Wag the Horse
Vor gut zwanzig Jahren haben Robert De Niro und Dustin Hoffman im Film einen Krieg der USA gegen Albanien erfunden, um von einer Sexaffäre des Präsidenten kurz vor der Wiederwahl abzulenken. Wag the Dog ist ein Kultfilm über die Macht der Medien und die Manipulierbarkeit der Öffentlichkeit. Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt. So geht auch der deutsche Titel des Hollywood-Streifens, der natürlich eine Satire ist und stark überzeichnet. Die aktuelle Innenpolitik kommt aber ziemlich nah heran. Eine Geschichte über Albanien, Pferde und Pilzköpfe.
Es war Regierungsklausur in Mauerbach, und die zündende Idee für den Auftakt hatte noch gefehlt. Da kamen frische Zahlen über die Migrationslage auf dem Balkan, das Umfeld des Bundeskanzlers zückte den Taschenrechner – und die Albanien-Route war geboren. Mit der Forderung nach Schließung derselben waren der Kanzler wieder bei seinem Single Issue, mit dem er schon die Wahl gewonnen hatte, und die Koalition bei ihrer Kickl-Kompetenz. Der freiheitliche Innenminister versicherte, dass im Fall des Falles die Grenzen dicht gemacht würden. Aber richtig dicht. Mit einem Türl mit Seitenteilenwürde es nicht mehr getan sein. Die Message ist klar. Und sie wird uns über die Sommermonate und die ganze EU-Präsidentschaft hindurch begleiten.
Nichts darf die große Harmonie gefährden
Anders als De Niro und Hoffman im Film muss das Kanzler-Umfeld zum Glück von keinen Sex-Affären ablenken. Die sind damit beschäftigt, die unglaubliche Harmonie von Schwarz-Blau II zu hegen und zu pflegen. Das braucht ein bisschen Message-Control, weil so rund läuft ja doch nicht immer alles. Und wie könnte man die Medien leichter von den unrunden Dingen wie einem holprigen Grundsatzgesetz für eine Neuregelung der Mindestsicherung ablenken als mit einer neuen Balkan-Route, die geschlossen werden muss? Albanien-Route. An einem heißen Sommer-Sonntag in Mauerbach. Sonst nicht viel los. Wag the Kurz!
Wenn es rennt, dann rennt es einfach
Auf der Regierungsklausur denn auch zufriedene Gesichter, der Coup ist voll aufgegangen. Ich hab jetzt das erste Mal das Gefühl, dass es rennt, sagt einer, der nah am Kanzler ist. Es rennt so gut, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache nicht einmal die Kulisse des Sommernachtskonzerts in Schönbrunn für PR nutzen, sondern das wohlverdiente Fronleichnams-Wochenende für sich genießen. Anna Netrebko haben sie eh im ORF-Fernsehen schauen können, und das Drumherum hat Christian Nusser einmal mehr pandastisch zum Besten gegeben. Zwei sehr heftig diskutierte Nebenthemen bei der Regierungsklausur waren übrigens ein Gebetsfrühstück beim Nationalratspräsidenten und das Steckenpferd des Innenministers.
Der tiefere Sinn von Kickls Polizeipferden
Die berittene Polizei, die vor ihrem ersten Einsatz ganz schön viele Hürden nehmen muss: Ausbildung in Wiener Neustadt, Stallsuche in und um Wien, dazwischen eine viel frequentierte Südautobahn, wo auch Tempo 140 des FPÖ-Verkehrsministers keine Besserung bringen würde. Und man fragt sich: Warum tut Herbert Kickl sich das auch noch an? Die Antwort ist einfach: Der Innenminister ist dabei, die Geheimdienste und das ganze Asylwesen nach seinen – freiheitlichen – Vorstellungen umzubauen. Dabei ist Kickl nicht zimperlich, und ein wenig mediale Ablenkung kann nicht schaden. Wag the Horse! Aber die Polizeipferde haben auch noch einen tieferen Sinn.
Hegemoniestreben bis ins Groteske
Und das ist die schwarz-blaue Sehnsucht nach Hegemonie. Ob das die Befreiung von einer links-linken Alt-68-er-gesteuerten Multi-Kulti-Hegemonie Marke Haimbuchner ist oder eine substanzielle Veränderung des Landes in Richtung bürgerliche Politik Marke Kurz. Das kann sich jeder aussuchen. Aber mit den Kickl’schen Pferden müssen wir wohl leben. Nichts vermittelt den Eindruck von Law and Order mehr als ein berittener Polizist mit Helm, der auf Demonstranten gegen was auch immer herunterschaut. Auch Bilder brauchen Kontrolle, denkt sich der, der nach der Hegemonie strebt. Und wenn es dann einmal wer ins Groteske übersteigert – wie Gottfried Waldhäusl, der den wegen der Nazi-Liederbuchaffäre untragbar gewordenen Udo Landbauer in Niederösterreich als FPÖ-Landesrat beerbt hat -, dann fällt das gar nicht mehr auf. Wag the Dog.
Auch Sprachkontrolle ist jetzt angesagt
Aber auch Sprache braucht Kontrolle, hat sich FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek gedacht und das gender-gerechte Binnen-I im Bundesheer außer Kraft gesetzt. Feministische Sprachvorgaben zerstören die gewachsene Struktur unserer Muttersprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit, so der Freiheitliche Kunasek. Er verabschiedet sich damit von einem Ministerratsbeschluss, der 2001 vom damals für Frauenfragen zuständigen Sozialminister Herbert Haupt gelobt worden ist. Und Haupt war beileibe kein freiheitlicher Softie. Es sind oft die kleinen Dinge, die große Veränderungen anzeigen. Wie ein Gebetsfrühstück mit Bibellesung und dem Kardinal im Parlament. Bisher fundamental aus der zweiten ÖVP-Reihe organisiert, lädt jetzt der Nationalratspräsident zur morgendlichen Bibelstunde ein.
„Frauen wollen in männlichen Formulierungen nicht länger ‚mitgemeint‘ sein, sondern sprachlich in Erscheinung treten.“ Zum Ministerratsbeschluss 2001, Frauenminister Herbert Haupt, FPÖ.
— Birgit Pointner (@BirgitPointner) May 25, 2018
Und dann Wien unter Kontrolle bringen
Last but not least braucht auch Wien Kontrolle. Die Bundeshauptstadt mit ihrer brüchigen rot-grünen Koalition, wo sich die SPÖ gerade neu aufgestellt hat und der neue Bürgermeister Michael Ludwig fest entschlossen ist, mit allerlei Verboten und Ordnungsfimmel für die Stadt in die FPÖ-Wählerschichten hineinzustrahlen. Die Entscheidungsschlacht (diesmal wirklich) geht regulär 2020 über die Bühne. Die Spitzenkandidaten der Koalition für die Wien-Wahl heißen Gernot Blümel (und ein kleines bisschen auch Sebastian Kurz) sowie Heinz-Christian Strache, und beide bemühen sich in der Bundesregierung um Profil. Schwarz-Blau hat schon erkennen lassen, dass man keinen Pardon walten lassen wird. Verkehrsminister Norbert Hofer hat jetzt in Sachen City-Maut schnell eine Breitseite gen Wien abgefeuert.
Sollte Wien eine City Maut einführen, wird die Frage der Zuschüsse der Steuerzahler aus ganz Österreich für Verkehrsprojekte in der Bundeshauptstadt wohl ein Thema werden.
— Norbert Hofer (@norbertghofer) May 28, 2018
Sprich: Hofer stellt unverhohlen die bisher stets unumstrittene Mitfinanzierung des Bundes etwa beim Wiener U-Bahn-Ausbau in Frage. Bei großen Staatsmännern sind es oft die Tweets, die so entlarvend sind.
Eine Liste, böser als die böseste Satire
Und dann wäre da noch die Liste Pilz, zu der einem fast nichts mehr einfällt. Was dort gerade abgeht, hätten sich Robert De Niro und Dustin Hoffman im Film nicht einmal im Traum einfallen lassen. Denn auch beim Lügen sollte man irgendwie im Rahmen der Glaubwürdigkeit bleiben, wie eine bekannte Weisheit sagt. Eine bitterböse Satire über Mandatsverzicht, Mandatsneid, Mandatskauf,Rücktrittskultur und Rücktrittsunkultur sowie Spendenintransparenz, die eines verdeckt: Da hat einer einmal mit anständigen Worten und Konsequenzen auf Sexismus-Vorwürfe gegen sich reagiert, nämlich Peter Pilz. Und dann hat er alles zunichte gemacht. Die 223.543 Wähler seiner Liste bedanken sich. Die Regierung schickt Blumen aus Albanien. Wag the Pilz.
3 Gedanken zu „Wag the Horse“
Eine hervorragende Analyse!
Danke!
Und wenn es rennt, dann rennt es. Und dann wissen die Läufer oft nicht mehr, dass sie eine Abbiegung übersehen haben. Und die wird kommen.