Operation Sputnik II
Es ist nicht die erste Operation Sputnik, die unter Sebastian Kurz abläuft. Aber die erste in der Koalition mit den Grünen. Im Sommer 2018 – da war der ÖVP-Obmann noch fix mit den Freiheitlichen zusammen – hat Kurz mit Außenministerin Karin Kneissl in den steirischen Weinbergen deren Hochzeit gefeiert, Stargast war Wladimir Putin. Kneissls Knicks vor ihm ging um die Welt. Putins Staatsmedien haben den Coup des mit EU-Sanktionen geächteten Präsidenten propagandistisch ausgeschlachtet, so wie sie es zuvor mit Kurzens Migrations-Sonderweg gemacht hatten. Mit dem russischen Impfstoff Sputnik V könnte sich das jetzt wiederholen.
Nach der Schließung der Balkanroute wäre eine einheitliche, strengere Politik in der Flüchtlingsfrage der nächste Coup für Sebastian Kurz, aber die Aufhebung der Russland-Sanktionen wäre definitiv sein Meisterstück. Das hat Sputnik Deutschland, Teil des russischen Propaganda-Netzwerks und 2020 in SNA umbenannt, damals geschrieben. Heute heißt es auf SNA unter dem Titel Österreich will von Russland eine Million Dosen Sputnik V kaufen: Diese Pläne der österreichischen Regierung würden den Mythos über das aggressive Russland und die Notwendigkeit seiner internationalen Isolation in der EU zerstören. Zitiert ist die Sprecherin des russischen Außenministeriums.
Putins Propaganda und der Impfstoff-Krieg
An anderer Stelle zitiert die Propaganda-Plattform den russischen Auslandsgeheimdienst SWR, wonach die Europäische Union dringende Maßnahmen ergreift, um den russischen Coronavirus-Impfstoff zu diskreditieren. Die Arzneimittelbehörde EMA wolle die Zulassung von Sputnik V bis Sommer verzögern, damit westliche Unternehmen ihre Produktion erweitern und alle Nischen besetzen können. Demgegenüber sagen die EMA und das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (das eine allfällige nationale Zulassung wissenschaftlich untermauern müsste), dass wesentliche Informationen über den russischen Impfstoff fehlten. Von einem Impfstoff-Krieg, wie ihn Putins Propagandisten herbeischreiben, kann keine Rede sein.
Bratislava sitzt auf 200.000 unsicheren Dosen
Dass die Wissenschafter gut daran tun, mit der Zulassung nichts zu überstürzen, zeigen Meldungen aus der Slowakei – nach Ungarn der bisher zweite EU-Staat, der Sputnik V gekauft hat. Die 200.000 Dosen, auf denen Bratislava jetzt sitzt, sind laut slowakischen Behörden nicht überprüfbar, weil die mitgelieferten Angaben zum Impfstoff nicht mit den veröffentlichten Studien zusammenpassen. Bundeskanzler Kurz, der den Abschluss des Kaufvertrags für eine Million Dosen des russischen Impfstoffs noch für diese Woche in Aussicht gestellt hat, zeigt bereits Tendenzen für einen nationalen Alleingang bei der Zulassung. Dass ihm die EMA zu langsam arbeitet, das hat Kurz schon oft gesagt.
Die Geopolitik wird einfach ausgeblendet
Dass Putin allen EU-Sanktionen wegen Annexion der Krim und Destabilisierung der Ost-Ukraine zum Trotz seine Truppen an der Grenze zum Nachbarstaat verstärkt und die NATO sich deswegen alarmiert zeigt, ficht den ÖVP-Obmann in dem Zusammenhang nicht an. Genauso wenig wie den Kanzler der spektakuläre Prozess wegen massiver Korruptionsvorwürfe, denen sich Israels Premier Benjamin Netanjahu vor Gericht jetzt stellen muss, in irgendeiner Weise stört. Wenn es propagandistisch passt, jettet Kurz zu seinem Freund Bibi und verkündet danach eine Allianz zur Impfstoff-Produktion, die vor allem heiße Luft ist. Ein konkretes Spin-Off der Israel-Reise war hingegen der Streit um die Impfstoff-Verteilung auf allerhöchster EU-Ebene. Die mitreisende dänische Regierungschefin Mette Frederiksen hatte Kurz auf die Idee gebracht.
Heiße Luft in Israel und Frost in Brüssel
Eine schwere Verstimmung mit dem Großteil der EU-Kollegen, bei Angela Merkel angefangen, und eine peinliche Fehleinschätzung – was zusätzlichen Impfstoff aus dem EU-Kontingent für Österreich betrifft (400.000 Dosen wollte Kurz heimbringen, knapp die Hälfte sind es geworden) – waren die Folge. Doch zu diesem Zeitpunkt verhandelte das Kanzleramt, wie wir inzwischen wissen, längst mit Moskau, um im nationalen Alleingang nicht zugelassenen russischen Impfstoff zu kaufen. Wenn der einmal da ist, wird Kurz ihn politisch verwenden – um wahlweise das grüne Gesundheitsministerium oder die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA wegen der Zulassung unter Druck zu setzen.
Zwischen Zynismus und sadistischer Lust
Dass er da nichts kennt, das hat der ÖVP-Chef wiederholt bewiesen. In den ÖBAG-Chats mit Thomas Schmid und Gernot Blümel ist es überdies sehr gut dokumentiert. Der Psychiater Reinhard Haller hat das bei einer Veranstaltung der Vorarlberger Nachrichten so auf den Punkt gebracht: Mir fehlt in dieser ganzen Partie etwas sehr stark – und das ist Empathie. Haller hat sich auf den Chat zwischen Kurz und Schmid bezogen, in dem es um die Kirche ging, der der ÖVP-Obmann und Kanzler mit Hilfe von Schmid wörtlich Vollgas geben wollte. Der Psychiater konstatiert Zynismus bis hin zu sadistischer Lust.
Der strauchelnde Verbündete in Den Haag
Wie das Leben so spielt, ist nicht nur die Kanzlerpartei durch die Chats und daraus resultierende Rücktrittsaufforderungen, durch Lockdown-Chaos und Impfversagen gerade schwer unter Druck. Auch der von Sebastian Kurz als enger Verbündeter gesehene niederländische Premier Mark Rutte strauchelt. Rutte soll im Zuge der Verhandlungen nach der jüngsten Wahl versucht haben, einen unbequemen Abgeordneten mundtot zu machen – wofür es Belege, nämlich Protokolle gibt. Doch der Premier hat das Parlament darüber belogen, und in den Niederlanden geht das offenbar gar nicht.
Absprachen gemacht, Pöstchen vorab verteilt
Der Standard hat über Rutte einmal geschrieben: Auf der Suche nach Verbündeten hat der 51-Jährige mitunter so viel Experimentierfreude an den Tag gelegt, dass ihn die einen für einen vernunftgetriebenen Pragmatiker, die anderen für einen Mann ohne Prinzipien halten – Beschreibungen, die auch Kurz nicht fremd sind. Die Süddeutsche Zeitung schreibt heute über Mark Rutte: Da werden geheime Absprachen gemacht, Pöstchen vorab verteilt, und ja, manchmal versucht man eben auch, bei der Gelegenheit einen notorischen Störenfried in die Wüste zu schicken. Es ist nur so: Man sollte sich nicht dabei erwischen lassen. Auch hier fühlt man sich ein wenig an den ÖVP-Chef erinnert.
Der Rücktritt ohne Rücktritt in der Schmid-AG
Wie Kurz sich aus seiner Involvierung in die mehr als dubiose ÖBAG-Vorstandsbestellung – Stichwort: Kriegst eh alles, was Du willst! – herauszuhalten und herauszureden versucht, das ist schon kühn. Dass Thomas Schmid suggeriert, er trete als Chef der Schmid-AG zurück, indem er einfach noch ein Jahr weitermacht bis zum Ablauf seines Vertrages, das ist nur noch provokant. Aber sie werden damit durchkommen, solange der Grüne Koalitionspartner das schluckt. Die Abgeordnete Nina Tomaselli hat den Schmid-Verbleib ernsthaft so kommentiert: Der Aufsichtsrat hat offenbar die Kritik gehört und verstanden, dass es so mit Thomas Schmid nicht mehr weitergeht. Gut so!
Die Grünen sehen den ÖVP-Chef fest im Sattel
Und der Grün-Abgeordnete Michel Reimon – auch er an sich ein Kritischer – hat die Lage in der Koalition auf Facebook so analysiert: Sebastian Kurz sitze fest im Sattel, weil die ÖVP im Herbst in Oberösterreich noch einmal den Kanzler-Effekt lukrieren und dazugewinnen werde. Reimon: Erst danach beginnt bei den Wahlen der Zyklus der Wiederholung und die Türkisen müssen hohe Siege verteidigen. Grob gerechnet wird das wohl (und hoffentlich) mit dem Ende der Pandemie zusammenhängen, dann werden enorme Fliehkräfte frei. Dann werden ÖVP-ler jedes Mal um knapper werdende Plätze kämpfen, dann dominieren die alten Reflexe wieder. Die Erfahrenen unter ihnen reden heute schon davon, dass das brutal werden wird und bereiten sich schon darauf vor.
Und dann der Ritt ins Licht am Ende des Tunnels
Bis dahin wird Sebastian Kurz noch oft nach Israel geflogen sein, vielleicht sogar chinesischen Impfstoff – auch wenn er von Sinovac hergestellt wird – gekauft und vom möglichen Fall Mark Ruttes fürs eigene politische Überleben wieder was gelernt haben. Er wird sein Impfversprechen vielleicht wieder nicht gehalten, das Versagen aber anderen – wahlweise EU oder grüner Gesundheitsminister – umgehängt haben. Und wenn das mit dem Sputnik V doch geklappt haben sollte, wird sich Kurz Putin-mäßig aufs Pferd geschwungen haben und triumphierend ins Licht am Ende des Tunnels geritten sein.
2 Gedanken zu „Operation Sputnik II“
Ein hervorragender Kommentar. Wie immer. Auch wenn man sich diesmal in einem schlechten Krimi wähnt.
… unser tägliches Russland-Bashing gib uns heute… Werden Sie selig mit van der Leyen und dem Gesocks in Brüssel