Neue Hausordnung
Vor genau einem Jahr ist die Regierung Kurz angetreten. Der Hunger von ÖVP und FPÖ nach Macht war groß, das zeigte schon die sofortige und lückenlose Bestellung neuer Generalsekretäre – freihändig ernannte parteipolitische Vertrauensleute der Minister, die über sämtliche Beamten im Ressort herrschen. Eigenartige Zwitterwesen der Bürokratie, die sich selbst in den Beamtenstand erheben (oder aber auch in die BVT-Bredouille bringen) können. Mit Schmiss und Biss, titelte Die Presse etwa über Norbert Hofers rechte Hand im Verkehrsressort. Und mit Biss betreibt Schwarz-Blau auch den Umbau des Hauses Österreich.
Protestiert oder fragt jemand, dann wacheln sie schnell mit der Hausordnung. Es beginnt schon zeitig in der Früh, da heißt es aufstehen und das Haus verlassen, wenn man bei der Regierung etwas gelten will. Bei unserer Klientel ist teilweise der Eindruck entstanden, dass wir früher für jene da waren, die um sechs Uhr früh arbeiten gehen – und jetzt nur noch für jene da sind, die um sechs Uhr früh ihr erstes Bier öffnen. Das haben freilich nicht jene gesagt, die der Falter in seiner Weihnachtsausgabe wieder zu den Best of Böse gekürt hat – sondern jener gescheiterte SPÖ-Vorsitzende, dem die Stadtzeitung vor nicht allzu langer Zeit noch zu Füßen gelegen ist: Christian Kern.
Das schwere Erbe von Pamela Rendi-Wagner
Das nennt man den Boden bereiten, so wie Hans Peter Doskozil in der Migrationsfrage, wenn auch beide mit der aus ihrer Sicht hehren Absicht, das Ruder herumzureißen und dem drohenden Machtverlust zu entgehen. Vergeblich, wie wir wissen. Eine der Folgen davon ist, dass sich die neue SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner im ORF-Talk Im Zentrum ausgerechnet vom Vizekanzler fragen lassen muss, ob sie wohl lesen könne. Es ging um die geplante Neuordnung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe – wie die Mindestsicherung zutiefst sozialdemokratische Themen, aus denen die SPÖ-Chefin aber kaum Kapital schlagen kann. Sie muss den Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker verteidigen, der der Regierung aus Provokationslust Nazimethoden vorwirft.
Die Message von der sozialen Hängematte pickt
Dafür kann Bundeskanzler Sebastian Kurz das neue Grundsatzgesetz über die Sozialhilfe – wie die ungeliebte, unter SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer mit ÖVP-Zustimmung eingeführte bedarfsorientierte Mindestsicherung künftig wieder heißen wird – im Parlament überschwänglich und auch ein bisschen tief loben. Die schwarz-blaue Reform werde dazu führen, so Kurz, dass wieder mehr Menschen in unserem Land am Arbeitsmarkt teilnehmen, für sich selbst sorgen können und in einer Familie leben, wo nicht die Kinder die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen. Denn die Kinder müssen ja in die Schule, während die Eltern in der sozialen Hängematte liegen und sich eventuell schon das erste Bier aufmachen. Das ist die Message, und die pickt.
Die ins Pädagogik-Paket gegossene Wende
Auch in der Schule gilt die neue Hausordnung. Das sogenannte Pädagogik-Paket ist die in Gesetzesform gegossene Kehrtwendung via schwarz-blaue Bildungspolitik. Es werden wieder verpflichtend Ziffernnoten ab der zweiten Klasse Volksschule eingeführt, Eltern können sich aber schon ab der ersten Klasse Noten wünschen. Aus der Neuen Mittelschule wird die Mittelschule – und das zu Recht, denn neu ist da nicht mehr viel. Statt dem Fokus auf differenziertem Unterricht durch Lehrerteams werden dauerhafte Leistungsgruppen möglich gemacht, die an A- und B-Zug in der Hauptschule erinnern und auch gewünscht sind, wenn man liest, was der Minister sagt: Ich erwarte mir, dass es durch die Ermöglichung dauerhafter Leistungsgruppen zu einer Verbesserung kommt, weil man in leistungshomogenen Gruppen leichter unterrichtet. Der Lehrer muss sich nicht gleichzeitig unterschiedlichen Niveaus widmen.
Politische Entscheidungen ohne Fundierung
So Heinz Faßmann, der in einem Interview über die umstrittene Rückkehr zu den Ziffernnoten gesagt hat: Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung. Beim Beschluss über die wissenschaftlich nicht so fundierte Maßnahme durch den Nationalrat hat Faßmann vergangene Woche noch eine Erklärung nachgeliefert, die erstaunlicherweise perfekt in das zentrale Narrativ der Koalition hineinpasst, wonach alles und jedes mit der Zuwanderung zusammenhängt. Faßmann in der Parlamentsdebatte: Ziffernnoten plus verbale Beurteilung glaube ich, ist eine vernünftige Form der Rückmeldung – insbesondere an jene Eltern, die vielleicht nicht die Nuancen der Sprache verstehen. Eltern mit einem Migrationshintergrund sagen dann oft am Ende: Na, welche Note verdient jetzt mein Kind?
„Ihren eigenen Landsleuten vermittelte Österreichs Regierung mit ihrer gewaltigen PR-Maschinerie, dass sie ganz Europa neu erfinden würde.“ Das @handelsblatt zerpflückt den EU-Vorsitz. https://t.co/W0r0fSGKMT
— Stefan Kappacher (@KappacherS) December 16, 2018
Symbolpolitik mit Stacheldraht & Steckenpferd
Nicht einmal jener, der mit dem Dreifach-Stacheldraht eines niederösterreichischen FPÖ-Landesrats von allen Mitgliedern der Bundesregierung wohl am wenigsten anzufangen weiß, ist offenbar vor der Symbolpolitik Marke schwarz-blau gefeit. Andere zelebrieren sie geradezu. Wenn etwa Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ auf der Schaffung einer berittenen Polizei herumreitet. Oder FPÖ-Verkehrsminister Nobert Hofer sein Steckenpferd pflegt und Tempo 140 auf den Autobahnen forciert. Oder wenn auf der anderen Seite ÖVP-Umweltministerin Elisabeth Köstinger nach Monaten des Schweigens zu Hofers Lieblingsprojekt dann doch einmal Einwände äußert und dafür am Ende vielleicht noch als Heldin gefeiert wird. Scheingefechte um ein Tempolimit – und dazu ein Plastiksackerl-Verbot, das keinem besonders weh tut, aber eine Raiffeisen-Tochter besonders freut, während die Klimakrise weitergeht.
Wenn Herbert Kickl an Willy Brandt erinnert
Im Parlament, wo die Regierungsfraktrionen mit Abänderungsanträgen und dergleichen auch ein bisschen ein Unwesen getrieben haben, hat sich Herbert Kickl vergangene Woche ausdrücklich zu Symbolpolitik bekannt. In der Debatte über die Novelle zum Symbolegesetz, die neben IS und Al Kaida weitere Extremistengruppen in das Verbot des Tragens von deren Symbolen einbezieht, hat Kickl geklotzt und nicht gekleckert: Null Toleranz, null Toleranz und noch einmal null Toleranz. Das ist die Botschaft, und ich weiß gar nicht, was man gegen dieses Symbol haben kann. Und unterschätzen Sie nicht die Kraft der Symbolpolitik, es sind schon viele Beispiele angesprochen worden. Weltpolitik ist mit Symbolen gemacht worden. Ich glaub es war 1970, ja Willy Brandt und sein Kniefall, der in die Weltgeschichte eingegangen ist. Ein reines Symbol.
Der EU-Vorsitz der vielen Ansagen
Herbert Kickl hat auch eine Bilanz des österreichischen EU-Vorsitzes gezogen, der langsam zu Ende geht. Ein Abschleifen der letzten Reste einer Willkommenskultur, von der Reaktion zur Prävention, lauten die Schlagworte – auch wenn diese Reaktion zum Beispiel bei der Aufstockung von Frontex auf 10.000 Mann für den Außengrenzschutz schwache zehn Jahre dauert. Zieldatum 2027. Macht nichts, da schwindeln wir uns schon irgendwie durch, sagt der Innenminister sinngemäß. Andere nennen das ja eher Symbolpolitik, und sie zerpflücken den österreichischen EU-Vorsitz. Neben dem renommierten Düsseldorfer Handelsblatt auch der frühere ÖVP-Minister und erste österreichische EU-Kommissar Franz Fischler, der meint: Es ist bei Ansagen geblieben.
Die PR-Maschinerie und überforderte Medien
Solange sich zu Hause alle an die Hausordnung halten, stört das keinen Kickl und keinen Kurz. Sie überlassen das von Beginn an auch nicht dem Zufall, Message Control – auf gut Deutsch: nicht streiten – ist das Asset der Koalition. Den eigenen Landsleuten vermittelte Österreichs Regierung mit ihrer gewaltigen PR-Maschinerie, dass sie ganz Europa neu erfinden würde, schreibt das Handelsblatt, scharf beobachtend. Und man merkt immer öfter: Es funktioniert. Die Medien sind der Maschinerie nicht zu jeder Zeit gewachsen. Weit über das Europa-Thema hinaus, wo man den Verdacht nicht los wird, dass das vielleicht nur ein großer Probelauf für den EU-Wahlkampf gewesen ist. Wo es zwischen Schwarz & Blau weit weniger kontrovers zugehen könnte, als viele meinen.
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Der verbale Knüppel aus dem Sack
Symbolpolitik, ziemlich doppelbödig, auch am Ende des Tages: Johann Gudenus, geschäftsführender FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, hat eine Ausgangssperre für Asylwerber in der Nacht gefordert. Typischerweise jener Gudenus, der in gar nicht so weit zurück liegenden Oppositionszeiten noch mit dem Knüppel aus dem Sack gegen Asylwerber vorgehen wollte und sie gern in Großquartiere an entlegenen Stadträndern auslagern möchte. Vizekanzler und Innenminister unterstützen Parteifreund Gudenus, nachdem ÖVP-Obmann Bundeskanzler Sebastian Kurz eine Ausgangssperre zwar abgelehnt, aber nichts gegen eine Hausordnung einzuwenden hatte. Jetzt heißt es eben Anwesenheitspflicht zwischen 22 und 6 Uhr.
Die Politik des Bauch- und Sicherheitsgefühls
Verfassungsexperten äußern angesichts dieser verkappten Ausgangssperre Bedenken. Vielleicht bekommt ja der Verfassungsgerichtshof auch hier wieder Arbeit, wie im Fall jener Liste mit Namen türkischstämmiger Österreicher, die Doppelstaatsbürger sein sollen und deshalb gerichtlich verfolgt worden sind. Der Datensatz, den die FPÖ an die Behörden weitergegeben hatte, sei nicht authentisch und beruhe ausschließlich auf einer Vermutung, sagt das Höchstgericht. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung, haben wir gelernt. Stattdessen Politik der Gefühle. Politik des Bauchgefühls und des subjektiven Sicherheitsgefühls.
Endlich wieder ohne Waffe aus dem Haus gehen
Es ist mir wichtig, das auch einmal loszuwerden, dass der Waffenbesitz nicht etwas ist, wo man Menschen auch nur in die Nähe eines Verdachts des Missbrauchs bringen sollte. Das hat Innenminister Kickl beim Beschluss der Novelle zum Waffengesetz im Parlament gesagt. Und Vizekanzler Strache schenkt uns zu Weihnachten einen Videospot mit der aus dem FPÖ-Wahlkampf bekannten Familie Huber – quasi mit der Botschaft: Man kann dank dieser Bundesregierung wieder ohne Waffe aus dem Haus gehen. Es ist alles friedlich. Nichts passiert. Schlafen Sie ruhig weiter.
Ein Gedanke zu „Neue Hausordnung“
Brilliante Jahresbilanz!