Das große Rad
Sebastian Kurz hat den Pudding angerichtet, jetzt wird er ihn auch löffeln müssen. Das Agenda Setting des mit allen Vollmachten der einstigen Parteigranden ausgestatteten ÖVP-Obmanns hat dazu geführt, dass Schwarz-Blau an der 60-Prozent-Marke kratzt. Die Wählerinnen und Wähler haben sich für zwei spiegelgleiche Programme entschieden, die nur in der Tonalität etwas auseinander liegen. Das will jetzt umgesetzt werden, und die Verantwortung dafür liegt bei Kurz. Er hat diese Wahl pompös gewonnen und muss jetzt liefern. Vordergründig für seine Anhängerschaft, aber in Wahrheit – was er selber immer wieder betont – für das Land. Sebastian Kurz muss das ganz große Rad drehen.
Die Basis dafür kann nur die Neuauflage einer schwarz-blauen Regierung sein. Kurz wird sich jene, die Wolfgang Schüssel zwischen 2000 und 2006 angeführt hat und die bis heute die Koalition des Schreckens für alle Linken ist, wohl eher nicht zum Vorbild nehmen. Aber er kommt nicht daran vorbei, die Freiheitlichen endgültig salonfähig zu machen. Auch wenn Kurz damit letztlich kein Problem haben dürfte, wäre ihm wohl eine schwarz-grün-pinke Dirndl-Koalition lieber gewesen. Was Bürgerlich-Modernes. Allein: das Wahlergebnis gibt das nicht her. Und ein Weiterwurschteln mit der SPÖ kann und wird Kurz seinen Fans, seiner Partei und am Ende auch dem Land nicht zumuten.
Die Schmuddelkinder kommen ans Licht
Die FPÖ weiß das. Und sie wird sich extrem teuer verkaufen. Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl, das freiheitliche Mastermind, haben unisono darauf hingewiesen, dass 60 Prozent der Wähler das FPÖ-Programm unterstützt hätten. Das sagt alles. Hier wittert ein Schmuddelkind, das lange in der Ecke stehen musste, endlich Morgenluft. Man wird sich nicht mehr mit dem einen oder anderen Ressort abspeisen lassen, man wird es sich aussuchen wollen. Das Innenministerium, seit 17 Jahren in ÖVP-Hand und von Ernst Strasser damals sehr rasch von Rot auf Schwarz umgefärbt, ist das heißeste Objekt der blauen Begierde. Auch das Außenamt, die Finanzen, Soziales und Bildung stehen auf der Wunschliste von Strache, Kickl und Norbert Hofer.
Norbert Hofer bald im zweithöchsten Staatsamt?
Die ÖVP wird es mit Kunstgriffen versuchen, die schon kolportiert worden sind. Man will dadurch vermeiden, dass es mit dem Bundespräsidenten zu einem Konflikt kommt. Mit einem möglichen freiheitlichen Außenminister etwa hätte Alexander van der Bellen ein größeres Problem. Die Kurz-Strategen denken offenbar daran, Norbert Hofer rechtzeitig auf den Sessel des Nationalratspräsidenten wegzuloben, der der ÖVP jetzt zusteht. Ein schlauer Zug, aber die Frage ist, ob und wie rasch die Freiheitlichen darauf einsteigen. Auch inhaltich wird die ÖVP herzeigbare Angebote an die FPÖ machen, aber werden die den Blauen auch weit genug gehen? Das alles kann sich auch Sebastian Kurz denken. Seine Fans sind zuversichtlich, dass er deshalb noch etwas im Talon hat.
Kurz will vielleicht etwas Neues ausprobieren
Tatsächlich hat Kurz das im Wahlkampf schon angedeutet und auf eine Frage von Isabelle Daniel auf oe24.TV gesagt: Vielleicht kann man ja etwas Neues ausprobieren in Österreich. Sollte ich Erster werden, würde ich versuchen, möglichste viele Parteien zu finden, die bereit sind, mit uns Projekte umzusetzen. Ob das eine klassische Koalition ist oder etwas völlig Neues, müssen wir uns dann anschauen. Etwas völlig Neues, das wäre eine Minderheitsregierung Kurz mit Experten, die sich wechselnde Mehrheiten im Nationalrat sucht. Das würde genau diesem glatten Politikverständnis der Kurz-ÖVP entsprechen: Fachleute ohne Stallgeruch, Effizienz aus jeder Pore und durchgestylte Medienauftritte mit beinharter Message Control, vor der sich manche Journalistenkollegen schon richtig fürchten. Wenn man etwa das hier liest.
Wo Van der Bellen zum Anwalt der FPÖ würde
Für Kurz wäre das eine feine Sache. Doch da müssten viele mitspielen. Zuvorderst der Bundespräsident, der zwar kein Freund der Freiheitlichen ist, dann aber umständlich erklären müsste, warum einer Kanzler ohne parlamentarische Mehrheit sein soll, der in wesentlichen Zügen das Programm der FPÖ umsetzen will. So paradox es klingt: Da müsste sich Alexander van der Bellen zum Anwalt der Freiheitlichen machen und deren Regierungsbeteiligung geradezu einfordern. Etwas Neues à la Kurz müsste natürlich auch von SPÖ oder FPÖ im Parlament geduldet werden. Absprachen über das Budget wären nötig. Und Rot & Blau müssten Kurz eine Showbühne für eine baldige Neuwahl bieten wollen. Denn länger als ein, zwei Jahre hält so eine Regierung nicht. Und dann die nächste türkise Welle. Ein Angebot, das man nicht annehmen kann.
Tausche Minister gegen Verfassungsmehrheit?
Es würde auch nicht überraschen, wenn der ÖVP-Chef seinem früheren Rhetorik-Trainer Matthias Strolz ein Angebot macht. Warum nicht Bildungsminister in einem türkis-blauen Expertenkabinett, wo Strolz dann gleich mit dem Flügelheben anfangen kann? Das würde den NEOS-Chef sicher sehr reizen, aber der Preis wäre hoch. Kurz könnte sich auf diese Weise die Zweidrittelmehrheit erkaufen wollen, auf die Schwarz-Blau zusammen mit den NEOS-Mandaten kommt. Strolz wäre schlecht beraten, wenn er auf so ein Angebot einstiege, anstatt als Zweidrittelmehrheits-Beschaffer von Fall zu Fall immer wieder Forderungen zu stellen, um eigene Inhalte durchzusetzen.
Heftiges Wacheln an der Outlinie
Die aus SPÖ-Sicht rechte Zweidrittelmehrheit im neugewählten Nationalrat von ÖVP, FPÖ und NEOS wird bei den Sozialdemokraten intern auch als Argument verwendet, warum man trotz der Umstände für Rot-Blau offen sein soll. In Wahrheit ist es so, dass sich SPÖ-Vorsitzender und Noch-Kanzler Christian Kern nicht selber aus dem Spiel um die Macht herausnehmen will. Denn, um ein Bonmot aus einem früheren Eintrag im Radioblog zu zitieren: Die SPÖ war in der Zweiten Republik nie eine richtige Oppositionspartei, sondern höchstens eine an die Outlinie gestellte Regierungspartei, die darauf wartet, wieder ins Spiel zu kommen.
Strache hat für die Roten nur einen Lacher übrig
Kern versucht, im Spiel zu bleiben. Er setzt auf das tief sitzende Misstrauen der Freiheitlichen gegenüber der ÖVP, das aus den Schüssel-Jahren herrührt. Die FPÖ ist damals implodiert. Und die Freiheitlichen haben auch ein Interesse an der rot-blauen Option, sie können damit jedenfalls ihren Preis bei der ÖVP in die Höhe treiben. Norbert Hofer bezeichnete die Chancen auf eine Einigung mit der SPÖ freilich als sehr gering, und Heinz-Christian Strache beantwortete die Frage des ORF-Report, ob er denn Kern zum Kanzler machen würde, mit einem lauten hämischen Lacher.
Sozialdemokratie dreht nur ein ganz kleines Rad
Die SPÖ dreht in dieser Sache ohnehin ein eher kleines Rad. Der Versuch von Christian Kern, die rot-blaue Variante warm zu halten, ist mittlerweile nämlich komplett von der Nachfolge-Frage in der Wiener SPÖ überlagert. Michael Häupl verabschiedet sich Ende Jänner, der Rechtsverbinder Michael Ludwig steht in den Startlöchern. Und ausgerechnet Ludwig hat bei der Nationalratswahl einen Dämpfer bekommen, weil die SPÖ in seinen Flächenbezirken verloren hat. In den innerstädtischen Bezirken hat die SPÖ gewonnen, sie hat damit insgesamt ein Plus erzielt und der Bundes-SPÖ Platz zwei gerettet. Das stärkt wiederum Häupl als amtierenden Parteichef und entsprechend ist er am Montag in den Parteigremien auch aufgetreten. Rot-Blau? No pasaran.
Tricky Kern wird von der Partei ausgetrickst
Vor diesem Hintergrund werden Kerns Ambitionen, das Kanzleramt für die SPÖ tricky zu retten, zur Farce. So eine Koalition gegen die starke Wiener SPÖ und ebenfalls skeptische Landesparteien im Westen durchzusetzen: eine schwierige Übung. Und Heinz-Christian Strache würde auch noch gern einen Kotau sehen, indem die SPÖ ihren Parteitagsbeschluss gegen eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene feierlich zurücknimmt. Häupl hat dazu nur spöttisch angemerkt: Wahrscheinlich würde der Beschluss beim Parteitag nicht zurückgenommen, sondern sogart erneuert. So ist die Noch-Kanzlerpartei also auf der Nebenbühne in Grabenkämpfe verstrickt, während der präsumtive neue Kanzler sich auf der Hauptbühne schon für seinen nächsten großen Auftritt bereit macht. The audience is listening.
2 Gedanken zu „Das große Rad“
Ich dachte mir heute auch schon, wie schwer da eine Regierungsbildung VPFP seinnwird. Die SP musste für das Kanzleramt 4 Schlüsselressorts abgeben. Die Messlatte liegt also sehr hoch und die FP wird es nicht billiger geben wollen.
Auf der anderen Seite, läuft eine Minderheitsregierung aber auch Gefahr, sich einer wütenden FP – die sich um Posten und Ämter “betrogen” fühlt – sowie einer SP auszuliefern. Wer hindert diese 2 dann daran Wahlversprechen einer SP umzusetzen, die einer VP alles andere als genehm sind. Mit einer rachedurstigen FP, sowie einer um Aufmerksamkeit kämpfenden SP hat eine Expertenregierung wohl kaum eine Chance.
Das kann noch spannend werden!
Super Analyse! Es ist wohl tatsächlich – oder zumindest sehr wahrscheinlich – noch gar nichts fix! Der Wunsch, Sebastian Kurz zu entzaubern, könnte so manche Gräben zwischen Rot und Blau zudecken. Und was Wahlversprechen wert sind, hat man an Vranitztkys berühmten Pensionisten-Brief 1995 ebenso gesehen, wie 2007, als Gusenbauer ziemlich exakt das Gegenteil von dem getan hat, was er im Wahlkampf versprochen hat – nur um rasch in eine Koalition zu kommen (Silberstein & Co schau umma!).
Aber die Koalitionsbildung ist natürlich immer für den Ersten, sobald er den Präsidenten-Auftrag hat, schwierig. Der 2. ist immer in der bequemeren Situation, denn er diktiert über weite Strecken die Bedingungen.
Fazit: Das wird noch ein ziemliches Stück Arbeit für Kurz, der zum Erfolg quasi “verdammt” ist. Aber für Kern wäre es wohl nicht leichter, will er nicht als der in die Geschichte eingehen, der die SPÖ in ihre Einzelteile zerlegt hat.