Die Nachbesserer
Der Investor Siegfried Wolf hat sein Angebot zur Übernahme des MAN-Standorts in Steyr nachgebessert, wobei als Sahnehäubchen der Nachbesserung gelten darf, dass sich die Raiffeisen Oberösterreich bei mir beteiligen wird. Wir werden gemeinsam hier auftreten, und damit ist auch das Geld sicher. Sprach Wolf in der ZIB2 – und man fragt sich: Ist das jetzt eine Art Staatsbeteiligung, nur halt eine gute unter dem Giebelkreuz des schwarzen Kernlands? Auch Finanzminister Gernot Blümel von der ÖVP hat diese Woche nachgebessert, freilich unter impliziter Androhung des Bundespräsidenten, dass sonst ein Sonderkommando durchs Fenster kommt und die Akten für den Ibiza-Ausschuss herausholt. Der Glaube an die politische Vernunft entschwindet in türkisen Socken.
Noch eine Nachbesserung fällt uns ein, über die der Standard hier ausführlich berichtet. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss wird sich mit dem Notverkauf der Möbelkette Kika/Leiner an den Immobilien-Investor René Benko befassen, weil die Opposition eine unstatthafte Einflussnahme der Politik auf dieses Geschäft vermutet. Und das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern hat sich dank der Daten aus dem Handy von Thomas Schmid ergeben. Der hat nämlich mit panisch anmutenden Kurznachrichten (Scheiße. – Das ist nicht gut. – Ich bin tot.) auf die damalige – das war 2018 – Berichterstattung im trend reagiert, wonach Schmid von höchster Stelle der Regierung Kurz gebeten worden sein soll, im Bundesrechenzentrum den Fristenlauf für die Anmeldung einer Insolvenz zu verlangsamen. Dadurch sollte Zeit für den Deal von Benko gewonnen werden, für Nachbesserungen, damit das klappt, so die Vermutung.
Siegfried Wolfs Werk & René Benkos Beitrag
Es sind Aktionen wie diese, die Benko zu einem wichtigen Ansprechpartner der Politik machen. Hierzulande gibt es wohl wenige andere, die derartige Summen verschieben können, wenn Feuer am Dach ist. Dabei ist Benko natürlich kein selbstloser Ritter; anders kommt man wohl kaum zu einem geschätzten Vermögen von mindestens 4,7 Milliarden Euro. Mit dieser Einschätzung trifft es der Standard genau: Es geht natürlich nicht nur um die Rettung von Jobs – bei Kika/Leiner genauso wie bei MAN. Es geht selbstverständlich immer auch um die Interessen der involvierten Investoren. Sowohl René Benko als auch Siegfried Wolf haben exzellente Drähte zur Politik, davon profitieren beide Seiten. Und da wird etwa im Fall MAN einfach nicht hinterfragt, warum der wortbrüchige Konzern von Anfang an nur mit Wolf verhandeln wollte und ob da vielleicht im Hintergrund etwas läuft. Da lässt die Landespolitik lieber die engen Kontakte zu Raiffeisen spielen, um die Belegschaft doch noch ins Boot zu holen.
Ignoranz bis an den Rand des Verfassungsbruchs
Die Nachbesserung der Aktenlieferung durch den Finanzminister könnte man so gesehen auch der Sicherung von Arbeitsplätzen zuschreiben, in dem Fall bei der Novomatic. Der damalige Chef des Glückspielkonzerns hat sich 2017 an Blümel gewandt: Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz, erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben! Das Problem war eine drohende Steuernachzahlung der Italien-Tochter. Die ÖVP argumentiert, man helfe Unternehmen immer gerne. Die Korruptionsermittler hingegen hegen den Verdacht der Bestechlichkeit und führen den Finanzminister in dem Fall als Beschuldigten. Blümel weist den Vorwurf strikt zurück. Die volle Kooperation bei der Aufklärung hat sich freilich so gestaltet, dass der ÖVP-Minister und Kanzler-Vertraute die Aufforderung des Verfassungsgerichtshofs, weitere Dokumente ans Parlament zu liefern, einfach ignoriert hat.
Die Ereignisse, die es so noch nicht gegeben hat
Die Höchstrichter haben deshalb die Exekution ihrer Anordnung durch den Bundespräsidenten beantragt, Alexander Van der Bellen nannte das: Ein Ereignis, das es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat. Abgesehen davon, dass Van der Bellen an den Umgang mit solchen Ereignissen mittlerweile schon fast gewöhnt ist, kann man sich keinen größeren Affront vorstellen, den sich ein Mitglied der Bundesregierung in unserem Verfassungsgefüge leistet. Gernot Blümel hat die Gewaltenteilung quasi mit Füßen getreten – die türkisen Socken, in denen er respektlos im Sitzungssaal des Nationalrats herumgelaufen ist, die kann man sich dazudenken. Die Anordnung des Verfassungsgerichtshofs kann auch als Wink für den Bundeskanzler gewertet werden, der dem Höchstgericht in Sachen Aktenlieferung 692 Mails von Mitarbeitern übermittelt hat, wonach diese in einem umfassenden Suchprozess keinerlei abstrakt relevante Akten und Unterlagen gefunden hätten. Leermeldungen, die man als Provokation verstehen kann.
Eine Partei, die mit dem Parlament nichts am Hut hat
Sebastian Kurz hat mit Parlamentarismus nichts am Hut, die parlamentarischen Abläufe passen nicht in sein Consulter- und Marketing-Denken. Parlamentarische Kontrolle – mit all ihren zugegebenen Schwächen, Stichwort Show – ist den Kurz-Leuten ein Gräuel. Nach seiner Abwahl als Kanzler infolge der Ibiza-Affäre ist der ÖVP-Obmann trotzig wie ein Kind aus dem Parlament ausgezogen, die Annahme des ihm zustehenden Abgeordnetenmandats kam für Kurz nicht in Frage. Er spielte lieber den Gladiator seiner künstlich-türkisen Bewegung und zog mit einem verräterischen Spruch in die Wahlschlacht: Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden. Bei der Nationalratswahl 2019 hat Kurz dann auch nachgebessert: plus sechs Prozenpunkte auf 37,5 Prozent, nie war der Abstand zum Zweiten größer. Die Grünen mit plus zehn Prozentpunkten waren als Koalitionspartner rasch ausgemacht, Max Weber musste die Räuberleiter machen, und das Beste aus beiden Welten sollte seine Wirkung entfalten.
Das Unglaublichste aus beiden Welten
Heute stehen wir vor dem Unglaublichsten aus beiden Welten: Der Finanzminister bricht die Verfassung, wie es der ehemalige Spitzenbeamte Manfred Matzka in einem Gastkommentar ganz klar benennt: Unsere Verfassung, wie jede andere auch, lebt davon, dass die Staatsorgane immer und aus freien Stücken das tun, was ihnen die Verfassung befiehlt. Das ist vor allem für Grenzorgane wichtig, also solche Organe, die niemanden über sich haben. Wenn sich diese nicht an die Regeln halten, droht ein Zusammenbruch des Systems. Und Matzka im Standard weiter: Eine Exekutionsbestimmung ist ja nur mehr die Notbremse. Sie unterstützt lediglich, was die Staatsorgane ohnehin geschworen haben: die Entscheidung des zuständigen Gerichts zu befolgen. Sie ist die allerletzte Antwort auf eine Frage, für die es eigentlich in einem Verfassungsstaat niemals einen Anlass geben darf, nämlich die rhetorische Frage: Und was geschieht, wenn sich ein oberstes Organ nicht verfassungstreu verhält?
Grüne kämpfen gegen Details & übersehen das Stück
Und während schon Gerüchte kursieren, das könnte es jetzt aber wirklich gewesen sein mit der politischen Karriere der türkisen Socke, wird Gernot Blümel von der Grünen Klubchefin im Ö1-Mittagsjournal argumentativ wenig überzeugend in Schutz genommen. Und auch der sonst um kein kritisches Wort Richtung ÖVP verlegenen Fraktionsführerin der Grünen im Ibiza-Ausschuss entkommt nur ein sehr peinlich als Kommentar zum noch nie Dagewesenen. Da gäbe es noch einiges nachzubessern, aber das hat schon in anderen Zusammenhängen nicht funktioniert. Die kleine Regierungspartei kämpft löblich gegen toxische Details, die ihnen die ÖVP einbrockt – Stichwort: keine Hausdurchsuchungen bei Behörden mehr (ein Plan, den der Oberste Gerichtshof in einer wunderbar trockenen Stellungnahme geradezu vernichtet hat) – doch die Grünen verlieren darüber das Stück aus den Augen.
Auch der Tiroler Landeshauptmann würgt an seinem Ibiza
Es war der 25. Februar 2018, das Korruptionsvideo von Ibiza geisterte schon herum, sollte aber erst ein gutes Jahr später die Republik erschüttern. Doch der damalige Vizekanzler in der Regierung Kurz, Heinz-Christian Strache von der FPÖ, verkündete bereits öffentlich, dass er es gern wie Viktor Orbán machen würde, wenn er die absolute Mehrheit hätte. Stattdessen hatte Strache den re-soluten Herbert Kickl, der furchtsamen Demokratie-Bewegten zeigte, wo sich die Politik das passende Recht holt. (Man vergisst ja so schnell. Jan Böhmermann hat im ZDF Magazin Royale jetzt ein bisschen was über Sebastian Kurz zusammengeschnitten, das dem Kanzler nicht gefallen dürfte. Sollte es auch nicht.) An diesem 25. Februar 2018 saß Kurz im Büro des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter, beide triumphierend. Es galt, einen Wahlsieg zu feiern. Plus fünf Prozentpunkte für die Tiroler Volkspartei, Rückenwind für Platter, der Kurz-Effekt hat gegriffen.
Heute ist Günther Platter ähnlich angeschlagen wie Kurz. Beide hatten ihr Ibiza. Bei Kurz sind es die Chat-Protokolle, bei Platter war es Ischgl. (Für seine großartigen Reportagen hier und hier über dieses Fanal der Pandemie ist der ORF-Journalist Ed Moschitz mit dem ersten neuen Gattererpreis ausgezeichnet worden.) Und ein gutes Jahr später hat Platter jetzt nachgebessert. Im Zuge einer geplanten Personalrochade, die ihm letztlich entglitten ist und kurz den Blick auf die tickende innerparteiliche Uhr freigegeben hat, ist der politisch verantwortliche Landeshauptmann seinen Sündenbock Bernhard Tilg losgeworden, auf dessen Grabstein dereinst noch geschrieben stehen wird: Alles richtig gemacht.
Machtmissbrauch, fehlender Respekt & kein Gespür
Dabei ist selten so viel nicht richtig gemacht worden wie in den vergangenen Monaten, und wir reden nicht von der Pandemie und ihren oft übermenschlichen Herausforderungen. Wir reden von Machtmissbrauch, von fehlendem Respekt für den Rechtsstaat und von absolut null Gespür für politische Verantwortung. Während auf best friends mit Viktor Orbán, Janesz Jansar und Konsorten gemacht und Hinterzimmer-Politik mit Kalibern wie Siegfried Wolf und René Benko oder im ORF betrieben wird, haben die Österreicher – so sieht es der austro-amerikanische Journalist beim Brüsseler Magazin Politico Europe, Matthew Karnitschnig – das Gespür für das Normale verloren. Der kritische Beobachter von außen hat zuletzt den Artikel House of Kurz geschrieben, eine Vernichtung des einstigen Polit-Shootingstars. So was wischt man im Kanzleramt weg. Journalisten halt.
Da würde nur ein großer Sockenwechsel helfen
Wenn ehemalige Förderer des Wunderkinds dieses weglegen, geht das nicht mehr so leicht. Der steirische Industrielle Jochen Pildner-Steinburg zeigt sich im Standard so enttäuscht, wie man nur sein kann: Ich habe Sebastian Kurz wirklich mit großer Überzeugung unterstützt. Ich habe in ihm eine große Hoffnung gesehen, dass sich in diesem Land Entscheidendes zum Besseren ändert. Ich hatte auf einen neuen Stil, auf eine neue Art der Politik, eine offene Politik gehofft, die vor allem auch attraktiv für die junge Generation ist. Wirklich neu ist jetzt nur, dass man sich mit Socken – wie der Finanzminister im Parlament – oder mit Turnschuhen bei der Angelobung – wie der neue Gesundheitsminister – bewegt und Schulden bis zum Exzess macht. Kurz hatte gute Karten. Aber das, was jetzt passiert, kann ich einfach nicht gutheißen.
In anderen Worten: mit kleinen Nachbesserungen auf leisen Sohlen ist es da nicht getan, da hilft nur ein großer Sockenwechsel. Doch der wäre das Ende des Systems Kurz.
Ein Gedanke zu „Die Nachbesserer“
Das Ibiza Video “geisterte” schon 2018 im Feber herum?