Rauchende Colts
Heute vor genau 55 Jahren ist im deutschen Fernsehen die erste Folge von Bonanza gelaufen. Es war die Mutter aller Western-Serien: 432 Episoden in vierzehn Staffeln. Die Colts haben lange geraucht. In Österreich haben wir in diesen Wochen die erste Staffel einer irren Mischung aus Wildwest-, Agenten- und Polit-Serie durchlebt. Mit Heckenschützen & Söldnern, Maulwürfen & ehemaligen Mossad-Agenten. Die letzte Folge war untypisch friedlich. Eine Elefantenrunde als Mutter aller Porzellankisten. Die Helden wollten sich ihre Optionen für die nächste Staffel offen lassen. Die Drehbücher dafür sind längst fertig.
Die Colts rauchen noch, die Verwundungen sind frisch, und wieviel Feuer friendly und wieviel unfriendly war, das werden die Gerichte klären. Vielleicht werden wir es aber auch nie erfahren. Vielleicht interessiert es dann auch keinen mehr. Denn über den angeblich schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten (der er nicht war) ereifert man sich in der Regel, wenn er noch ganz frisch schmutzig ist. Wenn man da und dort noch ein Schäufelchen nachlegen kann. Wenn die moralisieren können, die mitgeholfen haben, den Boden dafür zu bereiten. Natürlich war dieser Wahlkampf schmutzig. Das sind Wahlkämpfe bisweilen. Auch ohne Tal Silberstein, der für die SPÖ Strafe genug war und für andere ein Vehikel, genussvoll weiter im Schmutz herumzuwaten.
Der Wahlkampfmodus entlarvt sie alle
Ach, ich liebe Wahlkampf! Das hat NEOS-Chef Matthias Strolz in #doublecheck gesagt – also einer, der durch die Mühlen der vielen TV-Konfrontationen durchmusste. Strolz wird wohl zwischendurch den einen oder anderen Baum umarmt haben, wenn es auch ihm zu viel geworden ist. Aber im Grunde hat er recht: Man erfährt im Wahlkampfmodus so viel über die Spitzenkandidaten: Sebastian Kurz, der immer noch einen Gedanken zu Ende führen will – als müsste er beweisen, auch alles zu Ende gedacht zu haben. Christian Kern, der mit dem Engagement von Silberstein einen Riesenfehler gemacht hat, der ihn den Kanzlerposten kosten könnte. Und sich entzaubert hat. Doch nach dem Super-GAU um die Anti-Kurz-Facebook-Seiten hat er Standhaftigkeit gezeigt.
Kurz unterbricht sich schon selbst um dann 1 Gedanken zu Ende zu führen. Es ist wirklich Zeit. #orfwahl17
— Stefan Kappacher (@KappacherS) October 12, 2017
Auch Strache und Pilz hinter ihren Masken
Heinz-Christian Strache, der sich für die Wahlkampfauftritte ein fröhlich-harmloses Naturell antrainiert oder dieses zuvor sehr gut verborgen hat – was ihm an anderer Stelle freilich nicht so gut gelungen ist. Da hat er mit antisemitischen Codes gegen einen der Spender für die ÖVP-Kampagne polemisiert. Peter Pilz, der sich ebenfalls auf diesem Terrain hervorgetan und gefordert hat, Österreich müsse Silberstein-frei werden. Unsensibel sei das gewesen, sorry. Aber antisemitische Anspielungen, das lasse er sich nicht vorwerfen, so Pilz später zu dieser Provokation. Das kann er im Übrigen auch in Sachen ORF: Dort werde nach der Wahl radikal aufgeräumt, dort müsse mehr Kontrolle her, sagt der Politiker Pilz ganz offen.
Die Drehbücher für danach sind geschrieben
Das alles hat dieser Wahlkampf ans Licht gebracht. Das und die üblichen schwer oder gar nicht haltbaren Wahlversprechen. Massive Senkung der Steuerquote, ohne dass wer was merkt. Zusammenlegung der 21 Kranken- und Pensionskassen zu einer einzigen. Mehr Macht für den Bundeskanzler, wenn er Kurz heißt. Das ist nicht einklagbar, das Papier, auf dem die Wahlprogramme gedruckt sind, ist sehr geduldig. Viel wichtiger für die Parteien sind ohnehin die Drehbücher, die längst schon für die Tage danach geschrieben worden sind. Möglicherweise tut sich zum passenden Zeitpunkt ja wieder ein Leak auf, wo dann der Geheimplan zur rot-blauen Machtübernahme herausrinnen wird. Sebastian Kurz hat zuletzt wiederholt so einen Plan erwähnt. Die Colts rauchen immer noch.
Schwarz-Blau & Rot-Blau sind auf der Agenda
Je nach dem Kräfteverhältnis am Wahlabend werden die Colts eingepackt – und in der einen oder anderen Partei werden die Messer ausgepackt, um sie dem einen oder dem anderen in den Rücken zu rammen. Oder es wird weiter scharf geschossen. Je enger die ersten Drei beisammen liegen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Colts wieder rauchen. Schwarz-Blau oder Rot-Blau, das steht dann auf der Agenda. Was schon zu Ende gedacht und was nur taktische Finte ist, das werden wir sehen. Im Hintergrund lauert das schwarz-rote Gespenst, es weist – demokratiepolitisch gesehen – den Weg in den Abgrund. Eine demokratiepolitische Hoffnung wäre eine Regierung, die sich auf wechselnde Mehrheiten in einem massiv gestärkten Parlament stützt und ein großes Reformprojekt durchzieht. Leider falscher Zeitpunkt.
Es geht um die Macht, nicht um Reformen
Es geht jetzt nicht um Reformen, jetzt geht es einmal um Macht. Sebastian Kurz hat klargemacht, dass er ein ungetrübtes Verhältnis dazu hat und vor allem ganz viel davon will. Die SPÖ hat immer an die Macht gedrängt und die Techniken der Macht bis in den ORF-Stiftungsrat hinein perfekt beherrscht. Man wird sehen, wie es Christian Kern im Fall des Falles mit der von ihm vor eineinhalb Jahren gegeißelten Machtversessenheit hält. Oder ob er früher als geplant mit einem Messer im Rücken in der Blutlache auf der Bühne liegt – wir spielen hier nur auf Kerns Faible für Shakespeares Königsdramen an, gemach, gemach. Und über das Part-of-the-game-Machtverständnis der FPÖ würden die Freiheitlichen gern einen königsblauen Mantel des Schweigens legen.
Die blaue Macht-Hypothek & der ORF
Aber das geht nicht. Soeben hat der Verfassungsgerichtshof die BUWOG-Anklage gegen Karlheinz Grasser & Co. genehmigt, der Prozess wird im Dezember starten. Das ist die Spitze des Eisbergs und machtpolitisch eine Hypothek, da kann Strache noch so sehr Haider-Weglegung betreiben. Jetzt will man wieder mitmischen. Bezeichnend, dass FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger als Erster ein neues ORF-Gesetz zum Aufräumen angekündigt hat: der ORF ist machttechnisch für die Parteien immer noch sehr wichtig, und nicht nur Steger wird sein Drehbuch für diese spezielle Folge schon geschrieben und Darsteller gecastet haben. Denn: nach dem Wahlkampf ist vor dem Machtkampf.