Per gli Amici
Freitag, 14. September. Während an jeder Ampel auf dem Weg zum Austria Center ein Polizist steht, damit die EU-Innenminister zügig zu der Konferenz kommen, die Herbert Kickl einberufen hat, tritt im Bundeskanzleramt die Regierungsspitze auf. Die Reform der Sozialversicherung ist fertig für die Begutachtung, und das will gefeiert werden. Die Koalition verspricht plakativ: Bis 2023 wird eine Milliarde Euro eingespart – und keinem wird es weh tun. Außer vielleicht den Kassen-Funktionären, denen es jetzt an den Kragen geht. Der Kragen, der später dem luxemburgischen Migrationsminister platzen wird, nachdem ihn der Italiener Matteo Salvini plakativ provoziert hat.
Ich arbeite lieber dafür, dass junge Italiener und Europäer mehr Kinder in die Welt setzen, weil ich keine neuen Sklaven will. Wenn ihr in Luxemburg neue Migration braucht, schön und gut. In Italien helfe ich lieber Italienern, dass sie wieder Kinder machen. Sprach Salvini, jeder konnte es sehen und hören, denn der italienische Innenminister ließ seine Wortmeldung mitfilmen und stellte das Video ins Netz. Auch der kurze Ausraster des Sozialdemokraten Jean Asselborn ist darauf zu sehen, der Salvinis Sager mit einem Merde alors! quittierte. Was wörtlich übersetzt werden kann, aber in Luxemburg angeblich soviel wie Das geht jetzt aber zu weit! bedeutet.
Paragona i nostri nonni emigrati ai clandestini che sbarcano oggi, vuole più immigrati in Europa e conclude urlando: “Merda”.
Ma in Lussemburgo, paradiso fiscale che non può dare lezioni all’Italia, non hanno nessuno di più normale che faccia il Ministro??? #Asselborn pic.twitter.com/CGMh4cBY49— Matteo Salvini (@matteosalvinimi) September 14, 2018
Der Provokateur Salvini hat, was er braucht
Egal. Salvini hat, was er braucht. Den Tweet mit dem Video hat er oben auf seinem Twitter-Account angeheftet, bald wird der Mitschnitt aus der vertraulichen Sitzung allein hier schon 200.000 Mal aufgerufen worden sein. Der Eklat fällt auf die EU-Spitzen zurück, denen Matteo Salvini nach einem Termin im Vizekanzler-Büro bei seinem erklärten Freund Heinz-Christian Strache ausrichtet: Bald werden wir gemeinsam mit Orbán regieren. Wir werden Europa verändern, wir werden die Sozialisten verjagen. Der Spiegel wertet den Eklat in Wien als beispiellosen Vorgang.
Wenn der Freund des Hauses die Party crasht
Natürlich werde es manchmal laut bei EU-Treffen. Das erfahre man dann oft über Umwege. Dass aber ein Minister heimlich ein Video eines vertraulichen Treffens anfertigen lässt und es prompt veröffentlicht, um einen Kollegen bloßzustellen, galt als undenkbar – bis jetzt, schreibt das deutsche Nachrichtenmagazin. Die Reaktion, die sie dazu von Regierungsseite in Wien eingeholt haben, spricht Bände: Erstens gebe es für informelle Ministertreffen keine Regeln, zweitens sei man am vertraulichen Austausch von Argumenten interessiert, aber dazu gehöre auch, andere ausreden zu lassen. Sprich: Asselborn ist schuld, nicht der Provokateur Salvini. Alles für die Freunde.
Tre amici 🇮🇹🇦🇹 😎 pic.twitter.com/PizWdpITOA
— Harald Vilimsky (@vilimsky) September 14, 2018
Die falschen Freunde der Kassenreform
Tutto per gli amici. Das gilt auch für die große Kassenreform. Der Mega-Merger. Das Leuchtturm-Projekt dieser Regierung. Die Sozialversicherungsträger werden von 21 auf fünf reduziert, der Kern ist die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer einzigen Kasse – der Österreichischen Gesundheitskasse. Die ÖGK wird für die große Mehrheit von sieben Millionen Versicherten zuständig sein. Und die Länder haben im Vorfeld den Aufstand geprobt, vor allem die befreundeten schwarzen Landesfürsten im Westen. Es hat gefruchtet. Im Begutachtungsentwurf steht zwar: Alle Rechte und Verbindlichkeiten der im Absatz 1 genannten Gebietskrankenkassen gehen mit 1. Jänner 2020 auf die Österreichische Gesundheitskasse über. Doch in den Erläuterungen wird den Ländern der bisherige Anteil am Beitragskuchen garantiert, und laut Gesetzestext dürfen sie in zentralen Fragen wie Honorarverhandlungen weiter mitspielen.
Ländern wird in dem Sinn nichts weggenommen
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ hat in der ZIB2 bestätigt, dass die Landesstellen gemeinsam mit den Ländern regionale Maßnahmen setzen können, bis hin zu Honorarverhandlungen mit den Ärzten innerhalb des Rahmens, den die ÖGK vorgibt. Frage an Hartinger-Klein, was sie den Ländern jetzt wegnehme: Ich nehme den Landesstellen nichts in dem Sinn weg, sondern ich gebe ihnen die Struktur, damit sie diese Entscheidungen vor Ort treffen können, die für die Regionalität notwendig sind. Aber im Verwaltungsbereich wird dort stark abgebaut und natürlich in den Gremien. In der entscheidenden Frage, dass viel zu viele im Gesundheitssystem mitreden und damit eine zielführende Steuerung umöglich wird, bleibt es aber beim Alten.
Hartinger-Klein meint, dass die Regierung/das Sozialministerium keine Aufschlüsselung der 1 Milliarde berechnen muss, weil diese schon von vielen Experten*innen vorgenommen wurde.
Na dann.#Sozialversicherung #zib2 pic.twitter.com/WjBqOf0F2H
— Raffaela (@DieRaffa) September 14, 2018
Das Märchen von der raschen Milliarde
Die Regierung redet ja auch viel lieber über die Einsparungen in der Verwaltung – eine Milliarde Euro bis 2023 soll es werden. Die Sozialministerin hat auf die Frage, wie sie diese Milliarde berechnet hat, gesagt: Wenn so viele Experten das schon berechnet haben, brauchen wir nicht auch noch etwas berechnen. Es geht ja darum, was machen wir mit dem Geld. Im Begutachtungsentwurf wird die Kostenschätzung mitgeliefert, von einer Milliarde ist keine Spur. Mit 33 Millionen Euro wird der Einsparungseffekt bis 2023 beziffert, 2026 könnten es dann kumuliert 350 Millionen sein. Ein Drittel der von der Bundesregierung versprochenen Milliarde. Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer hat nicht grundlos von Zahlenmystik gesprochen, die da betrieben werde.
Die Selbstverwaltung wird massiv geschwächt
Was tatsächlich stark reduziert wird, das sind die Funktionärsposten in der Selbstverwaltung. Die Gremien werden verkleinert und umgebaut, stark zugunsten der Dienstgebervertreter. Auf den Führungsebenen wird durchgängig das Rotationsprinzip eingeführt. Insgesamt hat das eine Schwächung der Selbstverwaltung zur Folge, in der künftig nicht nur das Sozialministerium als Aufsichtsbehörde mitreden wird, sondern auch das Finanzministerium. Die Regierungsvertreter sollen sogar Beschlüsse der Gremien sistieren können, steht im Entwurf. Der Mann, der fix verankerte Vertreter der Regierung in den Selbstverwaltungsgremien verhindert hat, muss gehen: Alexander Biach wird die Struktur entzogen, der er vorsteht. Der Hauptverband hat ausgedient.
Das doppelte Spiel im Parallel-Universum
Andererseits beruft sich die Sozialministerin bei jeder Detailfrage darauf, dass das in der Selbstverwaltung entschieden werde. Das schaut nach einem doppelten Spiel aus, das die Regierung nicht nötig hätte. Es ist gut, dass die Kassenreform kommt, aber es ist schlecht, dass sie auf halbem Weg stehen bleibt. Klare Verhältnisse werden den Irrungen des Föderalismus geopfert, als windfall profit gibt es ein paar billige Punkte im sozialpartnerschaftlichen Parallel-Universum. Von den Strukturen der schwarzen Beamtenversicherung reden wir da noch gar nicht, die bleiben unangetastet – sieht man davon ab, dass die BVA jetzt auch noch die roten Eisenbahner dazubekommt.
Und immer wieder ist Stillhalten angesagt
Freunde halten zusammen, das gilt nicht nur für die FPÖ und die Italien-Connection, sondern auch für die ÖVP und ihre machtbewussten Amici in den Bundesländern. Es gilt aber auch für die Regierungsparteien selbst. Message Control wird von der Kanzler-Vertrauten Elisabeth Köstinger auf Ö1 zur Maxime erhoben (hier das Transkript). Und so drücken die einen ein Auge zu, wenn die ÖVP-Länder die Kassenreform verwässern, und die anderen, wenn Rechtspopulisten verhaltensauffällig werden. Der nächste Fall, wo Stillhalten angesagt ist, liegt schon auf dem Schreibtisch des Bundespräsidenten.