Anhaltende Blendung
Antonio Fian hat ein Dramolett geschrieben, das das österreichische Drama in einem kurzen Kaffeehaus-Dialog unvergleichlich auf den Punkt bringt. Es spannt den Bogen von Sebastian Kurz über Karl-Heinz Grasser zurück zu Jörg Haider. Und der Schauder, der einen bei der messerscharfen Schlusspointe überkommt, ist nicht wohlig, sondern eiskalt. Wir sind ein Land der Blender, und die Kanzlerpartei mit dem mittlerweile mehr auf Verderb mit ihr verbündeteten Koalitionspartner Grüne macht keinerlei Anstalten, diesen längst unerträglichen Zustand zu beenden.
Es war ausgerechnet der Global Strategist auf der US-Payroll des kreativen Monopolisten Peter Thiel, nämlich Sebastian Kurz, der sich in einem flotten heimatlichen Rachefeldzug gegen die Grünen als nach wie vor geübter Hinterzimmer-Stratege betätigt hat. Um seinen monströsen Sideletter mit der Strache-FPÖ zu relativieren, hat Kurz seine Nebenvereinbarung mit den Grünen an die Öffentlichkeit gespielt. Werner Kogler, der dafür sogar seinen Bundeskongress belegbar getäuscht hat, wollte das zuerst herunterspielen, dann hat er sich für diese schamlose Uralt-Machtpolitik doch noch entschuldigt.
In der Koalition ist Feuer am Dach
Koalitionsintern ist jetzt Feuer am Dach. Die Grünen fordern von Nehammer Klarheit ein, wie er zu Kurz steht. Und wie er den Vertrauensbruch mit dem Sideletter zu ahnden gedenkt, schreibt der Standard. Und das Beste: Die Grünen fordern auch unmissverständlich, dass Johannes Frischmann, früher Pressesprecher von Kurz, und Gerald Fleischmann, der Medienbeauftragte des Kanzlers, aus ihren Positionen im türkisen Parlamentsklub entfernt werden. Diese Regierung ist die erste, in der die eine Partei öffentlich die Ablöse eines Spitzenbeamten und der Generalsekretärin in einem Ressort der anderen Partei gefordert hat und die andere Partei jetzt die Entfernung von zwei Referenten aus dem ÖVP-Parlamentsklub fordert. Dort sind Fleischmann und Frischmann nach dem Rauswurf aus dem Kanzleramt untergekommen.
Drachentöter & Phantomschmerzen
Die Liebe zueinander sei erkaltet, heißt es über ÖVP und Grüne, und wen würde das wundern. Der Drachentöter Kogler hat der sogenannten Neuen Volkspartei das Herz herausgerissen. Der über die Maßen für Stimmenmaximierung begabte Herr Kurz ist in die Wüste der Tech-Plattformen und Big-Data-Profiteure geschickt worden. Die Phantomschmerzen beginnend bei Johanna Mikl-Leitner, die ihre Landtagswahl bedrohlich nah vor Augen hat, müssen fürchterlich sein. Wir erinnern uns an die Junge ÖVP, die sich Kurz als Erstes untertan gemacht hat, die noch im Sommer der Blendung erlegen ist und aus ihrem Bundestag einen (live in der TVthek des ORF gestreamten) Albtraum in Türkis gemacht hat. Die JVP-Chefin Claudia Plakolm ist heute Staatssekretärin im Bundeskanzleramt.
Machtpolitik als gäbe es kein Gestern
Die sichtbaren personellen Kontinuitäten und die von den Grünen vermuteten sind das eine, das andere sind machtpolitische Umtriebe, als gäbe es kein Gestern. Speziell im Verteidigungsministerium und im Innenministerium – Letzteres eine ÖVP-Domäne seit dem Jahr 2000 – hält die Blendung wirksam an. In beiden Ressorts werden Organisationsreformen durchgezogen, die der tiefschwarzen Einfärbung der Ministerien dienen, Gefolgsleute aus den politischen Kabinetten werden in die Beamten-Hierarchie eingepflanzt. Büroleiter werden gleichzeitig Sektionsleiter, und Verwaltungsrechts-Experten fragen zu Recht, ob es sich dabei um Halbzeitjobs handelt – das ist ein zweiter fragwürdiger Aspekt.
Der Innenminister und die Lehrjahre
Innenminister Gerhard Karner, der bei seinem Amtsantritt in der Wiener Herrengasse keinen Zweifel an seiner parteipolitischen Herkunft aus dem Regierungsviertel in St. Pölten gelassen hat, hat profunde Erfahrung mit parteipolitischer Postenbesetzung: Er war unter ÖVP-Innenminister Ernst Strasser dessen Pressesprecher in einer Zeit, als das Ministerium durch Strasser von Rot auf Schwarz umgefärbt worden ist, nach allen Regeln der NÖVP-Kunst. Das ist durch zig E-Mails belegt, Karners Lehrmeister und damaliger Ressortchef hat auf kritische Fragen dazu immer nur gesagt: Sein Haus sein nicht schwarz und nicht rot, sondern rotweißrot. Sein abschätziges Grinsen dabei hat sich in die Erinnerung eingebrannt.
Der schwarze Schatten des Ulrichsbergs
Gerhard Karner ist von Martin Thür in der ZIB2 auf all das angesprochen worden und nicht gut dabei weggekommen. Die Frage, ob er garantieren kann, dass es nicht wieder zu parteipolitischen Postenbesetzungen kommen werde wie unter Strasser, hat Karner weggeschwurbelt. Er wird gewusst haben warum, und wir wissen es jetzt auch – nachdem mit Stephan Tauschitz in Kärnten ein früherer ÖVP-Landtags-Klubobmann zum Chef des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gemacht worden ist. Tauschitz ist in seiner Politikerzeit auch als Redner beim Ulrichsberg-Treffen aufgetreten, traditionell ein Magnet für Rechtsextreme und Neonazis. Auf die Frage der Kleinen Zeitung, wann er angesichts dessen als angehender leitender Verfassungsschützer zurücktreten werde, sagte Tauschitz: Diese Frage stellt sich nicht.
Wie man auch bestgeeignet sein kann
Selbstverständlich stellt sich diese Frage, nicht nur für Oskar Deutsch. Aber das Wort des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde hat Gewicht und kann von einer Partei, die so großen Wert auf Kenntnisnahme ihres Engagements gegen Antisemitismus legt, nicht ignoriert werden. Wer am Ulrichsberg-Treffen teilnimmt, sollte vom Verfassungsschutz beobachtet werden und kann diesen nicht leiten, so Oskar Deutsch trocken. Was soll man da noch hinzufügen, außer dass es auch ernstzunehmende Zweifel an der Behauptung gibt, Tauschitz sei der einzige Bewerber und daher bestgeeignet gewesen? Vier andere hätten ihre Bewerbung wegen Aussichtslosigkeit zurückgezogen, heißt es. Die Tiroler Tageszeitung hat zur Eignung von Tauschitz das Folgende herausgefunden: Keine polizeiliche Ausbildung, er ist auch kein Jurist. Der Berufspolitiker bekam einen Job beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Dort war er – weil eben keine Fachausbildung – für das Organisieren von Meetings zuständig.
Aus heutiger Sicht ist das ein Muster
Aus heutiger Sicht würde er nicht mehr an dem umstrittenen Treffen teilnehmen, sagt Tauschitz. Da hat er etwas mit dem Leiter des neuen Bundes-Verfassungsschutzes – der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst – gemeinsam. Direktor Omar Haijawi-Pirchner hat in seinem beruflichen Vorleben auch einmal den Wahlkampfhelfer für die heutige Multi-Ministerin im Bundeskanzleramt, Susanne Raab, in Niederösterreich gemacht und die ÖVP öffentlich gelobt. Ich würde das heute nicht mehr machen. Aus heutiger Sicht sage ich: Das war ein Fehler, sagte Haijawi-Pirchner nach Beförderung zum DSN-Chef – und ertappt. Es ist ein Muster, das sich bis zum Minister hinauf durchzieht. Gerhard Karner hat als Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich antisemitische Töne angeschlagen – und Schadensbegrenzung versucht: Ich würde das heute sicherlich nicht mehr so sagen. (…) Ich habe damals den Gehalt dieser Worte nicht erkannt. Here we go.
Tanker Volkspartei unter Wahrheitspflicht
Das Muster ist nicht: hier haben reumütige Männer, die der Ruf in ein öffentliches Amt ereilt, reinen Tisch gemacht und sich glaubwürdig distanziert. Das Muster ist: hier haben Leute parteipolitische Karrieren gemacht und geglaubt, es geht eh alles und es ist eh alles wurscht. Zum Glück ist es das nicht mehr. Es gibt den Korruptions-Untersuchungsausschuss, der vielen Leuten in der ÖVP und besonders solchen mit Bezügen zum Innenministerium wenn schon nicht schlaflose Nächte, dann jedenfalls schlechte Träume bescheren dürfte. Die Blendung dieser macht(v)ersessenen Partei ist anhaltend, und man möchte den Grünen viel Glück bei dem Vorhaben wünschen, den Tanker Volkspartei am Ende doch noch auf Kurs Richtung Offenheit, Transparenz und Erneuerung der Demokratie zu bringen.
Das ist kein Thema, alles gilt weiter
Allein: vielen fehlt der Glaube. Ein Beispiel aus dem unmittelbaren Bereich des designierten ÖVP-Obmanns Bundeskanzler Karl Nehammer, der ja die Medien-Agenden an Susanne Raab abgegeben hat, untermauert warum. Im Interview mit dem profil ist die Medienministerin auch zu den Sideletters über Postenbesetzungen im ORF gefragt worden, wo im Mai bei der Konstituierung des neuen Stiftungsrates eine Riesenchance bestünde für die Regierung, sich von diesen Praktiken zu lösen. Zitat: Ein Abzug von Stiftungsräten oder überhaupt eine Reform des Gremiums sei „kein Thema“, sagt Raab. Die Bestellung der Mitglieder sei „transparent“ geregelt. Dabei hat die Regierungsspitze betreffend Sideletters gelobt, jetzt werde alles anders. Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer hat in dem Dramolett, das ein Drama ist, das vorläufig letzte Wort. Der Kurier hat sie gefragt: Sind die Vereinbarungen jetzt obsolet? Maurer: Wir haben das vereinbart, also gilt es weiter. (Vorhang)
Ein Gedanke zu „Anhaltende Blendung“
Grüss Sie. Meiner Meinung nach wird sich da auch nichts ändern. Es ist auch eine Schande, dass die meisten nicht von der gutdotierten Position abberufen werden – siehe Gerichtsmachenschaften der ÖVP. Die bleiben weiter am Futtertrog, den wir alle finanzieren – weiters warum sollen die Schwitzen wegen U Ausschuss? Entschlagung, Hilfe durch Sobotka,… es gibt ja auch keine Konsequenzen von rechtlicher Seite, also wenig Gefahr und dass und wie gepackelt wird, weiss doch in Wirklichkeit jeder. Dann kommen solche Aussagen: Die anderen sind ja auch nicht besser, also wähl ma weiter die, die uns bescheissen.