Tour de Kurz
Wir haben getan, was wir tun mussten, um zu gewinnen. Es war nicht legal, aber wir hätten sonst nicht gewonnen. Das hat Lance Armstrong gesagt, zwanzig Jahre nach seinem ersten Sieg bei der Tour de France, dem weitere sechs folgen sollten. Alle sieben Tour-Siege wurden dem Texaner, der heute Podcasts macht und immer noch von vielen bewundert wird, wegen systematischen Dopings aberkannt. Auch die Kurz-ÖVP hat getan, was sie tun musste, um zu gewinnen. Systematisch Wahlkampfkosten überschreiten. Bei den Nationalratswahlen 2017 und auch 2019, wie der Falter nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Wien behaupten darf.
Das Handelsgericht Wien hatte dem Falter nach einer Klage der ÖVP auf Unterlassung und Widerruf in zwei von drei Punkten recht gegeben: So sei die Behauptung zulässig, dass die Kanzlerpartei vorsätzlich geplant habe, die gesetzliche Obergrenze für die Wahlkampkosten 2019 so wie schon 2017 – damals waren es mit dreizehn Millionen Euro sechs Millionen mehr als erlaubt – zu überschreiten. Und der Falter dürfe auch behaupten, die ÖVP täusche die Öffentlichkeit bewusst über ihre Wahlkampfausgaben. Nur die Behauptung, die ÖVP wolle die Überschreitung der Wahlkampfkosten-Obergrenze vor dem Rechnungshof verbergen, muss das Blatt unterlassen.
Der Lance Armstrong der Innenpolitik
Gegen die beiden verlorenen Punkte hat die Volkspartei berufen – und wieder verloren. Ob sich eine politische Partei (neuerlich) über die Beschränkung der Wahlwerbungsausgaben hinwegsetzt, ist daher ein – nach Auffassung der Klägerin sogar möglicherweise wahlentscheidendes – Thema von hohem Gewicht und öffentlichem Interesse. Das ist ein Schlüsselsatz aus der Urteilsbegründung des Richters am Oberlandesgericht Wien. Die Nichteinhaltung des Wahlkampfkosten-Limits sei ein Gesetzesbruch, also illegal – und gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern besonders unfair. Steht auch in der Begründung. Die Parallelen zu Lance Armstrong waren auf Social Media rasch gefunden.
Die Push-Faktoren & die Pull-Faktoren
Sebastian Kurz hat die ÖVP 2017 übernommen und sie mit Hilfe von Push-Faktoren aka Großspender und Pull-Faktoren aus dem Propaganda-Baukasten an die Macht gehievt. Das System Kurz hat er im Hintergrund schon davor aufgebaut, als Außenminister von Gnaden seines Erfinders Michael Spindelegger. Man könnte es als einen Treppenwitz sehen, dass Spindelegger sein Geld heute mit Kurzens Paradethema Migration verdient, als Generaldirektor des großteils mit EU-Geldern finanzierten Wiener Thinktanks ICMPD. In der Funktion durfte Spindelegger weitgehend unhinterfragt für 2021 prognostizieren, dass die kostenlose Corona-Schutzimpfung ein Magnet für irreguläre Migration sein werde, weil sie für Menschen aus Afrika, Lateinamerika und Asien sehr attraktiv sei. Ein Pull-Faktor, der fast schon ein Push-Faktor ist, weil man so darauf gestoßen wird.
Noch kein Ritt ins Licht am Ende des Tunnels
Die Themen – Migration und Corona-Impfung – decken die Bandbreite von Sebastian Kurz jedenfalls sehr gut ab. Vor einem Jahr hat er schon das Licht am Ende des Tunnels gesehen, nachdem er zuvor rechtzeitig zum Start der Sommertourismus-Saison die gesundheitlichen Folgen der Pandemie für überstanden erklärt hatte. Zu Beginn dieses Sommers hat Kurz kurzerhand die Pandemie für beendet und zur eigenverantwortlichen Sache jedes Einzelnen erklärt. Impfen als Gamechanger, auch wenn sich für die Spielentscheidung zu Wenige impfen lassen. Jetzt kommt die vierte Welle, und die Epidemiologen und die Virologinnen ringen die Hände, weil wieder einmal zu spät über bundesweite Maßnahmen nachgedacht wird.
Das One-Trick-Pony trabt durch die Manege
Doch dann kam die Afghanistan-Krise, und der ÖVP-Obmann wechselte aus dem Kroatien-Urlaub als One-Trick-Pony direkt in die Manege. Das Publikum beim Parteitag am Samstag in St. Pölten soll ja tosen. Es wird zwar nicht wieder ein Traum in Türkis sein wie im September 2017 in der Wiener Stadthalle, wo huldigende Jünger für Sebastian Kurz Spalier saßen. Die Veranstaltung schlug laut den dem Falter zugespielten Unterlagen aus der ÖVP-Buchhaltung – sie waren anders als zunächst flott behauptet nicht gefälscht – mit Kosten von sage und schreibe einer Million Euro zu Buche. Wir haben getan, was wir tun mussten, um zu gewinnen. Diesmal wird es die Kanzlerpartei wohl billiger geben.
Die Einnahmensituation hat sich geändert, die Zeiten auch. Das musste Kurzens liebster Ex-Partner Heinz-Christian Strache gerade erleben. Erstinstanzlich verurteilt wegen Bestechlichkeit in Zusammenhang mit Gesetzeskauf. Ein Pionier.
Sonderangebot mit Falschinformationen
Inhaltlich gibt es die ÖVP ohnehin billig. 2015 darf sich nicht wiederholen, das Signal der Menschlichkeit von einer großen Mehrheit auf EU-Ebene, vom Bundespräsidenten und vom Koalitionspartner Grüne – zuletzt hat auch Justizministerin Alma Zadic gefordert, Frauen und Kinder aus den Fängen der Taliban zu retten – das sei ein falsches Signal, sagen Kurz, sein Innenminister Karl Nehammer und sein Außenminister Alexander Schallenberg. Schallenberg, das ist der untadelige Karrierediplomat, der die Rufe nach Menschlichkeit für die Geflüchteten auf Lesbos als Geschrei abgetan hat, der dann vor Weihnachten 2020 eine Lösung in Aussicht stellte, um 500 Kinder vor Ort zu betreuen – und der jetzt nicht die Größe hat zuzugeben, dass er damit gescheitert ist, sondern Falschinformationen vor Hunderttausenden ZIB2-SeherInnen verbreitet hat.
Nicht unter meiner Kanzlerschaft, eine Message
Das passiert eben, wenn in kommunikativ herausfordernden Zeiten die Message Control wieder angezogen wird. Da wird dem Vorarlberger Grün-Landesrat Johannes Rauch, der den Afghanistan-Kurs der ÖVP schlicht als Schande bezeichnet hat, entgegengehalten, er möge doch bitte zur Sacharbeit zurückkehren. Notabene von jenen, die tagelang nichts als Propganda-Arbeit gemacht haben. Darunter der ÖVP-Chef, der in Sommergesprächen auf Puls24 und auf oe24.TV klargestellt hat, was er beim Parteitag wieder klarstellen wird: Österreich werde keine schutzbedürftigen Afghaninnen aufnehmen, auch keine Kinder. Nicht unter meiner Kanzlerschaft. Es ist eine klare Botschaft an die Grünen, die sich nicht spielen sollen. Und was Steinzeit ist, definieren Kurz und sein Umfeld immer noch selber.
Mit dem Leitantrag, den der Parteitag beschließen wird, erklärt sich die ÖVP unter anderem zur Autofahrer-Partei. Und das am Vorabend der finalen Verhandlungen über die Öko-Steuerreform, das Herzstück der grünen Regierungsbeteiligung.
Landeschefs prolongieren ihre Unterwerfung
Kurz, der Umfragen-Getriebene, weiß die Mehrheit hinter sich. Und die Partei sowieso, das soll beim Jubelparteitag in St. Pölten auch bildhaft rüberkommen. Im Vertrauensindex von Austria Presse Agentur und OGM-Institut hat der ÖVP-Obmann und Kanzler seinen Pandemie-Polster schon fast aufgebraucht, der Ibiza-Ausschuss und die Chat-Protokolle haben Kurz besonders zugesetzt. Doch die befragte ÖVP-Wählerschaft steht zu über 90 Prozent geschlossen hinter ihm, ein unglaublich hoher Wert, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. Kurz ist vor Wochen ohne viel Aufhebens von den neun Landesparteichefs einstimmig für die Wiederwahl am Parteitag nominiert worden, sie prolongieren ihre Unterwerfung. Praktisch in jedem Bundesland war bei den Landtagswahlen der Kurz-Effekt messbar, acht sind dankbar, der neunte – Thomas Stelzer – hofft. Oberösterreich ist das letzte Bundesland, wo unter Kurzens Kanzlerschaft noch nicht gewählt worden ist.
Der Kurz-Effekt steht auf dem Prüfstand
Die ÖVP ist dort 2015 um zehn Prozentpunkte abgestürzt, und die Umfragen verheißen kein sensationelles Comeback. Die FPÖ wird von ihren 30 Prozent deutlich verlieren, die Frage ist aber, ob die ÖVP wieder an die 40 Prozent herankommt. Bleibt sie deutlich darunter, dann wird wohl wieder mit dem viel größer gewordenen Abstand zum Zweiten argumentiert werden, aber dann wird man möglicherweise auch einmal ein Murren über den gottgleichen Bundesparteiobmann mit seinen Vollmachten und den Vollgas-Gebern in seinem Umfeld vulgo Familie hören können. Das hoffen jedenfalls Grüne wie der Abgeordnete Michel Reimon, der nicht so im Räderwerk des Koalitionsgetriebes drinnensteckt wie andere und das immer wieder einmal zum Ausdruck bringt.
In den Händen der Familie, die den Kanzler stellt
Lance Armstrong war für viele ein Messias. Er war mehr als ein erfolgreicher Radrennfahrer. Und er war mehr als ein Dopingsünder. Er war der größte Sportbetrüger aller Zeiten. Sebastian Kurz ist auch für viele ein Messias, immer noch. Obwohl er Grenzen nicht nur überschreitet, sondern fortwährend Grenzen verschiebt und verschieben lässt. Wenn Kurz wir sage, dann meine er immer sich selbst, schreibt Elsbeth Wallnöfer in einem Gastkommentar im Standard. Österreich sei in die Hände einer “Familie” gefallen, die den Kanzler stellt, der unverhohlen nach klassisch tribalistischen Strukturen agiert. Das Arge daran: das ist schwer zu widerlegen.
2 Gedanken zu „Tour de Kurz“
Zur “Menschlichkeit” der Gruenen: sie haetten das mehr als 20-jaehrige Mobbing gegen mich beenden muessen, haben es aber nicht getan, obwohl ich ihre Ziele unterstuetzt habe.
Wie immer genau auf den Punkt gebracht, gratuliere!
Leider kommts halt bei den WählerInnen – noch? – nicht an …