Wer sehen will
Im Nachhinein halten die Chef-Strategen des grünen Präsidentschaftskandidaten dieses Interview vielleicht nicht mehr für so eine gute Idee: Van der Bellen sieht Parallelen zwischen Trump und der FPÖ, titelte der Kurier am Wochenende. Jetzt ist Donald Trump President-elect der Vereinigten Staaten von Amerika. Und die vereinigte europäische Rechte freut sich darüber und hat Glückwünsche über den Großen Teich gesandt. Die Identitären sind mit von der Partie und posten Bilder von trauernden Clinton-Anhängerinnen, um sich über sie lustig zu machen. Alexander van der Bellen war für wenige Wochen unser President-elect. Nach dem 4. Dezember könnte es ein anderer sein. We should be prepared.
Im Nachhinein haben wieder einmal viele gewusst, dass Donald Trump die Wahl gewinnen und 45. Präsident der Vereinigten Staaten werden würde. Einer hat es schon im Juli vorausgeahnt und auch sehr präzise begründet, nämlich Michael Moore. Eine großartige Analyse. Sie hätte, rechtzeitig gelesen, vielen Gegnern von Trump eine unangenehme Überraschung ersparen können. Denn die Analyse beweist: Wer sehen will, der sieht. Wer sich hinter seiner Arroganz verschanzt und Wähler von Anti-Establishment-Kandidaten wie Trump nur belächelt, der ist blind für möglicherweise entscheidende Entwicklungen.
Das selbe Muster hinter Trump und Hofer
Die Parallelen zum laufenden Präsidentschafts-Wahlkampf in Österreich sind frappierend, das geht über originelle Titel-Schöpfungen in der Qualitätspresse weit hinaus. FPÖ-Kandidat Norbert Hofer ist wie Trump ein Teil des Establishments – der Schickeria, gegen die er jetzt zu Felde zieht. Anders als Trump ist Hofer sogar Teil des politischen Establishments in Österreich, als Dritter Nationalratspräsident, langjähriger Abgeordneter und Funktionär der Freiheitlichen Partei. Ein Berufspolitiker, wie er im Buche steht. Aber Hofer versteht es wie Trump, die Unzufriedenheit vieler Menschen anzusprechen, mit Hilfe von Wut-Medien á la Facebook zu kanalisieren und für seine parteipolitischen Zwecke zu nutzen.
Der gute Mensch & Hundefreund aus Pinkafeld
Man muss sich darüber klar sein, dass der FPÖ-Kandidat in diesem never-ending Wahlkampf eine Funktion übernommen hat. Dass er mehr denn je Emotionen bündelt, die von der Politik zu wenig ernst genommen worden sind. Norbert Hofer poltert nicht rassistisch und sexistisch durch den Wahlkampf wie Trump. Er ist der gute Mensch aus Pinkafeld. Und damit ihm das alle glauben, lässt er bei sich zu Hause eine Homestory drehen und dabei den Hund auf dem Sofa herumspringen. Seine Fans sind entzückt. Dampf wird in diversen Internet-Foren und auf der Facebook-Seite von Heinz Christian Strache abgelassen. So brutal, dass die Staatsanwaltschaft sich das anschaut.
An den Gedanken gewöhnen: Was wäre wenn
Deswegen wäre Appeasement der falsche Weg. Man muss weiter aufzeigen, wenn im Umfeld des Kandidaten Hofer gegen Flüchtlinge und gegen Andersdenkende gehetzt wird. Wenn der FPÖ-Chef vor einem Bürgerkrieg warnt, die Kernstock-Hymne ausgräbt und wenn dann Mastermind Herbert Kickl vor dem Kongress der Verteidiger Europas in Linz eine Rede hält. Und das mitten im Wahlkampf. Zugleich sollte man aber auch bedenken, dass die Freiheitlichen damit nicht nur durchkommen, sondern erfolgreich sein könnten. Dass der President-elect am 4. Dezember Norbert Hofer heißen könnte – und was dann ist. Dass dann natürlich auch wieder die Sonne aufgehen wird, wie das Barack Obama in seiner Rede nach dem Trump-Wahlsieg formuliert hat.
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Dass es aber auch Folgen hätte. Für die politische Kultur und für den Umgang miteinander. Und dass man sich konkreter als bisher mit den Inhalten der Freiheitlichen auseinandersetzen müsste, über die bekannten Parolen & Provokationen hinaus – um aufzuzeigen, dass hinter dem Lärm nicht viel Substanz steckt. Man sollte auch gewahr sein, dass die Warnung vor einer blauen Republik ins Leere gehen könnte, weil sich nicht mehr ausreichend viele Leute davor fürchten. Dass wir uns also nicht nur bei der einen Wahl wundern könnten, was alles geht.
Rot und Schwarz planen schon mal ins Blaue
Rot und Schwarz bauen ohnehin schon vor. Die einen arbeiten an einem Kriterienkatalog für künftige Koalitionen, der einzig und allein dazu dient, der SPÖ die rot-blaue bzw. blau-rote Option aufzumachen. In der ÖVP sind Wiederholungstäter am Werk wie Schwarz-Blau-Pionier Reinhold Lopatka, der sich geradezu euphorisch über Trumps Triumph bei der US-Präsidentenwahl gezeigt hat.
"Make America great again."
Mit dieser Ansage und dem Versprechen einer rigiden Zuwanderungspolitik gewinnt Trump battleground states!— Reinhold Lopatka (@ReinholdLopatka) November 9, 2016
Und an der Homebase von Sebastian Kurz, in der Jungen ÖVP, freundet man sich öffentlich mit dem neuen Lieblings-Fernsehsender der Rechten an, wo auch führende Identitäre wie Martin Sellner im Studio auftreten dürfen.
https://twitter.com/SchnoellStefan/status/790302256830803969
Der wöchentliche Kommentar von Servus-TV-Chefredakteur Ferdinand Wegscheider ist ganz und gar nicht zufällig auch ein Favorit von FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache. They are prepared. Jeder auf seine Weise.