Hoch über Nepal
Bei dieser Rede ein Jahr nach der Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017 hat es ein bisschen gedauert, bis Sebastian Kurz zur Sache gekommen ist. Wer heute nicht klar regelt, wer in sein Land einwandern darf, der wird sich bald in seinem eigenen Land fremd fühlen. Das hat der Kanzler erst gesagt, nachdem er der SPÖ eine aufgelegt und die FPÖ geflissentlich gelobt sowie den Bundespräsidenten für dessen Weitblick und das Land für seine Schönheit gewürdigt hatte. Wir, eine Insel der Seligen in vielerlei Hinsicht. Doch allein für das Fremd im eigenen Land ist Kurz gleich wieder angefeindet worden. Wundern muss ihn das nicht.
Der ÖVP-Obmann hat es in der Rede selber angeschnitten: Manchmal werde ich gefragt: Kriegst du das überhaupt alles mit, was die über euch sagen? Wie gehst Du mit all dem um? Ich kann euch nur sagen, ja, ich kriege es mit. Nein, es freut mich nicht! Aber ich sage euch auch, lassen wir uns nicht aus dem Konzept bringen. Kurz lässt sich eh nicht. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat der Kanzler eine neue Salve gegen die NGOs abgefeuert, die Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten. Gemeinsam mit den Schleppern, wie Kurz sagt. Konkret nennt er im Interview das Schiff Aquarius 2, das von Ärzte ohne Grenzen betrieben wird.
Die Rhetorik der kühlen Ungerührtheit
Es ist diese Rhetorik, gepaart mit einer kühlen Ungerührtheit, weshalb Kurz vielen Menschen suspekt erscheint. Der ÖVP-Chef hat in seiner Rede vor Parteigranden und einfachen Sympathisanten gleich noch so ein Beispiel gebracht. Unter Gelächter des Publikums erzählte Kurz eine Schnurre von einer Wanderung auf der Rax, wo ihn ein Hüttenwirt um Unterstützung gebeten habe: Er brauche Visa für acht Nepalesen. Da hab ich ihn gefragt, wozu brauchen Sie Nepalesen? Und er: Ich hab da ein paar Hütten, und man findet ja keine Leute, deshalb hol ich mir jedes Jahr ein paar Nepalesen, die machen dann die Arbeit. Er habe daraufhin wissen wollen, so Kurz, warum der Wirt nicht Österreicher für die Arbeit suche. Das habe den überhaupt nicht interessiert.
Erinnerung an Halbmond und Gipfelkreuz
So lustig das klingt – so kann es nicht weitergehen! Wir brauchen eine bessere Vermittlung von Arbeitslosen! Mit diesen zwei Sätzen hat der ÖVP-Obmann die von ihm zum Besten gegebene Anekdote aus der Bergwelt zur Waffe gegen die im Visier von Schwarz-Blau stehende Spitze des Arbeitsmarktservice umfunktioniert. Abgesehen davon, dass die Jobvermittlung auf Hütten im hochalpinen Bereich grundsätzlich keine besonders leichte Übung sein dürfte, hat Kurz auch etwas durcheinandergebracht. Dass Nepalis und Sherpas auf österreichischen Berghütten arbeiten, ist kein Anschlag auf den Arbeitsmarkt, sondern Folge eines Projekts des Bergsteigers Wolfgang Nairz.
Seit vielen Jahren holt der Tiroler, der die erste österreichische Expedition zum Mount Everest geleitet hat, immer wieder Sherpas zur Ausbildung nach Österreich. Kurzens Warnung vor Unterwanderung erinnert ein wenig an das Schelmenstück Halbmond statt Gipfelkreuz, dem 2006 der damalige BZÖ-Chef Peter Westenthaler aufgesessen ist.
Der Kapitän schwebt über Wolke sieben
Aber der Kanzler schwebt über solchen Dingen. Hoch über Nepal. Und heute, ein Jahr nach der Wahl, zehn Monate nach der Regierungsbildung fühlt es sich so an, als hätten wir, wie bei einer Flugreise, die Reiseflughöhe erreicht. Das haben sie Sebastian Kurz so in seine Rede geschrieben, auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger hat es gesagt. Und der hat Kurz natürlich seinen Kapitän genannt. Die Medien haben das Bild dankbar übernommen, Die Presse sogar in exakt dieser Kombination. Obwohl sich gerade diese Woche wieder gezeigt hat, wie sehr der Kapitän immer wieder doch nur Passagier ist.
Passagier beim UNO-Migrationsabkommen
Zum Beispiel beim UNO-Migrationsabkommen, an dem zwei Jahre gearbeitet worden ist – Österreich war unter den Außenministern Kurz und jetzt Karin Kneissl immer dabei. Das Papier soll im Dezember in Marrakesch beschlossen werden. Rechte Plattformen und Kommentatoren haben das Thema hochgespielt, und die Regierungspartei FPÖ hat es übernommen – jetzt steht der Ausstieg Österreichs aus dem Migrationspakt nach dem Vorbild Ungarns im Raum. Was nach Einschätzung von erfahrenen Diplomaten bei dem guten Standing, das Österreich in der UNO hat, ein veritabler Eklat wäre. Auch angesichts sehr einfacher Wege, die es gibt, um Vorbehalte gegen dieses ohnehin unverbindliche Abkommen festzuschreiben. Wie es die Schweiz jetzt gemacht hat.
Der Schlingerkurs wird zur Koalitionsräson
Sprich: jenes Land, mit dem Österreich sich laut Kanzler Kurz in der Sache eng abstimmt, hat dem Migrationspakt zugestimmt. Auch wenn die rechtspopulistische SVP laut protestiert. In Österreich ist es hingegen nicht ausgeschlossen, dass der Kapitän mit seinem blauen Co-Piloten Heinz-Christian Strache da noch eine Zeit lang einen Schlingerkurs fliegen wird. Weil nicht sein kann, was in den Augen der freiheitlichen Klientel in ihrem medialen Paralleluniversum nicht sein darf. Und weil die Botschaft von Strache zum Jahrestag der Nationalratswahl auf YouTube gelautet hat: Wir sind der Reformmotor der Regierung. Wir haben nicht die absolute Mehrheit, deshalb müssen wir Kompromisse machen. Aber zu 75 Prozent setzen wir uns durch.
Zur Not ist am Ende die Opposition schuld
Beim Rauchen in Lokalen haben sich die Freiheitlichen jedenfalls zu hundert Prozent gegen die knapp 900.000 Unterzeichner des Volksbegehrens dazu durchgesetzt, die Glaubwürdigkeit von Schwarz und Blau in puncto Ausbau der direkten Demokratie ist gegen Null gefallen. Stimmen werden laut, ob es vielleicht besser wäre, wenn es nicht dazu kommt. Doch das kümmert die Regierung nicht, auch die Kronenzeitung mag noch so dagegen kampagnisieren – man bleibt auch in dieser Frage auf Schlingerkurs. Am Ende kann man im Zweifel der Opposition die Schuld geben, wenn es nichts wird mit der verpflichtenden Volksabstimmung bei mehr als 900.000 Unterschriften. Denn es wird eine Zweidrittelmehrheit plus Referendum brauchen, um das einzuführen.
Versuch der Distanzierung von Rechtsaußen
Wenn wir die absolute Mehrheit hätten, würden wir’s wie der Orbán machen, hat FPÖ-Chef Strache einmal gesagt. Wie der Viktor Orbán, der die liberale Demokratie durch ein autoritäres Modell ersetzen will. In diesem Punkt hat Kapitän Kurz in seiner Rede sehr deutlich Position bezogen und gesagt: Gerade wenn hier in einigen europäischen Ländern andere Konzepte verfolgt werden, sage ich ganz klar: Wir sind, als neue Volkspartei, heute und in Zukunft, die Partei des liberalen Rechtsstaats. Und wir werden unsere Grundwerte in ganz Europa verteidigen. Der ÖVP-Chef schaut in Richtung Europawahl, er will nicht zu den Rechtsaußen-Parteien gezählt werden.
#Österreich ist das schönste Land der Welt. Damit das so bleibt, dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Wir haben viel vor: mit der #Steuerreform 2020 werden wir die Steuern- und Abgabenquote in Richtung 40% senken und damit die arbeitenden Menschen spürbar entlasten. pic.twitter.com/XBj9HPLN5z
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) October 13, 2018
Wenn Kurz spricht & man weiß nicht zu wem
Kurz will auf Reiseflughöhe bleiben. Deshalb sagte er hier auch Sätze wie diese: Es ist in der Politik nicht nur wichtig, was man will, sondern auch wie man Politik macht, wie man miteinander umgeht. Demokratie hält unterschiedliche Meinungen und Zugänge aus. Aber der Ton und die politische Auseinandersetzung sollten stets respektvoll sein. Ich bitte euch daher, dass wir als Bewegung unserem neuen Stil treu bleiben, und so eine starke Mitte in unserem Land gewährleisten. Und, liebe Freunde, neben Inhalt und Stil ist natürlich immer entscheidend, welche Menschen Politik machen.
Man weiß nicht genau, an wen sich diese Sätze richten. Ob es vielleicht sogar ein Appell an den Koalitionspartner war. Man weiß nur, dass Kurz wissen müsste: Solange er mit der FPÖ den selben Flieger steuert, ist der Kurs der Mitte ganz schwer zu halten.
4 Gedanken zu „Hoch über Nepal“
Wo soll man da anfangen mit Kritik? Der generelle Größenwahnsinn? Die vielen, kleinen Nadelstiche gegen Migranten? Die Ignoranz gegenüber EU-Rechten (Familienbeilhilfe, Mindestsicherung, etc.) Die Übervorteilung der Arbeitgeber und Immobilienlobby? Das Ende der Sozialpartnerschaft, wohlwissend, dass Österreich kein Streik/Demoland war. Die Ignoranz von knapp 900 000 Unterschriften, wohlwissend, dass viele keine Stimme abgeben durften, die signifikant von dem zu laschen Rauchverbot betroffen sind? Die Ignoranz des galoppierenden Klimawandels durch populistische Verkehrspolitik? Das Aufschieben wichtiger Infrastrukturprojekte für die Bahn? Ein bildungspolitischer Rückfall in die 50er Jahre, gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse? Offene Diskriminierung von Frauen? Ein gesellschaftliches und arbeitspolitisches Klima der Angst, das auf Jahrzehnte festzementiert werden soll, wenn die Notstandshilfe abgeschafft wird. Am stärksten betroffen sind Randgruppen, darunter Behinderte und Chronisch Kranke. Wie wenig der Regierung an ihnen liegt, zeigt die Streichung der erhöhten Familienbehilfe. Es trifft im Zuge des Paradigmenwechsels im Beruf (Stichwort Digitalisierung und Automatisierung) aber auch jene, deren Beruf mittelfristig verschwinden könnte. Der Leistungsdruck steigt, die gesundheitliche Belastung auch. Wie passend, dass gerade jetzt die staatliche Grundversorgung massiv unter Druck kommt (AUVA, GKK-Reform). Wie ungerecht, dass sich nur wenige eine Zusatzversicherung leisten können und die wenigsten aus der Gruppe der Behinderten/Kranken überhaupt eine bekommen dürfen. Leider spielen derartige Fragen in der medialen Aufmerksamkeit absolut keine Rolle. Dabei sollte gerade das in diversen Themensendungen im staatlichen Rundfunk und in den Zeitungen näher beleuchtet werden.
Sie klingen ein wenig resigniert, Herr Kappacher. Kann ich angesichts einer brustschwachen (nicht zu konnotieren mit der weiblichen Besetzung) Opposition, dem hilf-, wirkungslosen Gejammere (Liederbuch, UN Vorfall, Kaserne Horn; nur ein best of der letzen Investigativflops) der Spittelberger Spatzenpost mit 2% Reichweite und anderer unter Wahrnehmungsschwelle dahindümpelnder Linksmedien und einer absolut traumhaften Konjunkturentwicklung absolut nachvollziehen.
Österreich ist endlich nicht mehr außenpolitisch das Berliner Beiwagerl, es wird konsequent rechtsliberale und konservative Politik in essentiellen Themenbereichen wie der Bildung im Einklang mit beiden Regierungsparteien umgesetzt. Dabei kann man jetzt erste Reihe fußfrei sich am deutschen Groko Desaster geradezu delektieren, weil diese Regierungsform nachweislich keine Zukunftsberechtigung mehr hat.
Für die Opposition ist diese Festigung der Machtblöcke jedenfalls auch nicht unwichtig. Rot, Pink und LP (Grün kann man genauso dazunehmen) können alle das eigene Profil schärfen, Richtungsänderung vornehmen, sich mit 2/3 Mehrheitsentscheidungen in einigen Bereichen unentbehrlich machen.
Der Befund für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Österreich anno 2018 fällt äußerst positiv aus. Eine Regierung, die ihr Programm abarbeitet, eine Opposition, die durch Abgänge gezwungen ist, endlich sachpolitisch in die Gänge zu kommen. Zudem einen Vfgh, der ein unumstößlicher Eckpfeiler in der Republik ist (siehe Gleichgeschlechtliche Ehe, absolut richtig, siehe Entscheidung zum 3. Geschlecht) und Österreich in gesellschaftspolitischer Sicht öffnet, auch wenn es wünschenswerter wäre, dass die Politik hier das Szepter in die Hand nehmen sollte.
Da ist also doch für jede/n was dabei. Selbst für Linksliberale, wenn es auch nur Randgruppenthemen sind.
Danke für Ihre Anregungen!
Danke für den messerscharfen, punktgenauen Kommentar. Leider werden Sie noch oft Gelegenheit zur Kritik haben, fürchte ich, denn diese Koalition könnte noch jahrelang fuhrwerken.