Speicher leer
Was für eine Woche: am Tag als der bereits zweite Gesundheitsminister der Pandemie seinen Rücktritt bekanntgab, war das in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes der neunte (!) Beitrag. Der Bericht, dass die frühere ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin festgenommen (und tags darauf in Untersuchungshaft gekommen) ist, kam in dieser ZIB ganz hinten, vor der Schluss-Signation. Der nach zehn Tagen unvermindert unbegreifliche Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine überschattet alles. Und wir sehen: Unsere Speicher sind leer, und zwar nicht nur die fürs Gas.
Wolfgang Mückstein hatte fertig. Der grüne Gesundheitsminister, der vor nicht einmal einem Jahr seinen Vorgänger Rudolf Anschober abgelöst hatte, wollte und konnte nicht mehr. Das Interview mit ihm für die Ö1-Reihe Im Journal zu Gast vor zwei Wochen war ein Desaster und ein Vorbote. Man musste den Eindruck gewinnen, dass Mückstein nur noch überfordert war: Er sagte Dinge, die nach der Ausstrahlung mit einer Klarstellung als Unsinn entlarvt wurden. Der offizielle Rücktrittsgrund waren Bedrohungen, denen der Minister sich und seine Familie ausgesetzt sah. Geschenkt. Dass ein Gesundheitsminister rund um die Uhr Polizeischutz braucht, sagt einiges aus über den Zustand unseres Landes.
Ex-Ministerin in U-Haft & ÖVP schwadroniert
Dass erstmals eine Ex-Ministerin in U-Haft sitzt, die in die Inseratenkorruption rund um Sebastian Kurz verwickelt war, weil die Staatsanwaltschaft und der genehmigende Richter Tatbegehungsgefahr bezüglich der Vorwürfe Geldwäscherei und wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Vergabeverfahren sieht – das sagt auch etwas über den Zustand unseres Landes aus. Besser wird das weder durch das Verhalten der ÖVP im Korruptions-Untersuchungsausschuss des Parlaments, der ihr gewidmet ist, noch durch seltsame Relativierungen der Causa Karmasin aus dem ÖVP-Generalsekretariat. Laura Sachslehner hat sich aus dem die Ex-ÖVP-Ministerin belastenden Geständnis von Sabine Beinschab hier und hier Passagen zur SPÖ herausgeklaubt und gleichzeitig das behauptet: Die Volkspartei hat sich zu jeder Zeit an der Aufklärung aller Vorwürfe beteiligt – mit Erfolg, denn sie konnten mittlerweile entkräftet werden. Die ÖVP ist wieder in der Anderswelt angekommen.
Wirtschaftsministerin schwadroniert über Gas
Das gilt speziell auch für Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, die am Freitag auf ORF III zum Thema Gasversorgung befragt worden ist und dabei unter anderem das gesagt hat: Die Gasspeicher sind jetzt mit 17 Prozent etwa gefüllt, das klingt jetzt wenig, ist auch viel weniger als in den vergangenen Jahren. Aber: das muss man relativ zum Beispiel zu Deutschland sehen, die haben viel kleinere Speicher als wir. Ein Satz wie aus dem Kaufhaus Österreich. Schramböck hat den Sprung vom Schattenkabinett Schallenberg/Kurz ins Kabinett Nehammer durch kerniges Lobbying ihres Tiroler Landesparteichefs Günther Platter geschafft, niemand hätte einen Cent darauf gewettet. Platter, das ist der Landeshauptmann, der seinen Landsleuten dieser Tage versichert hat: Wegen des Krieges in der Ukraine ist Tirol derzeit keiner Bedrohung ausgesetzt. Für so was ist er zu haben. Man darf gespannt sein, wie Platter reagiert, wenn es um die Investments russischer Oligarchen etwa in Sölden und Kitzbühel geht.
Einfärbungen sind die schwarze Konstante
Was bei Schramböck so gut funktioniert wie bei Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und bei Innenminister Gerhard Karner, auch die von der ÖVP, in dem Fall beide aus Niederösterreich, das ist die Einfärbung von Spitzenposten im Ministerium. Wie Eva Konzett vom Falter in diesem Thread auf Twitter berichtet, wurde die wichtige Leitung der Präsidialsektion in Schramböcks Ministerium ausgeschrieben, und es sei wieder einmal klar, wer ihn bekommen soll: der Kabinettschef. Ein tragfähiger Hinweis: in der Ausschreibung wird anders als früher für diesen Posten kein fertiges Jus-Studium mehr verlangt, nur ein Hochschulabschluss. Das passt für Schramböcks Büroleiter, er war auf der Boku. Der Spitzenbeamte Thomas Wieser hat schon öfter hier und hier vor einer parteipolitischen Kaperung der Verwaltung gewarnt. Wie es scheint vergebens.
Sehenden Auges in russische Abhängigkeit
Würde die Politik sich eine exzellente Beamtenschaft bewahren, dann gäbe es auch ein Korrektiv, das vielleicht Entwicklungen wie bei der teilstaatlichen OMV verhindern könnte – wenn die Politik selber schon so versagt. Die OMV habe sich unter dem Putin-Fan Rainer Seele sehenden Auges in die Abhängigkeit vom russischen Gas begeben, 80 Prozent bezieht Österreich aus Russland. Das sei nicht nur rückblickend bedenklich, sondern auch damals schon klar solchermaßen erkennbar gewesen, sagte der Energie-Experte Walter Boltz am Samstag in der ZIB2 spezial. Ein außenstehender Beobachter, der den Insider Gerhard Roiss bestätigt – der frühere OMV-Chef hat in einem profil-Interview schwere Vorwürfe gegen seine Nachfolger im Unternehmen erhoben. Die OMV habe ein Gasfeld mit großen Reserven im Schwarzen Meer, das nicht genutzt werde – und eine engere Kooperation mit Norwegen sei auch abgedreht worden.
OMV hat 1,8 Milliarden in den Sand gesetzt
Wir haben nun nicht mehr nur Oligarchen aus dem Osten, wir haben längst auch kleine Austro-Oligarchen. Das sagt Roiss im Interview über den Putin-Freund Siegfried Wolf, aber auch über Hans Jörg Schelling, der in der Zeit der großen Russland-Investments der OMV von der ÖVP gestellter Finanzminister war. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik erhielt Schelling einen Beratervertrag bei der russischen Gazprom. Und die OMV muss jetzt die Rechnung bezahlen. Wie der Dossier-Journalist Ashwien Sankholkar auf Twitter vermeldet, steigt die OMV aus Russland aus und dürfte 1,8 Milliarden Euro in den Sand gesetzt haben. Sankholkar hat früher detailreich beschrieben, dass es neben Austro-Oligarchen auch noch Ölprinzen bei uns gibt.
Rohstoffministerin und Kanzler zu den Scheichs
Der Bundeskanzler wird noch dieses Wochenende eine Delegation nach Abu Dhabi und Doha führen, wo es bei den richtigen Scheichs um die Vereinbarung von Flüssiggas-Lieferungen als Ersatz für russisches Gas gehen wird. Man könnte auch sagen: vom einen Despoten zu den nächsten. Aber irgendetwas müssen sie ja tun, wenn sie es nicht bei den Speichergrößen-Vergleichen von Schramböck belassen wollen. Begleitet wird Karl Nehammer von Energieministerin Leonore Gewessler und spannenderweise auch von Elisabeth Köstinger, die in den Zeitungsmeldungen zum Überraschungstrip überraschend als Rohstoffministerin firmiert. Und es wäre nicht Köstinger, würde sie nicht schon von einem Meilenstein für Österreich in Richtung Unabhängigkeit von russischem Gas sprechen.
Wirtschaftskammer als Energiewendehals
Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten soll auch eine Zusammenarbeit im Bereich Grüner Wasserstoff begründet werden, da wird ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Die Energiewende wird inmitten der Ausläufer des Putin’schen Furors also nicht ganz vergessen von der schwarz-grünen Regierung. Anders die Wirtschaftskammer, deren Generalsekretär Karlheinz Kopf gleich einmal die CO2-Bepreisung in Frage gestellt hat: Es müssten angesichts der Lage alle bestehenden und geplanten Beschränkungs- bzw. Belastungsmaßnahmen auf den Prüfstand gestellt werden. Kopf kritisierte auch die schleppenden Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ausgerechnet die Wirtschaftskammer, die da immer gebremst hat, wo es geht. Und Putin hofiert hat, dass es heute noch wehtut.
Moskau droht Wien wegen der Neutralität
Namentlich wenn man die Bilder vom Juli 2014 sieht, als Christoph Leitl in Wien – assistiert vom damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer – nur vier Monate nach dessen Annexion der Krim mit Putin gescherzt hat. Leitl gibt sich heute geläutert, den Putin-Versteher-Vorwurf habe er auf sich genommen, im Dienste der Wirtschaft. Aber mit dem Einmarsch jenes Mannes in der Ukraine, der ihn wegen seiner langen Amtszeit als Kammerpräsident einen guten Diktator genannt und viele Lacher geerntet hatte, sind auch Leitls Speicher jetzt leer. Da hört sich jede Neutralität auf, da mag Moskau noch so wettern und in einer offiziellen Erklärung ernsthafte Zweifel an der Qualität der in der letzten Zeit merklich sinkenden und erodierenden Wiener „Neutralität“ aufkommen sehen. Neutralität in Anführungszeichen. Und Nachsatz: Dies werden wir in Zukunft berücksichtigen. Österreich sollte das auch berücksichtigen und seine sicherheitspolitischen Optionen ernsthaft durchdenken.
Ein Gedanke zu „Speicher leer“
“… unbegreifliche Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine …”: das ist Propaganda, nicht Wissenschaft.