Kurz rockt
Das ist der größte Wahlkampfauftakt, den Österreich je gesehen hat. Sprach Sebastian Kurz in der zum Bersten gefüllten Wiener Stadthalle. Es war gewiss auch der teuerste. Aber das stört einen wie Kurz nicht, dem Großspender so die Konten vollräumen, dass in geleakten Positionspapieren – die nie voll dementiert werden – die Halbierung der Parteienförderung ausgerufen wird. Zehntausend Menschen, darunter sein Kanzler-Mentor Wolfgang Schüssel – und Sebastian Kurz hat die Halle gerockt, wie das Fellner-Blatt geschrieben hat. Reinhold Mitterlehner, den Kurz von der ÖVP-Spitze gerockt hat, ward nicht gesehen.
Es war eine perfekt inszenierte Show nach amerikanischem Zuschnitt, zumal für österreichische Verhältnisse. Die Welser Elbphilharmonie von Christian Kern ein matter Abklatsch dagegen, obwohl auch ganz ordentlich – damals im Jänner, als Kurz sich noch akribisch auf alle Übernahme-Eventualitäten in der ÖVP vorbereitet und angeblich auch allerhand Strategiepapiere zugeschickt bekommen hat (die dann leider mit seinen eigenen durcheinander- und jetzt an die Öffentlichkeit geraten sind). Wir verkneifen uns alle Vergleiche mit Donald Trumps largest audience ever – der Vergleich würde hinken und viele nur unnötig ärgern – wie der am Beginn dieses Blogeintrags.
Rede nach geleaktem Drehbuch trifft Nerv
In seiner halbstündigen Rede ist Sebastian Kurz wieder genau nach dem geleakten Drehbuch vorgegangen. Wir müssen das alte System hinter uns lassen. Das ist seine Botschaft, damit trifft er einen Nerv. Die Politik auf Bundesebene ist in vielen Fragen feig und in einigen Fragen auch schwach geworden. Wichtig ist: auf Bundesebene. Denn die Landesfürsten, die Kurz auf den Schild gehoben haben und gewähren lassen, die sitzen erste Reihe fußfrei. Die größte Sorge der Menschen ist, dass wieder alles so bleibt wie es immer war und dass wieder alles so weitergeht wie in der Vergangenheit. Riesenapplaus. Es braucht Kraft, Mut und Entschlossenheit, die Dinge umzusetzen. Wie damals, als wir die Balkanroute geschlossen haben. Sie liegen ihm zu Füßen.
Nebuloser Ruf nach Richtlinienkompetenz
Vieles von der Analyse kann man unterschreiben, aber sie hat auch Schwachstellen. Denn die Bundespolitik ist so wie sie ist, weil der Einfluss von Landeshauptleuten und Sozialpartnern nach wie vor ungebremst wirken kann, weil eine radikale Staatsreform nicht machbar ist und weil Gewerkschaften, Kammern und Länder über die roten und schwarzen Parteiapparate gnadenlos ihre Interessen durchboxen. Und nicht zuletzt weil SPÖ und ÖVP schon lange nicht mehr miteinander können und sich gegenseitig lähmen. Da will Kurz raus, das ist nachvollziehbar. Doch zu den anderen Vetospielern in diesem alten System, das er angeblich überwinden will, ist ihm nichts eingefallen. Das vernebelt er mit dem Ruf nach einer Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler.
Verdacht auf autoritäre Allüren selbst genährt
Im Klartext: Sebastian Kurz will eine Richtlinienkompetenz für sich. Er will nicht nur in der ÖVP das alleinige Sagen haben, sondern auch in der Republik. All jenen, die bei ihm autoritäre Allüren vermuten, hat Kurz neue Nahrung geliefert, indem er die Art und Weise der Machtübernahme in der ÖVP auf sein Projekt Ballhausplatz umlegte: Sieben Bedingungen hat er damals im Mai den Parteigranden abgefordert, in der Stadthalle formulierte er sieben klare Vorstellungen für neues Regieren. Die sind zum Teil schon verwirklicht, zum Teil vage, zur Hälfte bekannte Kurz-Positionen zur Zuwanderung, wie hier anschaulich erklärt wird. Die Richtlinienkompetenz ist als Forderung neu, aber als Instrument bei weitem nicht so spektakulär wie Kurz glauben machen will.
Rätselhaft #KURIER-Pammesberger pic.twitter.com/6YYRl3EaCq
— Karin Leitner (@KarinLeitner1) September 23, 2017
Der kurze Sommer der Regierungs-Anarchie
Der beste Beweis dafür ist Kurz selber. Im Sommer 2016 hat er gemeinsam mit Innenminister Wolfgang Sobotka die Regierungsarbeit gerockt: Tag für Tag sind die beiden mit neuen Vorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen – darunter das Verbot der Vollverschleierung, das – notabene mit dem Sanktus der SPÖ – jetzt am 1. Oktober in Kraft treten wird. Im Radioblog war damals zu lesen: Teile der Bundesregierung haben sich offenbar verselbstständigt & die Koalitionschefs sind machtlos. Kanzler Kern hat das damals so erlebt. Eine Richtlinienkompetenz hätte ihm da nicht geholfen. Die ist nicht dazu da, anderen Regierungsmitgliedern das Reden zu verbieten. Und wenn der Koalitionspartner einen Beschluss nicht mittragen will, hilft sie auch nicht.
Bei allem Klartext bleibt ÖVP-Chef ein Rätsel
So bleibt Sebastian Kurz bei all dem Klartext, den er spricht, doch ein Rätsel. Zum Umbau des Staates, von dem er so viel redet, ist nämlich noch kein Papier geleakt worden. Und man kann es seinen Gegnern nicht einmal verübeln, wenn sie Kurz in ihrer Wahlkampf-Not als kalten herzlosen Neoliberalen hinstellen, der die Reichen reicher und die Armen ärmer machen und es überdies mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen wird. Man würde gern glauben, dass Kurz seine ÖVP schon enkelfit gemacht hat. Aber es ist doch so: Die Bundespartei hat eine neue Farbe und wird von der jungen Seilschaft professionell geführt, die Landesparteien & Bünde halten in Erwartung eines Füllhorns von Mandaten still. Das würde sich schlagartig ändern, wenn Kurz das in den ÖVP-Strukturen verankerte alte System wirklich überwinden will.
Prinzessinnen-Posse mit Fellner & Livestream
Während dem ÖVP-Obmann die Partei also vorerst zu Füßen liegt, fliegt dem SPÖ-Vorsitzenden die seine vergleichsweise um die Ohren. Jemand aus dem Umfeld von Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer hat ein wenig schmeichelhaftes Psychogramm von Christian Kern erstellt, das von der Gratiszeitung Österreich veröffentlicht worden ist. Stichwort: Prinzessin. Kern sagte daraufhin ein Interview ab, und Wolfgang Fellner titelte: Der Kanzler crasht oe24.TV-Interview. Die Krönung der Prinzessinnen-Posse war, dass Fellner sein Blatt mit dem Spiegel und dessen ewigen Clinch mit Helmut Kohl verglich: Interview-Verweigerungen von Regierungschefs gegenüber kritischen Medien sind weltweit nichts Neues, schrieb Fellner. Um am selben Tag den ÖVP-Livestream aus der Stadthalle zu übernehmen – quasi Kurz-Belangsendung auf oe24.TV.
Wenn nur Pannen das Problem der SPÖ wären
Kern hätte wohl gern nur diesen Ärger. Aber er hat eine Wiener Landespartei, die nicht in die Gänge kommt. Ein bisschen Gemurre in den Medien über das Wien-Bashing von Kurz wird nicht reichen. Und der SPÖ-Chef hat Hans-Peter Doskozil an der rechten Flanke, der angefeuert von seinem Mentor Hans Niessl einigermaßen unsensibel durch diesen Wahlkampf marschiert. Der Rest der SPÖ – so es nicht gerade Rempeleien oder andere Interna nach außen zu tragen gilt – ist Schweigen. Diese Partei ist nicht einmal mehr großelternfit, da ist nach der Wahl viel zu tun. So oder so. In einer Situation, wo Sebastian Kurz angesichts seines haushohen Vorsprungs in den Umfragen seine Leute schon aufrufen muss, sich jetzt nicht zurückzulehnen, ist Christian Kerns Kanzlerbonus der letzte Trumpf der Sozialdemokratie. Drei Wochen noch. So oder so.