Anno Corrupti
Wer Visionen hat, braucht einen Arzt. Dieser Satz, den zwei profil-Journalisten dem früheren SPÖ-Chef und Bundeskanzler Franz Vranitzky in den Mund gelegt haben, sollte dessen Regieren charakterisieren. Ein Pragmatiker durch und durch, war die Botschaft – dabei hatte der Kanzler des EU-Beitritts und des Eingeständnisses von Österreichs Mitschuld am Holocaust durchaus Visionen und setzte sie auch um. – Ich bin Pathologin. Kommen Sie wieder, wenn Sie tot sind. Dieser geniale Satz aus dem jüngsten Lindholm-Tatort, der ähnlich schlechte Kritiken gehabt hat wie momentan die ÖVP, wirkt wie dem aktuellen Koalitionsdrehbuch entnommen.
Der Anfang Dezember von der politischen Bühne abgetretene Ex-Bundeskanzler und jetzt auch Ex-ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz hat in Zusammenhang mit den europäischen Wiederaufbau-Hilfen für Südeuropa einmal von Staaten, die in ihren Systemen kaputt sind, gesprochen. Es war eine dieser Gelegenheiten, wo die Hybris des Systems Kurz durchgeblitzt ist, das in gewisser Weise wohl auch kaputt war. Die Korruptionsermittler von der WKStA haben letztendlich die Abgehobenheit einer politischen Clique offengelegt, die minutiöse Dokumentation eines dreisten Falls von Medienkorruption – hier bravourös nachgezeichnet – hat Kurz politisch das Genick gebrochen. Strafrechtliche Errnittlungen laufen, hier ist noch lange nicht alles auf dem Tisch, auch die Unschuldsvermutung gilt.
Die Diskreditierung des U-Ausschusses
Kurzens Nachfolger an der ÖVP-Spitze, der neue Bundeskanzler Karl Nehammer, hat im Interview mit der Austria Presse Agentur denn auch frisch behauptet: Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Und wieder hat Nehammer auf sein argumentatives Know-how aus ÖVP-Generalsekretärs-Zeiten zurückgegriffen und das so begründet: Diejenigen, die das der Volkspartei unterstellen, haben natürlich auch ein parteipolitisches Ziel dahinter. Nicht die ÖVP sei das Problem, sondern die anderen Parteien. Den kommenden Untersuchungsausschuss des Parlaments, der den Korruptionsgehalt der Volkspartei genau prüfen soll und auch wird, den hat Nehammer gleich einmal mit-diskreditiert: Alle, die da drinnen sitzen, sind parteipolitisch motiviert und haben eine parteipolitische Agenda.
Kurz-Abwickler wandelt auf Kurz-Spuren
Einem lernenden Kanzler steht das nicht. Solche Untergriffe gegen die parlamentarische Kontrolle. Noch dazu wenn der Kanzler sein Profil vorläufig vor allem aus dem Kontrast zu Kurz bezieht, den Nehammer im konkreten Fall freilich kopiert. Denn bewusste und gezielte Diskreditierung der Justiz in Gestalt der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft, das war bei Sebastian Kurz pathologisch. Der Nach-Nachfolger sollte sich besser die Bilanz seiner Partei ansehen, was Ermittlungen wegen Korruption betrifft. Die hat Florian Klenk hier aufgelistet. Darunter ist auch die Telekom-Affäre, die man nicht oft genug in Erinnerung rufen kann: Die ÖVP hat sich wegen nicht deklarierter Parteispenden von der Telekom zu Rückzahlungen in Raten bis Ende 2024 verpflichtet. Solche Vereinbarungen gibt es auch mit den Lotterien und mit Raiffeisen.
Die Rückzahlung illegaler Parteispenden
Mit dieser Variante eines außergerichtlichen Tatausgleichs vermied die ÖVP das Risiko, als erste Partei Österreichs wegen Untreue und Geldwäsche zur Rechenschaft gezogen zu werden, hat Florian Scheuba hier dazu geschrieben und damit alles gesagt. Oder fast alles. Nicht zu vergessen die Wahlkampfkosten-Überschreitung um sechs Millionen Euro 2017 und der Versuch, das – gefinkelter – noch einmal zu machen und bewusst zu manipulieren, wie man der ÖVP nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorhalten darf. Verantwortlicher Wahlkampfmanager der Partei war damals Karl Nehammer. Und das, was im seit mittlerweile knapp zwanzig Jahren ÖVP-geführten Finanzministerium jetzt offenkundig geworden ist, muss wohl auch noch Erwähnung finden. Zuerst der Bericht der Innenrevision, der die Medienkorruption zum Vorteil der Polit-Karriere von Sebastian Kurz auf Punkt und Beistrich bestätigt hat.
Das übelste Sittenbild von unserer Finanz
Und dann die Berichte über Interventionen zugunsten des Kurz-Unterstützers und Investors Siegfried Wolf von allerhöchster Stelle im Finanzressort. Es ging um Steuerschonung – die Namen Wolfgang Schüssel, Hans Jörg Schelling, Eduard Müller und natürlich Thomas Schmid sind in Chats dokumentiert. Die WKStA spricht von fast als ‘Parallelverfahren’ zu bezeichnenden Hintergrundvorgängen und meint damit die Interventionen, die am Steuerakt Wolf vorbei getätigt worden sind.
Es ist eine außerordentlich bedauerliche Entwicklung, die sich im Zusammenhang mit dem konkreten Fall zeigt, ein Sittenbild übelster Sorte, muss ich sagen, dass man auf diese Art und Weise vorgeht. Das hat der ÖVP-Mann und frühere Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler im Ö1-Mittagsjournal zu den Enthüllungen gesagt. Und angesprochen darauf, dass Siegfried Wolf in der Steuersache seine Unterstützung für Sebastian Kurz ins Treffen geführt hat, sagte Fiedler: Das bitte sind Umstände, die an das römische Reich der Endzeit erinnern oder an Vorfälle, wie sie sich im Mittelalter ereignet haben mögen, aber bitte die nichts mehr verloren haben in einer modernen Demokratie.
Die ÖVP Vorarlberg, Russmedia & das Geld
So verbittert hat man den Antikorruptions-Kämpfer selten gehört. Aber, Franz Fiedler: We feel you. Wenn man in die Bundesländer schaut, wird es auch nicht tröstlicher. In Vorarlberg stecken die dominierende Volkspartei und das dominierende Medienhaus in einer Inseraten-Affäre, die sich gewaschen hat. Russmedia hat sich für das Tarnen und für publizistische Schein-Entlastungsgefechte in der Landeszeitung Vorarlberger Nachrichten entschieden und gegen das Beantworten von Fragen. Die ÖVP von Landeshauptmann Markus Wallner wiederum lässt den Vorwurf der verdeckten Parteienfinanzierung über Inseraten-Einnahmen des ÖVP-Wirtschaftsbundes auf sich sitzen, indem sie Anfragen im Landtag provokant nicht beantwortet. Nur eines der Originalzitate von Wallner: Ich halte mich ans Parteiengesetz und darüber hinaus gibt es nichts zu sagen.
Wie immer beim @KappacherS lohnt es sich, den gesamten Thread zu lesen. Eine unglaubliche blackbox in Vorarlberg. Tabuisiert wie ein dunkles Familiengeheimnis… #inserate #parteiengesetz #parteienfinanzierung
Originally tweeted by Johannes Rauch (@johannes_rauch) on 21. December 2021.
Der Blogger, die Klageflut und der Erl-König
Das Land Tirol und der Bund, die beide Jahr für Jahr mit Millionen die Festspiele Erl unterstützen, spielen wiederum eine unrühmliche Rolle bei den Einschüchterungsklagen des Milliardärs Hans Peter Haselsteiner gegen den Ötztaler Blogger Markus Wilhelm. Der hat Lohndumping und Abgabenhinterziehung in Erl aufgezeigt, Haselsteiner hat ihn mit Klagen überzogen. Die letzte und umfassendste dieser Klagen gegen Wilhelm wurde vom Gericht abgewiesen, das Land Tirol wollte es dabei bewenden lassen. Haselsteiner verliert aber nicht gern. Er hat Wilhelm angeboten, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er nie mehr über Haselsteiner und Erl berichten werde (in Hinkunft auf jegliche Berichterstattung über meine Mandantschaft und über die von ihr veranstalteten Festspiele zu verzichten, heißt es im Anwaltsbrief). Ein unmoralisches Angebot, findet der Blogger. Also hat Wilhelm abgelehnt, Haselsteiner prozessiert weiter, das Land lässt es zu. Der Vertreter der Bundes im Stiftungsvorstand von Erl, Sektionschef Jürgen Meindl aus dem grünen Kulturressort, ist untergetaucht. Ich bin Pathologin. Kommen Sie wieder, wenn Sie tot sind.
Wo Inseratenkorruption pathologisch ist
Bleibt die Bundeshauptstadt Wien, die sich ebenfalls totgestellt hat. Viele Jahre lang, als es um Auskünfte über dubiose Anzeigengeschäfte mit Zeitungsbeilagen gegangen ist. Dann haben die Leute von Dossier beim Verwaltungsgericht Recht bekommen, und die Stadt musste mit Informationen herausrücken, die den Verdacht eindrucksvoll bestätigt haben, dass Inseratenkorruption in Wien quasi pathologisch ist. Dass der Falter den Wiener SPÖ-Chef Bürgermeister Michael Ludwig vor diesem Hintergrund und angesichts der Medienkorruptions-Affäre der ÖVP auf Bundesebene zum Menschen des Jahres gekürt hat, verstehe wer will.
Geprügelt worden ist der Falter für eine Seite in der alljährlichen Satire-Beilage, die ein Barockbild der Heiligen Familie zeigt, die Gesichter von Sebastian Kurz und seiner Freundin Susanne Thier sind hineinmontiert. Sexismus lautet der Vorwurf, weil auf dem Gemälde Marias (nicht Susannes) Brust zu sehen ist. Falter-Herausgeber Armin Thurnher hat dazu eine reflektierte Kolumne geschrieben, der Presserat wird sich im Jänner mit der Sache beschäftigen und eine Entscheidung treffen.
Der Schnappschuss mit unheiliger Familie
Zur Kritik, dass mit Frau Thier eine Privatperson in die Öffentlichkeit gezerrt worden sei, hat der Medienwissenschafter Fritz Hausjell richtig darauf hingewiesen, dass Thier in den vergangenen vier Jahren in über 600 Artikeln vorgekommen sei, weil sie Kurz bei politischen Anlässen begleitete. Und es gebe allein 238 verschiedene Pressefotos mit ihr zur Auswahl. Privatpersonen verhalten sich gegenüber der Medienöffentlichkeit gemeinhin rarer, meinte Hausjell. Die Kronenzeitung hat ihn in ihrer Weihnachtsausgabe bestätigt: Da gab es im bunten Teil eine Homestory über Kurz und Thier, über Zukunftspläne in den USA – und ein Foto vom Spaziergang mit Kinderwagen, angeblich von einem Passanten zufällig aufgenommen und zur Verfügung gestellt. Was natürlich niemand glaubt.
Wenn Satire zur Krone-Realität verkommt …
Nachdem die Satire also zur pathologischen Krone-Realität verkommen war, ereilte uns auch noch die Nachricht, wessen Lied Sebastian Kurz künftig singen wird. Der Ex-Kanzler wird für den PayPal- und Palantir-Gründer Peter Thiel arbeiten, dem nicht viel Gutes nachgesagt wird. Der Spiegel hat gleich einmal gefragt: Wie gefährlich ist der neue Chef von Sebastian Kurz? Thiel gelte als intellektueller Provokateur – und manchen auch als Antidemokrat, so das deutsche Nachrichtenmagazin. Der Journalist Max Chafin hat eine vielbeachtete Biografie über Thiel verfasst, er beschreibt ihn als Libertären mit dem Ziel einer Reorganisation der Zivilisation, die die Macht von traditionellen Institutionen – etwa Mainstream-Medien, demokratisch gewählten Parlamenten – zu Startups und den Milliardären, die sie kontrollieren, verlagern würde.
… sagt Sebastian Kurz Thank You for Smoking
Politisch ist Thiel klar verortet: Trump, Tea Party, Alt-Right-Bewegung und Breitbart. – Sebastian Kurz hat Herbert Kickl zum Innenminister gemacht. Da passt kein Blatt Papier dazwischen. Kurz und Thiel kennen sich schon länger, und es wird zwischen den beiden rasch gefunkt haben. Ein Hinweis darauf ist die Satire Thank You for Smoking, die Peter Thiel mit seinem damaligen Geschäftspartner Elon Musk koproduziert hat. Der Film aus 2005 handelt von Tabak-, Alkohol- und Waffen-Lobbyisten, die sich MOD-Squad nennen, das steht für Merchants of Death, also Händler des Todes. Tatsächlich ist es eine Satire über die Welt der Spin-Doktoren, wie sie dann Jahre später mit Kurz am Ballhausplatz Einzug gehalten hat und zur pathologischen Republiks-Realität verkommen ist.
Anno Corrupti 2021 hat der Spin die Doktoren aus der Bahn geworfen. Einer flog direkt in die Arme des ihm gut bekannten US-Oligarchen. Kommen Sie wieder, wenn Sie politisch tot sind. Was für eine Schlusspointe in diesem an traurigen Pointen so reichen Jahr.