Fucking Wahlkampf
Sie haben es wieder getan. Die Zwei, die Staatsoberhaupt werden wollen, haben sich als Staatsunterhäupter für die Stichwahl am Sonntag empfohlen. Fuck Hofer. Fuck VdB. Der eine wie der andere holte vor den Live-Kameras heraus, was in der jeweils untersten Schublade dieses Wahlkampfs zu finden war. Und nicht einmal von den Wahlkampfteams stammte, sondern aus irgendeiner Bubble. Jeder von uns sitzt in einer solchen. Das hat uns das Gespür dafür genommen, einschätzen zu können, was da jetzt kommen wird. Selten hat man so ratlose Analyse-Runden gesehen wie nach dem letzten Fernsehduell dieses never-ending Wahlkampfs.
Sicher ist eines: In die Hofburg wird einer einziehen, der zu Beginn dieses Jahres noch als krasser Außenseiter gegolten hat. Die Kandidaten der traditionellen Parteien SPÖ und ÖVP, die bisher alle Bundespräsidenten der Republik gestellt haben, sind schon im ersten Wahlgang mit jeweils rund elf Prozent der Stimmen kläglich gescheitert. Das politische Establishment ist abgewählt worden, trommeln seither die Freiheitlichen, die seit Kriegsende ebenfalls zum Establishment gehören und Wurzeln haben, an die sie nicht gern erinnert werden. Sie haben es dennoch geschafft, den Grünen Alexander van der Bellen zum Kandidaten des Establishments zu stilisieren. Der Schickeria. Und die Elite des Landes hat Van der Bellen gern politisches Asyl gewährt.
Das ist sich im Mai arschknapp ausgegangen. Das Establishment hat sich nach der Aufhebung des Stichwahl-Ergebnisses noch breiter hinter Van der Bellen gestellt. Der Kanzler joggt wahlkampftauglich für ihn. Rainhard Fendrich – der ironischerweise mit Schickeria einen seiner ersten großen Hits hatte – stellt seine heimliche Hymne I am from Austria für das Video zum Wahlkampfabschluss zur Verfügung. Der Industrielle und NEOS-Gönner Hans Peter Haselsteiner buttert sein Geld in eine Anti-Hofer-Kampagne. Selbst eine Reihe von ÖVP-Bürgermeistern und Alt-ÖVP-ler wie Franz Fischler und Erhard Busek treten ganz offen für Van der Bellen ein.
Joggender Kanzler gegen Rasentraktor in Pinkafeld
Es ist eine breite Allianz aus Politik, Kultur und Gesellschaft. Selbst die Israelitische Kultusgemeinde gibt erstmals in der Geschichte eine Wahlempfehlung ab – nicht für Norbert Gerwald Hofer. Der wird nur von Andreas Gabalier und Felix Baumgartner unterstützt, aber auch von den Hunderttausenden, die via Facebook auf der Seite von FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache und über dessen eigene Seite an Hofers Lippen hängen. Wenn er dem Widersacher einmal mehr entgegenschleudert: Das ist eine Lüge! Sie sagen schon wieder die Unwahrheit! Wenn diese im ehemaligen Schlachthof erprobte und jetzt am Ende noch einmal hervorgeholte Taktik aufgeht, dann haben Hofer und die FPÖ das System dort, wo sie es haben wollen. Auf den Knien.
Sollte es Alexander van der Bellen wieder arschknapp schaffen, dann darf die Elite kurz durchatmen. An der fundamental neuen politischen Konstellation im Land änderte das nichts. Der Lackmustest ist die ÖVP, für die dieser Wahlkampf eine Bewährungsprobe war, die sie nicht bestanden hat. Nach dem Ausscheiden des eigenen Kandidaten – der nicht Erwin Pröll geheißen hat, was für dessen politischen Riecher spricht – war die ÖVP im Dilemma. Hier der Grüne Van der Bellen, den man in besseren Zeiten schon einmal als linkslinken Kryptokommunisten verunglimpft hat, da Hofer mit EU-Austritts-Phantasien, von denen er sich allzu spät zu distanzieren versuchte. Viele Monate haben sie sich durchlaviert, dann platzte die Lopatka-Bombe.
Der Sputnik der Innenpolitik mit FPÖ-Sprech
Nachdem ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner Sympathien für Van der Bellen gezeigt hatte, bekannte sich Klubobmann Reinhold Lopatka ganz klar zu Hofer. Der öffentlich ausgetragene Disput machte erst so richtig deutlich, wie gespalten die ÖVP in der Frage der künftigen Ausrichtung ist. Weitermachen mit der Kern-SPÖ oder mit dem Stimmenbringer Sebastian Kurz ein Abenteuer wagen? Der noch immer mächtige Erwin Pröll steht auf Lopatkas Seite, das wurde schon am Tag nach einer für Mitterlehner nicht sehr ruhmreichen Aussprache sichtbar. Und am Donnerstag legte Lopatka noch einmal nach: Im Interview – ausgerechnet – mit dem staatlichen russischen Nachrichten-Portal sputniknews.com bekräftigte der Klubobmann sein Faible für Hofer. Und das in reinstem FPÖ-Wahlkampf-Sprech: I do not think presidency is a question of age, but Alexander Van der Bellen sometimes seems to be a bit tired.
Wahrheiten von Breitbart-News & unzensuriert.at
Sputnik ist Teil eines globalen Medienimperiums, mit dem Wladimir Putin einer Russland-feindlichen Stimmung im Westen begegnen will. Telling the Untold. Das ist der Leitspruch dieser Propaganda-Plattform. Sputnik berichtet über das, worüber andere schweigen – so liest sich das im Impressum der deutschen Ausgabe. Und hier schließt sich der Kreis zu einschlägigen Plattformen in Trumps Amerika und Österreich. Von breitbart.com zum FPÖ-nahen unzensuriert.at, die beide sehr erfolgreich Gegenöffentlichkeit zu den Mainstream-Medien schaffen, die sie Lügenpresse nennen. Obwohl sie eine eigene inhaltliche Schlagseite haben und massiv propagandistisch unterwegs sind. Meine Blase, deine Blase. Schöne neue Medienwelt.
Die Ratlosigkeit des polit-medialen Komplexes
Kein Wahlkampf hat dieses Nebeneinander von Öffentlichkeiten so deutlich aufgezeigt wie dieser. Keiner hat den Wahnsinn auf Facebook je so transparent gemacht. Und auch die Ratlosigkeit des polit-medialen Komplexes, wie damit umzugehen wäre, so schonungslos enthüllt. Damit werden wir uns beschäftigen müssen. Das bleibt. Wer immer am Sonntag Abend oder am Montag Abend die Nase vorn hat.