Wir kriegen das hin
Stell dir vor, es ist Krieg in der Ukraine – und in Österreich machen sie Innenpolitik damit. Nur leider nützt es der Regierung wenig, speziell der Kanzlerpartei. In einer aktuellen Umfrage von Peter Hajek für die Gratiszeitung Heute liegt die ÖVP bei 22 Prozent, das ist das schmerzhafte Niveau, auf dem Reinhold Mitterlehner von Sebastian Kurz kalt als Bundesparteiobmann abserviert worden ist. Keine Spur von Rally round the Flag für den Krisenkanzler Karl Nehammer, obwohl mehr Krise als momentan ja fast nicht mehr geht. Das sollte die Volkspartei alarmieren. Wundern braucht es niemanden.
SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner lässt in Interviews gern den Satz fallen: Wie Sie wissen, bin ich Ärztin. Der designierte ÖVP-Parteiobmann Karl Nehammer kontert seit einem Monat mit einem unausgesprochenen: Wie Sie wissen, war ich Zeitsoldat. Kaum ein Interview ohne militärische Lagebeschreibung durch den Oberleutnant, der die Republik durch den Krieg in der Nachbarschaft führt. Zuletzt im Ö1-Morgenjournal nach dem EU-Gipfel so: Es ist jetzt ein sehr intensiver Krieg der Abnützung. Das heißt, die russischen Truppen versuchen Meter um Meter ukrainischen Boden zu erobern, versuchen die Städte einzunehmen durch Belagerung. Das heißt für die Menschen, die da drinnen sind, Artilleriebeschuss, Bombenangriffe, und es gibt auch sehr, sehr viele Tote, erschreckend viele Tote. Soweit des Kanzlers Lagebild.
Tanners Pathos mit überlangen Pausen
Die Verteidigungsministerin will rhetorisch nicht nachstehen, mit der seltsamen Interpunktion visualisiert das Transkriptionsprogramm die sehr langen Pausen: Schmerzhaft ist uns vor Augen geführt worden, dass es. Etwas Wichtigeres gibt in Tagen, in Stunden, in Wochen wie diesen. Nämlich die militärische Sicherheit. Ich bin dankbar, dass wir gemeinsam in der Nacht nach Start des Angriffskrieges. Mit dem Krisenkabinett unter Führung des Bundeskanzlers mit allen zuständigen Ressortchefinnen und Ressortchefs einen Weg aufgezeigt haben. (…) Nichts ist mehr gleich seit diesem Beginn des Angriffskrieges. So auch nicht die Debatten, die darüber geführt werden, nicht die Debatten, die darüber geführt werden innerhalb der Europäischen Union, nicht die Debatten, die darüber geführt werden. Hier im Haus davor, danach, im privaten Bereich, weil etwas eingetreten ist, das die gesamte Welt verändert hat.
Die Grünen haben jetzt den Zahlensalat
Gesagt hat das Klaudia Tanner, deren Performance auf den niederösterreichischen Bühnen im Netz legendäre Spuren hinterlassen hat, im Parlament. Und man hatte eigentlich eine Erklärung zu einem schweren Foul am Koalitionspartner Grüne erwartet. Die ÖVP hatte durchsickern lassen, dass man von einer Verdoppelung des Verteidigungsbudgets auf 1,5 Prozent des BIP – rund sechs Milliarden Euro – plus einer Sonderfinanzierung von 10 Milliarden für Investitionen ausgehe. Die Grünen, die sich mit Budgetexplosionen fürs Militär alles andere als leicht tun, wussten davon nichts. Zahlen, die komplett erfunden sind. Die sind nicht ausverhandelt, die gibt es nicht! Das hatte Grünen-Wehrsprecher David Stögmüller der Ministerin aufgebracht entgegengehalten. Tanners Antwort: Jetzt geht es darum, dass wir uns nicht darüber unterhalten, was der eine oder andere in diesen Stunden vielleicht gesagt, getan, geschrieben hat oder nicht. Das kann doch nicht unsere gemeinsame Aufgabe sein!
Es ist Krieg, und was in der Koalition wie läuft, das bestimmen immer noch wir, war die Botschaft. Von einer Partei, die ihre Vormachtstellung stets mit den 37 Prozent von der letzten Nationalratswahl argumentiert und das den Grünen so eingebläut hat, dass die jeden Umfaller selber mit den 37 gegen ihre 14 Prozent erklärt haben. Aktuell ist das Verhältnis 22 zu 11 Prozent, von einer Mehrheit sind ÖVP und Grüne weit entfernt.
Ich bin der Kanzler und weiß von nichts
Selten sind die Grünen so vorgeführt worden, von den Kinderabschiebungen einmal abgesehen. Dass eine davon nach dem jüngsten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts illegal war und das vom damaligen Innenminister Karl Nehammer zu verantworten ist, haben die Grünen gnädig ignoriert. Auf die Frage, ob Tanners Budgetvorstoß mit ihm abgesprochen war, dankte er es den Grünen mit der nichtssagenden Antwort: Ich war jetzt bei dem Gespräch nicht dabei. Ich kenne auch keine Berechnungen im Detail. Die Verteidigungsministerin wird die Zahlen besser im Kopf haben als ich. Ich bin der Bundeskanzler. Zuletzt hat Nehammer auf die Frage, ob die Bundesregierung den Oligarchen Oleg Deripaska für die EU-Sanktionenliste vorschlagen werde, ganz ähnlich geantwortet: Ich kenne unsere Sanktionsliste im Detail nicht, das gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich. Deripaska steht immer noch auf keiner Liste.
Die seltsame Reise auf der Balkanroute
Nehammer sieht seinen Aufgabenbereich unter anderem dort, wo sein Vor-Vorgänger noch Routen geschlossen hat, am Balkan. Der Kanzler reiste nach Belgrad und traf dort den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Der laviert offen zwischen der EU, die mit Serbien Beitrittsverhandlungen führt, und seinem Freund Putin sowie China. Karl Nehammer sagte auf Ö1 dazu: Es gibt die Angst, dass die Russische Föderation auch hier beginnt zu destabilisieren, deshalb war ja auch meine Reise an den Balkan, um eben hier auszuloten, wie weit die Gefahr tatsächlich ist. Das Ergebnis der Auslotung ist nicht überliefert, dafür aber das, was der renommierte Russland-Experte Gerhard Mangott über den Kanzler-Trip gesagt hat: Ein völlig falsches Signal. Hier wäre größere Nüchternheit, Distanz und ein verurteilendes Wort eher angebracht. Aber Nehammer sagt ja selber von sich, er sei ein Lernender.
Die wirksamste Waffe gegen Putin vergeigt
Die schwierigste Aufgabe, vor der der Kanzler steht, ist die Frage, wie mit dem immer lauter werdenden Ruf nach einem Gas- und Ölembargo gegen Russland umzugehen ist – die wirksamste Waffe in diesem Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen das Putin-Regime führt. Nehammer möchte auch hier ein Ende der Diskussion verordnen, wie er das bei der Neutralitätsdebatte schon versucht hat. Wir sind abhängig von russischem Gas. Wir sind willens, aus dieser Abhängigkeit auch hinauszukommen, aber das braucht Zeit, das braucht einen geordneten Plan – und das braucht eines jetzt nicht: überbordende Emotionen, die unsere Energieversorgungssicherheit gefährden. Nehammer spricht von Kreativität bei Alternativen: Was kann man noch an Stellschrauben drehen, damit das Sanktionsregime schärfer wird?
Dieser oligarchische Trennungsschmerz
Nicht nur für Gerold Riedmann in den Vorarlberger Nachrichten klingt das nach Ausrede: Während sich Österreich einredet, dass ein völliger Verzicht auf russisches Gas denkunmöglich sei, wird der Ausweg nur durch ein Ausbrechen aus der Abhängigkeit von Russland gelingen. Kurzfristig schmerzhaft, aber dringend notwendig. Riedmann ortet gar einen Trennungsschmerz von Wladimir Putin bei Österreichs Eliten, die sich vom Despoten und Kriegsverbrecher dermaßen verführen lassen hätten. Die merkwürdige Debatte, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ins österreichische Parlament zugeschaltet werden soll, um eine Rede zu halten, und der zögerliche Umgang mit dem in Österreich geparkten Oligarchen-Vermögen bleiben nicht unerwähnt. Riedmann betont auch, wie wichtig ein Untersuchungsausschuss zur russischen Einflussnahme auf Politik, Parteien und Medien wäre.
Das Krisenmanagement eine einzige Krise
Mögen andere Kriege führen, Österreich kriegt das hin. Mit einem Neutralitätsverständnis, das ein früherer SPÖ-Verteidigungsminister wohl mit situationselastisch beschrieben hätte, und mit einer Position, die Gerold Riedmann mit dem Satz beschreibt: Österreich hat seine Position in diesem Konflikt noch nicht gefunden. Die Sorge ist berechtigt, dass die Betonung nicht auf dem Noch, sondern auf dem Nicht liegt. Einen Monat nach Putins Überfall auf die Ukraine geben die Erfahrungen aus zwei Jahren Pandemie-Management in Österreich dazu leider Anlass. Das Krisenmanagement war eine einzige Krise, die Krisenkommunikation war ein Desaster. Das kann keine Kriegsrhetorik übertönen. Mit Johannes Rauch ist der dritte Corona-Minister nach wenigen Wochen im Amt schon angeschlagen, ein Polit-Profi im Zangengriff von schwarz-grüner Koalitionsräson und Schönwetter-Föderalisten in den Ländern, wie Rauch es selber formuliert hat.
Die ÖVP akzeptiert ihre Defensiv-Rolle
Einer aus der Schönwetter-Fraktion zeigt Wirkung. Thomas Stelzer, Landeshauptmann von Oberösterreich und Stellvertreter von Karl Nehammer in der Bundes-ÖVP, sagte im Ö1-Mittagsjournal zur Performance des Kanzlers: Wir liegen nicht mehr so selbstverständlich vorne, wie das in der Phase zuvor gewesen ist. Aber aus meiner Überzeugung haben wir mit ihm bei jeder Wahlauseinandersetzung, die kommen möge, die Chance, Erster zu werden. Und das muss unser Anspruch sein. Eine bemerkenswerte Aussage, weil sie eines belegt: Die ÖVP ist auch aus eigener Einschätzung heraus in der Defensive. Und sie legt der SPÖ-Chefin, die am Sonntag ihre Kanzlerinrede halten wird, damit eigentlich den Ball auf. Aber nur eigentlich.
Und was macht die Kanzlerin-Hoffnung draus?
Denn das Wichtigste an dieser von den Beobachtern gespannt erwarteten Rede von Pamela Rendi-Wagner scheint zu sein, dass dort fünf rote Ex-Kanzler für ein Gruppenfoto auftauchen werden. Der 74-jährige Viktor Klima nimmt 12.000 Kilometer Anreise aus Buenos Aires auf sich. Es geht demnach wieder um das Kitten der tiefen Risse in der Partei. Doch mittlerweile sei ausgemacht, dass die SPÖ mit Rendi-Wagner in die nächste Wahl gehe, hat Michael Sprenger in der Tiroler Tageszeitung geschrieben: Auch deshalb, weil Michael Ludwig die Bundespartei nicht übernehmen will. (…) Sodass interne Kritiker jetzt kleinlaut verkünden: Wir werden auch mit oder trotz Rendi-Wagner die nächste Nationalratswahl gewinnen. Und ja, es ist eine politische Binse: Nicht die Opposition gewinnt die Wahl, sondern eine Regierung verliert sie. Sieht ganz so aus, als würde diese Regierung auch das hin-kriegen.