Die Verlotter(ie)ung
Es war einmal eine Dreiviertel-Milliarde Euro, die wir nicht haben, aber für eine Impflotterie einsetzen wollten. Aus der Lotterie ist nichts geworden, also wird darüber nachgedacht, wie wir die Dreiviertel-Milliarde, die wir nicht haben, anderweitig ausgeben könnten. Es war einmal eine Impfpflicht, die wir durch die Rücknahme aller Corona-Maßnahmen in zwei Wochen ad absurdum führen, und die Regierung ist nicht fähig, hier einen klaren Kurs vorzugeben. Wo es politisch unangenehm ist, werden Experten vorgeschickt, wo politisch was herausschaut, werden sie ignoriert. Zur Verlotterung des Staates, der der Untersuchungsausschuss hoffentlich ein Ende bereitet, kommt die Verlotterie-ung. Und mit Wolfgang Mückstein hat sie ihre Galionsfigur.
Der Bundeskanzler hat die Impflotterie beim Heimfahren aus dem Ski-Urlaub für beendet erklärt, die Kronenzeitung war in einem Akt seltener Anbiederung live dabei. Gerade dass man sich nicht ein Schnitzelsemmerl von der Autobahn-Tankstelle geteilt hat. Gut erholt entsorgte Karl Nehammer also die Impflotterie und schlug vor, das Geld mit der Gießkanne über Polizisten und Soldaten zu verteilen, denen der Kanzler von früher nicht fern steht, und auch das Gesundheitspersonal könnte etwas abbekommen. Tolle Idee, befand man im Büro des grünen Vizekanzlers: Man muss das zur Verfügung stehende Geld jetzt sinnvoll einsetzen. Für die einzig richtige Antwort zitieren wir Josef Urschitz aus der Presse, der schrieb: Leute, ihr habt das Geld nicht! Es steht nicht “zur Verfügung”! Ihr müsst es euch erst ausleihen!
Der Pandemie-Minister an der ÖVP-Leine
Während in dieser Frage Geld für die Regierung also weiterhin keine Rolle spielt, wenn nicht gar abgeschafft ist, schaut sie beim Corona-Screening jetzt ganz genau hin. Das Testen sei zu teuer und dürfe nicht länger gratis sein – sprich staatlich finanziert werden, haben mehrere schwarze Landeshauptleute kundgetan, die seit einiger Zeit ja wieder hinter den Kulissen die Strippen ziehen und dies auf den medialen Bühnen nicht verheimlichen. Und schon arbeitet die gesamtstaatliche Krisenkoordination an einer neuen Teststrategie, die in den nächsten vierzehn Tagen vorliegen wird, wie der Gesundheitsminister angekündigt hat. Wolfgang Mückstein darf die neue Teststrategie aber nicht allein umsetzen, der Grüne braucht dazu künftig das Einvernehmen mit dem Finanzminister. Die ÖVP hat ihn an die Leine genommen.
Der Kanzler, der ganz schnell gelernt hat
Und das nicht zum ersten Mal. Der Gesundheitsminister hat laut Gesetz in der Pandemie die Schlüsselrolle in der Regierung, das ist Mücksteins Vorgänger Rudolf Anschober zum Verhängnis geworden. Der Grün-Politiker ist durch seine Präsenz und seine Auftritte irgendwann so populär geworden, dass sein damaliges Gegenüber im Kanzleramt seine Felle davonschwimmen sah und Obstruktion betrieb, bis Anschober erschöpft das Handtuch geworfen hat. Der Nachfolger im Kanzleramt ist bekanntlich ein Lernender, Karl Nehammer hat mit den Grünen die Krisenkoordination GECKO ausbaldowert, eine nach Paragraph 8 des Bundesministeriengesetzes im Bundeskanzleramt angesiedelte Kommission, in die man gleich auch noch das ÖVP-geführte Verteidigungsministerium hereinholte. Ministerin Klaudia Tanner wurde zum jüngsten Bund-Länder-Gipfel aus Zypern (!) zugeschaltet.
Der unverrückbar verrückte Starttermin
So fängt Machtpolitik Marke ÖVP an. Auch die neue Impfpflicht-Kommission wurde naturgemäß im Kanzleramt etabliert. Fragt man Wolfgang Mückstein zu seinen Kompetenzen und wie die beschnitten wurden, dann antwortet er schablonenhaft. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass er ganz froh ist, dass ihm das Kanzleramt die Federführung über den Umweg GECKO irgendwie abgenommen hat. Wäre man bösartig, dann könnte man auch mutmaßen, dass Mückstein den Ministerposten in einer Lotterie gewonnen hat. Was seine Kommunikation betrifft, ist er diesem Szenario jedenfalls gefährlich nahe: In einem Ö1-Interview zu bekräftigen, dass am 15. März als Starttermin für Kontrollen der Impfpflicht und damit auch für Strafen unverrückbar festgehalten werde – und nach der Ausstrahlung des Interviews eine sogenannte Klarstellung an die Austria Presse Agentur zu geben, dass die Impfpflicht-Kommission natürlich auch den Starttermin verrücken könne: Das ist buchstäblich verrückt. Jedenfalls aber dilettantisch und für die Sache fatal.
Das Match um das heilige Alles gurgelt
Jetzt fehlt nur noch, dass die Wette der Regierung und der meisten Landeshauptleute auf gnädig fallende Infektionszahlen nicht aufgeht und sie wegen der BA.2-Variante den Retourgang einlegen müssen. Unter großem Aufjaulen des ÖVP-Wirtschaftsflügels und strengen Blicken einiger Landeschefs, vornehmlich von West nach Ost, versteht sich. Gäbe es ein Pendant zu Nulldefizit und Negativsteuer, dann könnte die Regierung Nehammer/Kogler mit ihrer unfassbar geringen Glaubwürdigkeit hier eine Pionierleistung vollbringen.
Und von Ost nach West erschallt bereits ein Ruf: Wenn ihr uns die Gratis-PCR-Tests abdreht und damit nicht nur das Geschäftsmodell vom Laborkönig Michael Havel, sondern auch das Geschäftsmodell vom SPÖ-Pandemie-Popstar Michael Ludwig, dann ist Schluss mit Lustig. Ludwig spricht ernsthaft vom volkswirtschaftlichen Nutzen einer Dauer-Testinfrastruktur, und sein Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat die aus der abgesagten Impflotterie zur Verfügung stehende Dreiviertel-Milliarde, die wir nicht haben, für das heilige Alles gurgelt eingefordert. Das wird noch ein spannendes Match.
Das Match um den Vorsitz im U-Ausschuss
Nicht minder spannend ist jenes um den Vorsitz im Untersuchungsausschuss, der korruptive Umtriebe von ÖVP-Amtsträgern politisch aufarbeiten soll. Anfang März, wenn das Land aus dem Tunnel ins Licht fährt, um eine abgedroschene Auferstehungs-Floskel seines Vorgängers zu bemühen, wird Karl Nehammer die erste Auskunftsperson sein. Der ÖVP-Chef meint ja, dass seine Partei kein Korruptionsproblem hat. Wenn er so sicher ist, sollte er rasch noch ein ernstes Wort mit Wolfgang Sobotka reden. Der Nationalratspräsident, bei dem man sich bei allem Respekt manchmal fragt, ob er das zweithöchste Amt vielleicht in einer Lotterie gewonnen hat (was natürlich nicht stimmt, er hat für Elisabeth Köstinger einspringen müssen, die nach fünf Wochen Präsidentin völlig überraschend *Zwinker-Smiley* Ministerin geworden ist), will über die Aufklärung der Verlotterung höchstpersönlich wachen.
Entemotionalisierung à la Wolfgang Sobotka
Das hat Sobotka immer schon gesagt. Die Ausschussregeln verlangten, dass er den Vorsitz führe, so der Nationalratspräsident. In einem Interview mit der Austria Presse Agentur hat er das jetzt sozusagen zementiert. Ausgerechnet er will jetzt entemotionalisieren und nichts auf die Spitze treiben. Gleichzeitig kommt er in der Kronenzeitung wieder mit dem von Sebastian Kurz in die Welt gesetzten Märchen, dass Auskunftspersonen vor dem U-Ausschuss schlimmer behandelt würden als Mörder vor Gericht. Und das Blatt zitiert Sobotka weiter: Er und seine Familie würden kein Problem haben, würde er den Vorsitz nicht führen. “Aber ich sehe es eben als meine Pflicht an.” Schnell noch die Familie eingebracht, zwecks Entemotionalisierung.
Neue Regeln für Parteien, sonst Transparenz-Wüste
Alle Hoffnung liegt auf diesem Untersuchungsausschuss und auf guten Rahmenbedingungen. Denn nur so können die Lehren aus dem gezogen werden, was von der Ära Kurz geblieben ist. Der Wille zur unumgänglichen neuen Offenheit und Transparenz ist immer noch viel zu schwach ausgeprägt, oft fehlt einfach das Verständnis. Ausgerechnet beim grünen Gesundheitsminister etwa, der sich weigert, die Erklärungen der Mitglieder des Nationalen Impfgremiums zu ihren Interessenkonflikten und Befangenheiten online zu stellen. Obwohl die Betroffenen das befürworten. Und der nicht sehen will, dass eine Pharmalobbyistin unmöglich Chefin der Medizinmarkt-Aufsicht werden kann – und das mit Nicht-Einmischung der Politik begründet. Beim Informationsfreiheits-Gesetz, das die Hinterzimmer-Mentalität beenden könnte, wenn man es ernst meint, fehlen Phantasie und Entschlossenheit auf Bundesebene. Die neuen Transparenzregeln für die Parteifinanzen werden am Montag endlich vorgestellt. Ein Lichtblick. Den sie hoffentlich nicht in einer Lotterie gewonnen haben.
2 Gedanken zu „Die Verlotter(ie)ung“
Ich schätze Ö1 und ihren Blog sehr. Im Moment vermisse ich bei beidem, dass bei der Frage kostenlos Gurgeln auch Menschen zu Wort kommen, die trotz Booster Impfung zur Sicherheit ihrer hochbetagten oder kranken Angehörigen testen. Wenn es nur noch kostenlos ist, wenn diese im Heim oder im Spital sind – was macht das mit den vielen Menschen die zu Hause leben und ihren Angehörigen und Betreuungspersonen? Sicherheit und soziale Kontakte ohne Angst und Maske nur noch für die, die es sich leisten können?
Dann ist “zumindest” die Rezeptgebühr für Test zu bezahlen. Die, die davon befreit sind, sollen es auch bzgl Tests sein. Das sinnlose Testen von symptomlosen Menschen bringt gar nichts und kostet nur Unmengen an Geld, das woanders besser eingesetzt werden kann! Das Geld liegt nicht irgendwo in einem Safe, sondern musste “geliehen” = Schulden – und auch zurückbezahlt werden! Komisch, dass in anderen Ländern so Vieles geht, was hier nicht möglich ist? Und die Ergebnisse – die Zahlen- sind deshalb auch nicht schlechter!