Die Kreuzfahrer
Die erste Kanzlerin der Republik geht, und ihre Abschiedsbotschaft war so elegant und schön, wie man es in der Politik sonst nur der Bundesverfassung zubilligen darf. Brigitte Bierlein hat mit ihrer Beamtenregierung ein halbes Jahr lang gezeigt, wie es jetzt bestimmt nicht weitergehen wird. Kreuzbrav waren sie, die Beamtenminister – wenn man von ein paar goldrichtigen Anmerkungen der bösen Buben Starlinger, Peschorn und Jabloner absieht. Ab jetzt regieren die Grünen mit der ÖVP, und das wird eher keine Kreuzfahrt ins Glück. Zu vage ist vieles im Koalitionsabkommen, auch die Finanzierung der wichtigen Klimaschutz-Vorhaben. Und der absolute Machtanspruch der Kanzlerpartei ist ungebrochen.
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Der Kanzler will keine Flüchtlingskinder
Was denn wäre, wenn die Grünen forderten, dass Österreich Flüchtlingskinder aus Lesbos aufnehmen soll, wurde Sebastian Kurz von der Bild-Zeitung gefragt. (Das ist eine Forderung des deutschen Grünen-Chefs Robert Habeck.) Die Antwort von Kurz: Ich gehe nicht davon aus, dass Werner Kogler das fordert, weil ich gerade mit ihm drei Monate verhandelt habe und wir uns auf eine Linie verständigt haben. Ich kann Ihnen sagen, solange ich Bundeskanzler bin, wird die Linie hier eine klare sein. Und ich werde am Ende des Tages diese Entscheidungen treffen. Ein Flüchtlingskind hat der Kanzler allerdings aufnehmen müssen, gleich direkt in die Regierung: Denn die Grünen haben Alma Zadic, Rechtsanwältin mit bosnischen Wurzeln, als Justizministerin nominiert. Der Grüne Bundeskongress hat das Regierungsteam am Samstag mit 99 Prozent bestätigt.
Die Ministerin, die nicht hier geboren ist
Es wird einen Unterschied machen, dass es eine Ministerin gibt, die nicht in Österreich geboren ist, hat Zadic beim Bundeskongress gesagt. Und dann im Interview mit dem ZDF: Es macht einen Riesenunterschied, wer in der Regierung sitzt. Wir wissen, wie der blaue Innenminister damals über Menschen gesprochen hat. Dieser Ton wird sich ändern, und wir werden auf die Menschenrechte achten. Momentan hat sich der Ton leider noch nicht geändert, zumal von freiheitlicher Seite. Der Obmann der Strache-gespaltenen Wiener FPÖ, Dominik Nepp, und Parteifreunde haben sich auf die neue Justizministerin eingeschossen und eine Hasswelle gegen Zadic im Netz befördert.
Und es gibt endlich eine muslimische Ministerin! Der restliche Inhalt ist völlig wurscht
— Dominik Nepp (@DominikNepp) January 4, 2020
Sebastian Kurz hat im Bild-Interview und auch sonst nirgendwo ein Wort über diese Attacken verloren, dafür hat der ÖVP-Chef wieder einmal die Zusammenarbeit mit der FPÖ als ausgezeichnet gelobt. Und auf die Frage von ZDF-Moderator Claus Kleber, was denn dieses Mal schöner sei, sagte Kurz ganz offen: Es war letztes Mal auch schön.
Auf dem Weg zur Single-issue-Partei
Was die Grünen betrifft, so will sie Sebastian Kurz zu jener Single-issue-Partei machen, die sie eigentlich nicht sein wollen. Im ZDF hat das ganz ähnlich geklungen wie in anderen Interviews: Mit den Grünen gibt es die Chance, das Beste aus beiden Welten zu vereinen, also unsere konsequente Linie in der Migrationspolitik, unsere Ziele der Steuerentlastung und der Stärkung des Standorts. Und auf der anderen Seite die Ideen der Grünen im Kampf gegen den Klimawandel. Und Kurz wiederholt das auch gern abgewandelt, damit es jeder versteht: Wir haben Politikbereiche definiert, wo jeweils eine Partei auch die Themenführerschaft hat. Die Grünen beim Thema Umwelt- und Klimaschutz, wir in den Bereichen Migration, Integration, der Sicherheitspolitik oder auch der Steuerpolitik.
Kurz lobt die innovative Sollbruchstelle
Das geht so weit, dass eine Sollbruchstelle der Koalition eingebaut ist, offiziell wird das koalitionsfreier Raum genannt und vom Kanzler als innovativ gepriesen. Sollte es wieder einmal eine Migrationskrise geben, dann darf die ÖVP sich einfach andere Mehrheiten ohne die Grünen suchen. Wir in Österreich sind uns bewusst, dass wir das Jahr 2015 so nicht mehr erleben wollen, und mir als Bundeskanzler ist es wichtig, in jeder Situation auch wirklich handlungsfähig zu sein. Es ist die heftigste neben einigen anderen Provokationen in diesem Regierungsprogramm, das natürlich auch viele positive Ansätze enthält, die nicht geringzuschätzen sind. Zum Beispiel hier. Aber es enthält eben auch die präventive Sicherungshaft, der Migrations- und Asylkurs von Schwarz-Blau wird beibehalten, eine großzügige Körperschaftssteuersenkung für die Industrie kommt.
Keine Eile der ÖVP bei der CO2-Bepreisung
Auf der anderen Seite erweckt die ÖVP nicht den Eindruck, als hätte sie es mit den Klimaschutzmaßnahmen, speziell mit der CO2-Bepreisung im Rahmen einer öko-sozialen Steuerreform besonders eilig. Hauptsache, die eigenen Wahlversprechen werden rasch umgesetzt und man hat die Hände auf den Bereichen, wo gesellschaftspolitisch die Akzente gesetzt und die Weichen gestellt werden: zum Beispiel Bildung, Medien und Frauen. Denn der Weg von Sebastian Kurz und seiner Volkspartei hat bekanntlich erst begonnen. Grünen-Chef Werner Kogler hat seinen eigenen Umgang damit gefunden.
Kogler misst nicht nur den Inhalt des Paktes
Kogler am Ende der ZIB2 am Sonntag, als er schon ein bisschen genug davon zu haben schien, das Regierungsprogramm immer wieder verteidigen zu müssen: Ich sag Ihnen überhaupt, nach diesen ganzen kritischen Punkten, dass sich die politische Kultur und der ganze Zugang mit Sicherheit ändern wird, wenn die Grünen regieren. Und das ist ja eines der großen Motive, warum ich vorgeschlagen habe, dass die Grünen in diese Regierung eintreten sollen. Das misst sich nur zu einem Teil am Text des Arbeitsübereinkommens. Vielmehr wird die Frage sein, wie tritt die Regierung überhaupt auf, wie wird öffentlich diskutiert, gibt es einen anderen Dialog auch innerhalb der Regierung, aus der Regierung heraus, vorbildlich für die Gesellschaft. Weil es bleibt ja dabei, die ÖVP und die Grünen sind sehr unterschiedliche Parteien, heiraten wollen wir auch nicht.
Im Kampfmodus in den Ministerrat
Von Heiraten kann natürlich überhaupt keine Rede sein. Die Grünen suchen ihr Heil im Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat und sehen das als Hebel, um sich gegen die ÖVP durchzusetzen. Das war schon von mehreren Vertretern der Grünen zu hören, aber es klingt ein bisschen wie Pfeifen im Wald. Von Anfang an im Kampfmodus, dauernd über Kreuz – oder wie es Alma Zadic ausgedrückt hat: Ab dem Moment der Angelobung geht das Verhandeln weiter. Wir werden jeden Tag um Formulierungen ringen, wir werden jeden Tag um Maßnahmen ringen, die unser Land weiterbringen. Wir jeden Tag darum kämpfen, dass die Welt ein Stück grüner wird. Der Justizministerin ist eine besondere Rolle in Sachen Migration und Asyl zugedacht, nicht nur weil es einen Unterschied macht, dass es eine Ministerin gibt, die nicht in Österreich geboren ist. Zadic soll die Grauslichkeiten, die allenfalls im Bereich des Innenministeriums fabriziert werden, in den Griff kriegen.
Kogler dockt im grünen Mega-Ressort an
Da muss man Zadic genauso viel Glück wünschen wie Leonore Gewessler, die das Mega-Ressort für Klimaschutz übernimmt. Das will nämlich auch noch verwaltet werden neben all dem Gestalten und Umsteuern, das Gewessler managen soll. Werner Kogler wird bei ihr Unterschlupf finden, das Vizekanzleramt wird also eng an das zentrale Grün-Ressort gekoppelt. Kogler wird wie Gewessler wohl auch Mitglied der Taskforce für die CO2-Bepreisung werden. Ob das seine ursprüngliche Forderung aufwiegt, in finanzpolitischen Dingen ein unmittelbares Mitspracherecht zu bekommen, am besten in der Variante gleich selber Finanzminister zu werden – das wird sich weisen. Wahrscheinlich ist es nicht. Und es könnte sich auch herausstellen, dass es ein Fehler war, keinen Finanzstaatssekretär zu nominieren. Sebastian Kurz sagt, er hätte nichts dagegen gehabt.
Das Bürgerliche wird demokratisiert oder so
Mir ist lieber, in Österreich verschiebt sich der politische Diskurs, die Dialogfähigkeit und die Dialogbereitschaft in Richtung Grün, wenn ihr so wollt in die linkere Reichshälfte, als zu Blau und zu den Rechtsextremen. Und das ist unser Auftrag auch – Werner Kogler nicht auf Kreuzfahrt, aber auf einer Art Kreuzzug zur Demokratisierung des Bürgerlichen, wie es Martin Blumenau hier pointiert abhandelt. Das Kogler-Zitat klingt auch ein bisschen wie eine vorbereitete Selbst-Generalabsolution. Möge er sie sich nie erteilen müssen.
Update: Im Interview mit Katja Arthofer im Ö1-Morgenjournal hat Sebastian Kurz zu den Angriffen gegen Alma Zadic Folgendes gesagt: “Es stimmt, dass Alma Zadic strafrechtlich in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt wurde, das ist ein Faktum. Ich glaube aber, dass sie trotzdem ein Recht darauf haben sollte, weiter beruflich und politisch tätig zu sein. Ich kenne und schätze sie, daher werde ich sie auch dem Bundespräsidenten zur Angelobung vorschlagen.” Faktum ist, dass Zadic nicht strafrechtlich verurteilt worden ist – die Kurz-Aussage wurde auf grüner Seite denn auch als bewusste Spitze gegen den Koalitionspartner am Tag der Angelobung empfunden. Kurz korrigierte sich dann via Twitter:
Ja es stimmt, dass @Alma_Zadic einmal erstinstanzlich MEDIENRECHTLICH zu einer Entschädigungszahlung verurteilt wurde. Jedem kann einmal ein Fehler passieren. Ich kenne & schätze sie und halte sie für geeignet. Daher schlage ich sie dem Bundespräsidenten als Justizministerin vor.
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) January 7, 2020