Die roten Karten
Man könnte fast glauben, Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe mit den Koalitionsverhandlern von ÖVP und FPÖ einen genialen Deal gemacht. Mit der von Form und Zeitpunkt her doch überraschenden Absage an Harald Vilimsky und Johann Gudenus als mögliche Ministerkandidaten schlägt Van der Bellen zwei Fliegen mit einer Klappe: Es hilft ihm – der Schwarz-Blau immer schon skeptisch gegenübergestanden ist – sein Gesicht zu wahren. Und es beruhigt die europäischen Spitzen, die der weiteren Entwicklung in Wien in gespannt-banger Erwartung harren. Gleichzeitig nützt das ÖVP und FPÖ, die in Ruhe verhandeln und nebenbei diverse Ablenkungsmanöver starten können.
Denn etwas anderes als Ablenkungsmanöver sind Luftballone Marke Stopp des Rauchverbots in Lokalen und Aufhebung des Tempolimits auf Autobahnen hoffentlich nicht. Eine Regierung, die zum Umbau der Republik in Richtung Zukunft antritt und beim Umwelt- und Menschenschutz das Rad der Zeit zurückdrehen will, müsste von vornherein damit rechnen, nicht ganz ernstgenommen zu werden. Also reihen wir das bis zum Beweis des traurigen Gegenteils in die Sparte Infotainment also known as Räuberpistolen ein. Keine Räuberpistole dürfte hingegen der Bericht der Presse sein, wonach der Bundespräsident vor 27 EU-Botschaftern im Wiener Hotel Imperial zwei FPÖ-Spitzenleuten quasi öffentlich die rote Karte gezeigt hat.
Zwei Statthalter Straches sind aus dem Spiel
Denn dass seine Absage an Harald Vilimsky und Johann Gudenus coram publico nicht lange hinter den verschlossenen Türen bleiben würde, muss Alexander Van der Bellen klar gewesen sein. Diplomaten-Publikum hin oder her. Die Untauglichkeit als Minister hat der Bundespräsident da nicht irgendwem in der FPÖ bescheinigt: Vilimsky ist der Statthalter von Heinz-Christian Strache in Brüssel, er hat dort die Vernetzung mit rechtsextremen Parteien wie dem Front National von Marine Le Pen und dem Vlaams Belang, aber auch der rechtspopulistischen AfD mit großer Verve vorangetrieben. Und von Vilimsky sind auch Aussagen überliefert, die einen Austritt Österreichs aus der EU befürwortet haben. Aussagen, von denen die FPÖ nichts mehr wissen will.
Ausreichend Gründe für den Platzverweis
Gudenus ist Straches Statthalter in der Bundeshauptstadt und hochbezahlter Wiener Vizebürgermeister ohne Zuständigkeitsbereich. Mit Vilimsky, Strache und Norbert Hofer war er in Moskau, um einen Freundschaftsvertrag mit der Partei von Wladimir Putin zu schließen. Konsequenterweise lehnt die FPÖ auch die EU-Sanktionen gegen Russland ab, die die ÖVP-FPÖ-Regierung im Vorsitzhalbjahr 2018 mit hoher Wahrscheinlichkeit federführend verlängern wird müssen. Hohes Konfliktpotenzial für Schwarz-Blau. Wobei Johann Gudenus überhaupt die russophile Speerspitze der Blauen ist: Als solche setzt er sich für die Anerkennung der Annexion der Krim durch Russland ein, in einer Rede in Moskau hat Gudenus zum Kampf gegen eine internationale Homosexuellen-Lobby aufgerufen. Van der Bellen kann viele Gründe für den Platzverweis anführen.
FPÖ reagiert mit Samthandschuhen auf Affront
Bemerkenswert ist die gelassene Reaktion von FPÖ-Mastermind Herbert Kickl, der den sonst von den Freiheitlichen oft gescholtenen Van der Bellen mit Samthandschuhen angefasst hat. Es bestehe kein Anlass, Berichte Dritter über angebliche Aussagen des Bundespräsidenten überhaupt zu kommentieren, so Kickl, der die gute Gesprächsbasis und den gegenseitigen Informationsaustausch zwischen FPÖ-Obmann Strache und dem Bundespräsidenten lobte. Als wäre die Rede vor den EU-Botschaftern samt Leak Teil dieses Informationsaustausches gewesen. Doch das ist selbstverständlich eine Verschwörungstheorie, die man dem Staatsoberhaupt nicht zuordnen möchte.
Das Trauma der Implosion unter Kanzler Schüssel
Zumal die FPÖ hinter vorgehaltener Hand alles andere als gelassen reagiert, wenn man mögliche Bedingungen des Bundespräsidenten in Sachen Regierungsbildung anspricht. Zu tief sitzt das Trauma von Schwarz-Blau I, als man in die Koalition mit Wolfgang Schüssel hineintappte und zweieinhalb Jahre später in Knittelfeld als FPÖ implodierte. So weit wollen es Kickl, Hofer und Strache diesmal nicht kommen lassen, und deshalb werden die Verhandlungen auch dermaßen in die Länge gezogen – was wiederum Sebastian Kurz auf der anderen Seite des Verhandlungstisches gar nicht recht sein kann. Je länger das geht, desto mehr Details muss er mit den schwarzen Teilorganisationen abstimmen – die er zwar in der Hand hat, über die er aber auch nicht drüberfahren kann. Wie erste Reaktionen nach dem Köstinger-Coup nahelegen.
Köstingers Wahl war auch eine Ohrfeige für Landeshauptmann Wallner. Hier nimmt er kleinlaut hin, dass trotz einem weitaus besseren Vorarlberger Kandidaten eine bisher nicht durch Leistungen aufgefallene Kurzjüngerin mit einem der höchsten Ämter dieser Republik versorgt wird.
— Rainer Keckeis (@RainerKeckeis) November 12, 2017
Dieser Tweet stammt vom Direktor der ÖVP-geführten Vorarlberger Arbeiterkammer.
Die Länder kochen ihr eigenes Süppchen
Die Länder, die den erwarteten neuen Schwung auf Bundesebene vorerst einmal vor allem zum Rückbau umweltpolitischer Standards wie Natura 2000 nutzen wollen, bekennen sich zwar zu dringend notwendigen Reformen im Bundesstaat. Aber was zu weit geht, wie die radikalen Vorschläge von prominenten Ex-Politikern aller Lager zu Kompetenzverteilung und Wahlrecht – das geht zu weit. Und auch die Widerstände aus der ÖVP in den Ländern gegen einen Josef Moser, der als Finanzminister einen erfrischenden Zugang zu den über Jahre verschleppten Strukturreformen bringen könnte – das spricht Bände. Sebastian Kurz hat hier vielleicht doch zu viel versprochen.
Der Lockruf des Abenteuers Minderheitsregierung
Je länger das mit der FPÖ dauert, umso größer könnte auch die Verlockung für Kurz sein, sich in das Abenteuer Minderheitsregierung zu stürzen. Vorher noch schnell ein paar zentrale Vorhaben mit den Freiheitlichen paktieren, die man dann im freien Spiel der Kräfte im Parlament – unter dem wachsamen Auge der Kurz-treuen Präsidentin – von der FPÖ öffentlichkeitswirksam einfordern könnte. Für die SPÖ bräuchte sich der ÖVP-Chef nur ein paar Leckerbissen aus Christian Kerns Plan A herauspicken und die Zustimmung der Roten einfordern. Funktioniert das Spiel nicht, dann könnte Kurz eher früher als später endgültig die rote Karte zücken und in eine Neuwahl gehen.
Die SPÖ sieht taktisch & strategisch eher arm aus
Die SPÖ ist gerade so mit sich selbst beschäftigt, dass sie dem taktisch sehr wenig entgegenzusetzen hätte. Schwer vorstellbar, dass sie Sebastian Kurz, der die SPÖ schon im Wahlkampf ausgetrickst hat, im Parlament nachhaltig auflaufen lassen könnte – oder dass am Ende gar aus Rot-Blau noch etwas würde. Der Stand der Dinge ist, dass der Häupl-Flügel in der Wiener SPÖ jetzt endlich Andreas Schieder als den offiziellen Gegenkandidaten zu Michael Ludwig in Stellung gebracht hat. Bis zuletzt soll Christian Kern überlegt haben, selber in den Ring zu steigen – weil er offenbar in der nun gewählten Konstellation nicht an eine Einigung der gespaltenen Wiener Partei glaubt. Genau dieser Eindruck wird sich jetzt zweieinhalb Monate lang verfestigen.
Hegemonie Mitte-rechts-weit-rechts leicht gemacht
Wenn nicht jemand in der SPÖ doch noch eine Hirnidee hat, die eine andere Lösung als einen Pyrrhus-Sieg von Schieder oder Ludwig beim Parteitag am 27. Jänner bringt. Auf diese ganz spezielle rote Karte läuft es nämlich hinaus, und man fragt sich, wieso der Sozialdemokratie die strategischen Skills denn plötzlich auf allen Ebenen abhanden gekommen sind. Wenn die SPÖ es nicht schafft, sich in ihrer Herzkammer erfolgreich neu aufzustellen, dann wird Mitte-rechts-weit-rechts die Hegemonie leichter und rascher erlangen, als die strammsten Exponenten bis vor kurzem selber geglaubt haben.
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