Chihuahua-Politik
Der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer hat am Tag nach dem politischen Erdbeben in der Steiermark – mit seinen Erschütterungen ins benachbarte Burgenland hinein – einen sehr klugen Blog-Eintrag verfasst. Titel: Der immerwährende Albtraum – und gemeint ist natürlich die Rolle der FPÖ, die Österreich seit fast dreißig Jahren zum Experimentierfeld des Rechtspopulismus gemacht habe. Zuerst Jörg Haider, jetzt Heinz-Christian Strache. Beide Meister der Verdrehung, wie es Weidenholzer nennt. Und keiner hat es wieder gerade biegen können. Im Gegenteil: Rot und Schwarz verdrehen gerade wieder kräftig mit. Auch das ein Albtraum.
Nehmen wir den Burgenländer Hans Niessl, der schon im Wahlkampf keinen Genierer gekannt und auf FPÖ-Themen gesetzt hat, wo er nur konnte. Nach verabreichter Niederlage – und das ist ein Verlust von drei Mandaten nun einmal – rechtfertigt sich der SPÖ-Landeschef so: Er habe mit diesem Wahlkampf, in dem auch sein Chihuahua Rico eine zentrale Rolle gespielt hat, quasi verhindert, dass die Bäume der Freiheitlichen in den Himmel wachsen. Dass er mit seiner Themenwahl gerade diese Themen verstärkt und dazu beigetragen haben könnte, dass die Blauen auch im Burgenland ordentlich in die Höhe geschossen sind, so was kommt einem Niessl nicht in den Sinn.
Auf den Chihuahua-Wahlkampf folgt jetzt die Chihuahua-Politik. Der SPÖ-Chef hat sich vom Landesparteivorstand eine Generalvollmacht dafür geben lassen, Verhandlungen auch über eine rot-blaue Koalition abzuschließen. Also nicht nur verhandeln und prüfen, sondern gleich auch abschließen. So etwas kann nur eine Partei beschließen, die sich aufgegeben hat, sich selber nicht ernst nimmt oder das Land nicht ernst nimmt, für das sie arbeitet. Ein Freibrief zum Tabubruch für den Parteichef – der im ZIB2-Interview mit Armin Wolf offenherzig auf den Punkt brachte, wie er in der Sache denkt. Frage an Hans Niessl: Also bevor die ÖVP im Burgenland den Landeshauptmann bekommt, machen Sie Rot-Blau? Antwort: “Das ist durchaus möglich.”
Der rot-blaue Wille zählt fürs Werk
Ob die ÖVP sich wirklich durch eine wackelige Koalition mit FPÖ und FPÖ-Abweichlern das große Kuchenstück im kleinen Bundesland sichern wird, warten wir einmal in aller Seelenruhe ab. Zuzutrauen ist es der ÖVP – auch in der Steiermark, wo vor der Wahl noch kein Zahnstocher zwischen Salzstreuer Voves und Pfefferstreuer Schützenhöfer gepasst hat, sind die schwarzen Begehrlichkeiten nach der Wahl sprunghaft gestiegen. Was die rot-blauen Avancen von Niessl betrifft, zählt auch schon der Wille fürs Werk. Denn nur eine Stunde vor dem Landeshauptmann hatte der Bundeskanzler im Report einen ungewohnt forschen Auftritt. Werner Faymann erneuerte den seit 1986 geltenden Rütli-Schwur der Sozialdemokraten gegen Rot-Blau, musste dann aber einschränken, dass das halt nur für die Bundesebene gilt. Niessl könne tun, was er für richtig halte.
Faymanns Schwur gegen Strache leidet
Wie glaubwürdig soll das denn sein? Als würden die FPÖ-Landesparteien nicht am Gängelband Straches hängen, als würden sie auf den Bundesparteiobmann als Stimmenbringer verzichten, als wären das tatsächlich selbstständige Einheiten. Für Hans Niessl genügt es nach eigenen Worten schon, wenn sich die Freiheitlichen im Land ruhig verhalten und seine Kreise nicht stören. Widerrede in Richtung Strache und dessen Umgebung erwartet er sich gar nicht. So in etwa vertritt Niessl die rot-blaue Idee, und Faymann lässt ihn. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit des Kanzlers als Strache-Prellbock ganz erheblich, auch wenn er bemerkenswert starke Worte für einen neuen, offensiveren Umgang mit der FPÖ und ihren Themen gefunden hat.
Plötzlich ein Macher, der nie einer war
Faymann gibt jetzt den Macher, der er nie war. Natürlich würde er die Länder anweisen, Flüchtlinge in ordentlichen Quartieren unterzubringen, wenn er Anordnungen geben könnte. So müsse er eben überzeugen – was jetzt nicht besonders überzeugend klingt, muss man sagen. Und natürlich habe die Innenministerin in der Frage seine volle Unterstützung, sagt der Kanzler, der in anderen Fragen – Schule & Hypo, um nur zwei zu nennen – gern Fachminister im Regen stehen gelassen hat. Aber vielleicht hat sich da ja einer am Tag eins nach der Steiermark neu erfunden, wer weiß.
Bye-bye Zukunftspartnerschaft
In der Steiermark selbst ist gar nichts neu. Weitermachen wie bisher, aber nicht ganz – so die neueste Devise: Die schwer geschlagene ÖVP wittert die Chance, den schwer geschlagenen, aber vom Rücktritt zurückgetretenen SPÖ-Landeshauptmann Franz Voves auszusackeln. Nichts ist in Stein gemeißelt. Eine Halbzeit-Lösung mit der SPÖ ist das Mindeste, oder aber gleich den ganzen Landeshauptmann per Koalition mit den Freiheitlichen – alles nur eine Frage der Taktik, alles auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Bye-bye Zukunftspartnerschaft, willkommen Albtraum.
Ein Gedanke zu „Chihuahua-Politik“
Großartiger und wichtiger Artikel!
Mit der Situation in der Steiermark habe ich mich selbst eingehend befasst(1), auch wenn ich mich jetzt als Wiener sehe, fühle ich mich irgendwie nach wie vor mit dem politischen Trauerspiel in der einst so grünen Mark verbunden und halte auch mit Freunden dort nach wie vor Kontakt. Das angesprochene Phänomen der Inhaltsleere im Wahlkampf, beziehungsweise, was noch schlimmer ist, der Übernahme blauer Themen, vor allem Letzteres wurde sehr stark auch in der Steiermark wahrgenommen: Der Wahlkampf, so Freunde von mir, habe sich im Prinzip nur mehr um die Ausländerfrage gedreht, eigene Inhalte seien sehr kurz geskommen und obwohl vielleicht auch seitens der SPÖ andere Programmpunkte vorgelegen haben mögen gingen diese in der öffentlichen Diskussion unter. Die Unfähigkeit der SPÖ zur politischen Abgrenzung wird Strache noch ins Kanzleramit heben und dann haben wir alle nichts mehr zu lachen….
(1)http://romankoschar.com/2015/05/31/das-prognostizierte-blaue-wunder/