Vergesst Kurz
Es geht dabei eindeutig auch darum, die eigene Rolle, die Rolle der eigenen Partei, die bisherigen Aktivitäten kritisch zu hinterfragen und die notwendigen Konsequenzen und Maßnahmen zu ziehen. Eineinhalb Wochen nach seiner Wiederwahl hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen klare Worte gefunden, eingebettet in einen Appell à la Rudolf Kirchschläger. Die sauren Wiesen von 1980 sind bei Van der Bellen der Wasserschaden im Haus Österreich, der eine Generalsanierung erfordere. Die eigentliche Botschaft erging an die ÖVP. Sie lautet: Vergesst endlich Kurz und räumt das auf, was er hinterlassen hat.
Als der Bundespräsident das in der Hofburg vor Journalisten zum Ausdruck bringt und damit die Zurückhaltung aus dem Wahlkampf – sie war der schieren Angst um die Stimmen der ÖVP-Klientel geschuldet – aufgibt, stellt sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka von der ÖVP im Parlament den Fragen von ZIB-Redakteurin Claudia Dannhauser in einem Interview. Wird er ob des schweren Vorwurfs von Thomas Schmid zurücktreten, wonach er wegen einer Steuerprüfung beim damaligen Kabinettschef des Finanzministers interveniert habe? Sobotka wischt das mit seinem breiten Grinsen vom Tisch: Ich sehe überhaupt keinen Anlass. Sicherlich nicht. Und spricht dann ernsthaft davon, dass man die Menschen nicht belästigen (soll) mit den persönlichen Eitelkeiten eines Thomas Schmid und anderen.
Von Münchhausen & anderen Baronen
Für Sobotka ist Schmid, der seinen Kopf nicht für die ganze Kurz-Clique hinhalten will, ein Lügenbaron, ein Münchhausen. Das ist das Wording der Rest-Türkisen in der Volkspartei, zu denen auch Andreas Hanger zählt. Der ÖVP-Fraktionsführer im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss hat über Thomas Schmid am Vormittag im Parlament gesagt, dass dieser Dinge in den Raum stellt, um seine eigene Haut zu retten. Und ja, ich bin da wirklich der Meinung: der erste Lügenbaron der Nation. Hanger und Sobotka stehen in der Öffentlichkeit immer noch hundertprozentig hinter Sebastian Kurz, der nach den Aussagen von Schmid selbst von einer Anklage ausgeht und vor Gericht einen schweren Stand haben wird.
Die Pipifax-Litigation Marke Kurz
Kurz hat am Tag vor den Verteidigungsreden seiner letzten Getreuen einen Mitschnitt von einem Telefonat mit Schmid präsentiert, das nach den Hausdurchsuchungen in Kanzleramt und ÖVP-Zentrale und nach dem Rücktritt von Kurz als Kanzler stattgefunden hat. Beide hatten zu dieser Zeit Panik, dass sie abgehört werden könnten, der Inhalt des Gesprächs liest sich entsprechend abstrus. Wolfgang Sobotka, formell Inhaber des zweithöchsten Staatsamts, hat über diesen Inhalt im ZIB-Interview das gesagt: Wenn Sie gestern gehört haben und gesehen haben, was letzten Endes der damalige Kanzler Sebastian Kurz durch sein Telefongespräch bewiesen hat, dann sehen Sie, was vom Charakter Thomas Schmids zu halten ist. Sobotka sagt tatsächlich: bewiesen hat. Der Nationalratspräsident beteiligt sich damit an der Pipifax-Litigation-PR eines gefallenen Politikers, der unter Korruptionsverdacht steht.
Nicht nur die Unschuldsvermutung gilt
Für Wolfgang Sobotka gilt das, was der Bundespräsident in seiner Rede zur Lage der Korruptionsbekämpfung in der Republik auch noch gesagt hat: Es geht bei den mutmaßlichen Korruptionsverdachtsfällen rund um einige ÖVP-Politiker nicht nur um das Rechtliche alleine. (…) Es geht um das Vertrauen. Und deswegen ist es zu wenig, sich auf die Unschuldsvermutung oder den Ausgang von Verfahren zurückzuziehen. Alexander Van der Bellen spricht die politische Verantwortung an. Sebastian Kurz hat diese wahrgenommen, nicht aus freien Stücken, sondern weil er dazu vom Koalitionspartner gezwungen worden ist. Das ist ein bleibendes Verdienst von Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler. Aber argumentiert wird in der ÖVP bis heute mit der Unschuldsvermutung und dass sich alle Vorwürfe in Luft auflösen würden, mögen sie noch so bleischwer auf dem Land lasten.
Nehammers Angst vor der Reißleine
Was auf ÖVP-Parteiobmann Karl Nehammer lastet, ist sein Diktum von der ÖVP, die kein Korruptions-Problem habe. Spätestens mit der Veröffentlichung des Einvernahme-Protokolls von Thomas Schmid hätte der Bundeskanzler für seine Partei die Reißleine ziehen müssen, indem er endlich zugibt, dass die Vorwürfe der Medienkorruption, des Postenschachers und der Interventionen in Steuerverfahren sogar ein massives Korruptionsproblem sind. Indem er einen radikalen Schnitt macht und sich von der Episode Kurz distanziert, die die Volkspartei in den Abgrund zieht. Mit allen Konsequenzen für jene Parteifreunde, die da in irgendeiner Form mit drinstecken. ÖVP-Klubobmann August Wöginger darf da nicht vergessen werden, der eine schamlose Intervention für einen Parteifreund als Leiter des Finanzamts Braunau heute noch als Weiterleitung von Bürgeranliegen zu framen versucht.
Der Brückenbauer in der Hofburg
Karl Nehammer hat die Reißleine nicht gezogen, sondern auf halbem Weg ein bemühtes halbweiches Statement zu den Schmid-Aussagen abgegeben: Das sind Vorwürfe, die die Vergangenheit betreffen. Wenn diese Vorwürfe stimmen, dann ist das nicht in Ordnung. (…) Es braucht nun volle Aufklärung, die von den Ermittlungsbehörden zu leisten ist. Die Justiz soll diese Ermittlungen sorgfältig führen, ich habe das Land durch eine Krise zu führen.
Der ÖVP-Chef glaubt, dass er damit durchkommt. Immer noch gibt es in den Reihen der Volkspartei Kurz-Anhänger vom Schlag der zurückgetretenen Laura Sachslehner, die die Marketing-Politik ihres gescheiterten Idols zu ÖVP-Werten umdeutete. Nehammer will diesen Flügel nicht vergrämen, doch das ist eine krasse Fehleinschätzung. Der Bundespräsident hat ihm mit seinen Ausführungen noch einmal eine Brücke gebaut, um mit dem unrühmlichen Kapitel Kurz in der ÖVP ein für alle Mal abzuschließen. Es liegt am selbsternannten Krisenkanzler zu zeigen, ob er Krisenbewältigung in seiner Partei kann.
Die Maßnahmen liegen auf dem Tisch
Und ob der Schritt nach vorne gelingt. Vor dem Sommer ist das Parteiengesetz novelliert worden, mit den bisher strengsten Regeln für transparente Parteifinanzen – vor allem durch die neuen Einschaurechte für den Rechnungshof. Gutachten, Studien und Umfragen, die von öffentlichen Stellen in Auftrag gegeben werden, müssen ab 2023 automatisch veröffentlicht werden. Der Schwung dieser Maßnahmen, die eine Reaktion auf die freiheitliche Ibiza-Korruptionsaffäre waren, wurde aber nicht wirklich genützt. Lücken im Antikorruptions-Gesetz sind immer noch nicht geschlossen, das Amtsgeheimnis steht immer noch im Verfassungsrang, ein Informationsfreiheitsgesetz fehlt immer noch. Und das Thema Postenbesetzung ist überhaupt ein blinder Fleck: Willfährige Auswahlkommissionen in den Ministerien – Stichwort August Wöginger und der Finanzamtsleiter, Stichwort Bestellung des RTR-Chefs – sind weiter gang und gäbe, ein großer Wurf ist da nicht einmal angedacht.
Keine Homestories mit Blendern mehr
Und bei den Regierungsinseraten sollen zwar endlich die Möglichkeiten für dreiste Umgehungen der Medientransparenz geschlossen werden, aber eine Deckelung der Ausgaben für öffentliche Inserate gibt es nicht – obwohl das Beinschab-Österreich-Tool der Auslöser für die Verhandlungen war. Die Erklärungen dafür sind eher gewunden, die Angst vor dem Boulevard als größter Nutznießer dieser Zig-Millionen an Steuergeld ist die plausibelste. Auf der anderen Seite hat die Regierung eine Journalismus-Förderung nach Qualitätskriterien in Aussicht gestellt, die viel Sinn macht und den unter großem Druck stehenden Medienhäusern helfen wird. Als zusätzliches Kriterium könnte man noch einführen: keine Homestories mit Blendern der Marke Sebastian Kurz, wie sie vorige Woche flächendeckend in den Zeitungen erschienen und in Wien heute und in der ZIB2 auf Sendung gegangen sind. Dann erspart man sich auch das peinliche Erwachen beim nächsten Paukenschlag der WKStA.
4 Gedanken zu „Vergesst Kurz“
Ich verstehe nicht, weshalb in diesem Sumpf plötzlich VdB und Kogler als moralische Leuchttürme dargestellt werden. VdB konnte als politisch denkender Mensch von Kurz und seinen Kumpanen nicht getäuscht worden sein, als er seinen moralischen Zorn nur gegen HC (“so sind wir nicht”) richtete und es seinen Grünen in der Regierung ge-richtet hat. Und Kogler nun zum Kurz-Töter zu stilisieren ist letztendlich ebenso an der Wahrheit vorbei, wie der Verweigerungswahlkampf des VdB auf Kosten der Grünen als unabhängig zu bezeichnen. Journalistisch schiene es mir langsam notwendig VdB Beitrag zum Kurz’schen Werk zu analysieren als ihn zu “Kirschschlägern”.
Meanwhile im BAK:
Die nexte unterkapazuderte Nebelgranate wird wieder jahrelaang installiert. Zur Deckung von Polizeigewalt und Alltagsrassismus.
Infos: pensionierte Martina K.
Makaber ist ja auch die Laura Sachslehner: hat mit den Werten der ÖVP nichts mehr am Hut, ist aber noch immer in der Partei, wenn auch in Wien – und zu Sobotka -> es hatte auch KEINE Auswirkungen als er beim Fellner Interview von “Gegengeschäften” öffentlich sprach, also was soll dem schon passieren? Unsere Justiz ist seit jahrelanger Aufsicht der ÖVP leider noch immer relativ Zahnlos und wird sich auch dank der Blockaden der ÖVP nicht so schnell ändern.
Noch ein Nachsatz zu Nehammer’s Sager: Die ÖVP hat mit der Korruption kein Problem – klar, wenn man sich der bedient, dann hat man kein Problem, sondern nur ohne Korruption. Also ist seine Aussage eigentlich richtig gewesen, also was soll man dann aufarbeiten oder gar ändern?