregierung oder besser deren Auswüchse – Stichwort Steuerreform-Modell – auch die Regierungsklausur verschattet haben. Der Sinn solcher Veranstaltungen ist ja, Aufbruchsstimmung zu verbreiten und den Eindruck von Harmonie. Deshalb werden Beschlüsse, die bei Regierungsklausuren präsentiert werden, von langer Hand vorbereitet – und wenn überhaupt, dann sind nur noch wenige Fragen offen, die am Tagungsort geklärt werden müssen.
Read my lips: no new Proporz
Mit einem Zeitplan für den Umbau der Staatsholding ÖIAG ist Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner am ersten Tag noch ein Überraschungscoup gelungen – freilich aus der Not geboren. Kritische Berichte in den Medien über das koalitionäre Tauziehen um die Reform der ÖIAG samt Posten-Spekulationen haben den Ausschlag gegeben, hier ein Signal zu setzen. Und nein, es wird keine Rückkehr zum rot-schwarzen Proporz geben. Großes Politiker-Ehrenwort. Am zweiten Tag ging es dann um die Steuerreform, und es hat ordentlich geknirscht im Getriebe. Denn eine Partei, die in zwei Monaten beim Parteitag ein Volumen von sechs Milliarden Euro Steuerentlastung zur Beschlusslage erheben will, die kann schwer mit der anderen Regierungspartei einfach so ein Volumen von fünf Milliarden Euro ausmachen.
2016 erst die halbe Entlastung?
Versucht haben sie es trotzdem, aber es hat nicht funktioniert. Finanzminister Hans Jörg Schelling von der ÖVP hat im Ö1-Interview klargemacht, dass aus seiner Sicht keine sechs Milliarden drinnen sind, sondern nur fünf Milliarden – und das in Etappen ab 2016. Dem Vernehmen nach soll das Finanzministerium nur etwa die Hälfte – also 2,5 Milliarden – in die erste Etappe hineinpacken wollen, der Rest würde sich auf später verteilen. Das verträgt sich alles nicht mit der SPÖ-Gerechtigkeitskampagne, und nach viel Hin und Her hat man sich auf die Formulierung geeinigt: fünf Milliarden Volumen und gerne auch mehr, wenn es sich ausgeht. Der Kanzler hat in der Pressekonferenz in Schladming, die viele Medienleute leicht verwirrt hat, von “mindestens fünf Milliarden” gesprochen und auf die Frage, wann denn die Steuerentlastung wirksam werden wird, hat Werner Faymann allen Ernstes geantwortet: Das sei letztlich Sache des Parlaments, dem man nicht einfach quasi einen Termin hinknallen könne – das gebiete der Respekt. Als ob sie dem Parlament nicht dauernd etwas hinknalllen würden.
Neustart von der Unterkante
Sozialminister Rudolf Hundstorfer von der SPÖ hat dann einen Tag später in der ORF-Pressestunde noch eins draufgelegt und gemeint: Die fünf Milliarden Euro, auf die man sich geeinigt hat, das sei die “Unterkante”. Er gehe davon aus, dass die Entlastung stärker ausfallen werde. Man hört in diesem Zusammenhang jetzt oft und eben auch von Hundstorfer im Fernsehen, dass es in Wahrheit doch schon großartig sei, dass sich die Regierung überhaupt auf einen Betrag verständigt habe. So kann man es natürlich auch sehen, die korrektere Formulierung wäre freilich: dass sich die Regierung überhaupt auf irgendwas geeinigt hat.
Mag sein, dass das wirklich alles nur Parteitagsspielchen mit der entsprechenden Rhetorik sind und dass nachher alles nicht so heiß gegessen wird (wofür sich viele in der SPÖ allerdings schön bedanken würden). Was bleiben wird, das ist der Schatten auf dem Regieren. Das alte Misstrauen ist wach. Ein Neustart sieht anders aus.