Schellings Kapfenstein
Eine mittelalterliche Wehrburg im südoststeirischen Vulkanland, heute nobles Asset eines Weinguts. Schloss Kapfenstein. Treffpunkt der Landeshauptleute, die unter sich sein wollen. Eine Handvoll Polizisten grüßt den störenden Journalisten freundlich, die Entourage von Erwin Pröll & Co. äugt verstohlen ängstlich aus dem Burghof. Es kommt nicht zum Eklat. Die Landesfürsten bleiben unter sich. Erst am nächsten Tag dürfen Kanzler & Vizekanzler kommen und gute Miene zum bösen Spiel der wahren Mächtigen im Land machen. Eine Woche später wird sich dann in Wien der Finanzminister mit seiner zweiten Budgetrede blamieren.
Hans Jörg Schelling ist nämlich als Macher angetreten. Als Papa Putz, der in dieser versteinerten Republik auf den Putz haut. Doch Schelling ist nicht annähernd so weit gekommen, wie er sich das vorgestellt hat. Eine Reform des Finanzausgleichs steht in den Sternen. Ein paar Vereinfachungen soll es geben, aber im Wesentlichen wollen die Länder es so halten wie in all den vergangenen Jahrzehnten. Sie fordern mehr Geld vom Bund, konkret 500 Millionen Euro. Und sie halten eisern an ihren Zuständigkeiten fest, auch wenn das Reformen im Spitalswesen, im Pflegesystem, bei den Förderungen und in der Verwaltung weiter blockiert. Steuerautonomie? Geht gar nicht.
Schlüssel zur Reform weggeworfen
Dabei wäre das der Schlüssel, um das träge föderalistische System aufzubrechen. Schelling hat die Steuerautonomie nicht zufällig zu einem zentralen Anliegen gemacht: Würden die Länder Einnahmenverantwortung übernehmen, dann wäre das gleichzeitig das Ende aller unseligen Blockaden. Die könnten sich die Länder schlicht und einfach nicht mehr leisten. Sie müssten optimieren, was sie jetzt verhindern: Eine überfällige Kompetenzbereinigung – die nicht kommen wird, solange die Fürsten ihre Fürstentümer auf dem Basar des Finanzausgleichs in alle neuen Zeiten hinüberretten können. Da gibt es natürlich solche und solche: das prosperierende Tirol etwa und das sieche Kärnten.
Die nebulose Seite der Macht
Eines haben sie aber alle gemeinsam. Die Fürsten – die immer wieder gern daran erinnern, dass die Bundesländer die Republik gegründet haben und nicht umgekehrt – sie wollen weiter thronen. Wie vor einer Woche in der Wehrburg auf dem Vulkan. Da wurden zwecks Verschleierung dann Bundeskanzler und Vizekanzler zur sogenannten Landeshauptleutekonferenz eingeladen, am nächsten Tag in Graz. Ein Gremium, das nirgendwo in der Verfassung verankert ist und somit die nebulose Seite der Macht darstellt. So nebulos wie die Arbeitsgruppe zur Staatsreform, die in Graz eingesetzt worden ist. Kanzler und Vizekanzler haben sich dennoch gleich freiwillig gemeldet.
Schützenhöfers Kraftakt für Peanuts
Von den Landeschefs wollte anfangs keiner mitmachen, die wissen schon warum. Seit 25 Jahren sind alle großen und kleinen Anläufe in diese Richtung gescheitert. Der Vater der Arbeitsgruppe, Hermann Schützenhöfer, musste in einer Art Kraftakt vier Kollegen zur Teilnahme vergattern. Und das tat er in einer Eile, die schon wieder verdächtig war. Ob für den Bund auch der Finanzminister in diese Arbeitsgruppe geht, wird man sehen. Hans Jörg Schelling ist schließlich ein gebranntes Kind. Nach der Steuerreform ist vor den Reformen, hat er in seiner ersten Budgetrede vor einem Jahr gesagt. Und jetzt?
Der Finanzminister ist der Blamierte
Jetzt ist Schelling der Blamierte. Pensionsreform, Bildungsreform, Reform des Finanzausgleichs und damit die Kostendämpfung bei Spitälern und Pflege sind noch immer in weiter Ferne. Der Dschungel der Förderungen und die Finanzströme zwischen den vielen Verwaltungsebenen sind undurchsichtig wie eh und je. Der Finanzminister rettet sich durch das EU-genehmigte Herausrechnen der Flüchtlingskosten und vor allem dank einer äußerst problematischen Niedrigzins-Phase in die Nähe eines imaginären strukturellen Nulldefizits, bei dem von Nicht-Neuverschuldung natürlich keine Rede sein kann. Österreichs Schuldenberg wächst unterdessen weiter, wie jedes Jahr seit mittlerweile 1962. Ununterbrochen.
Rot-Schwarz reiben sich an Nebenfronten auf
SPÖ und ÖVP, Bund und Länder – sie alle vergeuden ihre Energie auf unglaublichen Nebenschauplätzen. Seit Wochen tobt ein Propagandakrieg um Kürzungen bei der Mindestsicherung, von denen eigentlich nur ganz wenige Falken in der ÖVP überzeugt sind. Erwin Pröll macht hier gern die Speerspitze, wiewohl er in seiner langen Zeit auf dem Fürstenthron und trotz aller ihm zugeschriebenen Machtfülle in den wesentlichen Fragen zwischen Bund und Ländern nichts weitergebracht hat. Vielleicht auch nichts weiterbringen wollte. Und dann wird ebenfalls schon seit Wochen darüber diskutiert, ob Asylwerber für die Pflege öffentlicher Grünflächen 1,60 Euro, 2,50 Euro oder vielleicht doch die 5 Euro kriegen sollen, die jetzt schon im Gesetz stehen.
Bundeskanzler ist auch keine große Hilfe
Eine vereinbarte Liste von gemeinnützigen Tätigkeiten, die außer dem Innenminister keiner braucht, steckt überdies irgendwo in der Regierungsbürokratie fest. Kein Außenstehender hat sie bisher zu Gesicht bekommen, diese Liste steht im negativen Sinn für den Erfolg des rot-schwarzen New Deal, den Bundeskanzler Christian Kern ausgerufen hat. Doch der SPÖ-Chef hat im Moment andere Sorgen. Er muss schauen, wie er sich aus der CETA-Sackgasse herausmanövriert. Und beim Budget ist Kern dem Finanzminister auch keine große Hilfe. Der Kanzler ist ein Freund des Geldausgebens, ob für Pensionisten oder für Beamte – und damit hält er nicht hinter dem Berg.
Populismus-Epidemie als politische Folge
Die Landesfürsten hoch oben in ihrer Wehrburg, die ficht das alles nicht an. Sie schauen von dort dem Schuldenberg des Bundes beim Wachsen zu und kritisieren das auch gern, manche mit einem eigenen unschönen Schuldenberg vor der Tür. Die Landeshauptleute haben ihren Anteil an der Entscheidungsschwäche, die Wifo-Chef Christoph Badelt jüngst gegeißelt hat. Die Folge davon sei nämlich eine Beschädigung der Politik und ein epidemisch wachsender Populismus, sagte Badelt, und er hat Recht. Die Länder müssen aufpassen. Schellings Kapfenstein könnte ihr Waterloo werden.
Ein Gedanke zu „Schellings Kapfenstein“
Stimmt nicht ganz: Vorarlberg ist bereit, Steuern selbst einzunehmen